Sie kam aus dem Nichts, ihr Name war ein Witz und doch wurde sie für den Pop zur Einflussgröße du jour: Krautrock, kosmische Musik, elektronische Musik, oder wie auch immer man die experimentelle deutsche Rockmusik aus den Siebzigern nennen mag. Krautrock wurde von den unterschiedlichsten Künstlern zitiert und adaptiert: Q-Tip, die Horrors (deren epischer Song Sea Within a Sea überzeugend den motorischen Groove von Neu! wiederaufleben lässt), Foals, Deerhunter, ja selbst Kasabian und Oasis (aber lassen Sie sich von letzteren bitte nicht abschrecken).
Die Liste ist so lang, dass sie einem fast bedeutungslos vorkommen muss. Doch nun bestätigt Elektronische Musik, ein neuer Sampler des Labels Soul Jazz, wie wild die deutsche Musik in diesen Tagen wirklich war
in diesen Tagen wirklich war. Und er wirft die Frage auf, weshalb kosmische Musik, die dreißig Jahre lang die Popmusik beeinflussen sollte (man denke da an Afrika Bambaataa, Brian Eno und David Bowie, um nur drei von vielen zu nennen), auch heute noch so beliebt ist.Ausradierte VergangenheitAlles begann 1967 und 1968 mit der revolutionären Studentenbewegung: ein Teil gründete Kommunen und wurde politisch aktiv, die anderen nahmen den Kampf gegen den Schlager auf, der damals den musikalischen Mainstream beherrschte, und versuchten sich an einem neuen Stil. Viele dieser Kriegskinder wussten, dass ihre Vergangenheit ausradiert worden war, was für ihre Suche zusätzlich ein Antrieb war. Sie hatten nichts, aber genau das bedeutete Freiheit.Es war ihr Jahr Null. Unter dem Eindruck von Karlheinz Stockhausen, den Mothers of Invention, Velvet Underground und Pink Floyd wurden in den späten Sechzigern und frühen Siebzigern viele der wichtigsten Bands gegründet: Can, Faust, Amon Düül II, Organisation (später Kraftwerk), Guru Guru und Tangerine Dream. Viele veröffentlichten ihre Alben auf deutschen Plattenlabels wie Ohr und Brain.Diese frühe Periode ist durch einige DVD-Bootlegs, YouTube-Clips und natürlich die Alben selbst dokumentiert. Sie sind Belege eines rasanten, experimentellen Ansatzes, der Gedanken, Gefühle und Fähigkeiten bis zum Limit und darüber hinaus ausreizte. Dieser neue Fieberwahn führte die psychedelische Welle der Jahre 66 und 67 fort und gab ihr eine härtere Kante. Krautrock war, wie Julian Cope schrieb, „äußerst idealistisch und hart wie Nägel.“Es war Cope, der mit seinem Krautrock-Sampler 1995 als Erster die Geschichte der „großartigen kosmischen Musik“ organisierte und kodifizierte. Cope konzentrierte sich auf die frühen Bands, von denen viele in England dank der visionären Leistung Andrew Lauders bekannt und populär waren, der die Alben von Can und Amon Düül II beim Label United Artists veröffentlichte. (Und dann wäre da noch das Album The Faust Tapes zu nennen, das für 49p verkauft wurde).Freibeuterischer EklektizismusCopes Sampler riss alle Dämme ein; doch die Soul-Jazz-Compilaton öffnet das Genre nun noch weiter nach außen. Wenn man heute in Soho den zum Label gehörigen Plattenladen Sounds of the Universe betritt, dann findet man dort neben den ganzen Reggae-Singles, den Funk/ Disco-12-Inches und den Dupstep-, Free-Jazz- und Cosmic-Disco-CDs ein Regal mit experimenteller deutscher Musik. Der Sampler Elektronische Musik, den Stuart Baker und Adrian Self zusammengestellt haben, passt perfkt zu diesem freibeuterischen Eklektizismus.Er beginnt mit Cans Aspectacle (das Q-Tip auf seinem Album The Renaissance in dem Song Manwomanboogie gesamplet hat). Dann wären da die üblichen Verdächtigen: Faust, Neu! und Cluster, die mit dem Track Heisse Lippen von ihrem besten Album Zuckerzeit vertreten sind. Doch insgesamt setzt der Sampler mehr auf Funky Beats/ Breaks und auch lange und weitschweifende Improvisationen haben ihren Platz, wie etwa High Life von Ibliss. Die zweite Platte endet mit dem ekstatischen Wabern von Deuters Soham.Gründlich kannibalisiertMan kann aus dieser Zusammenstellung schließen, dass hinter Krautrock wesentlich mehr steckt, als man meinen könnte. Deutsche Musik aus dieser Zeit ist ein wenig wie Dr. Whos Zeitmaschine: man geht durch ein enges Portal und kommt dann in einen gigantischen, dynamischen Raum. Zur Fruchtbarkeit der kosmischen Musik passt, dass sie immer etwas vollkommen Neues erschaffen wollte, und genau das erwies sich für kommende Musikergenerationen genreübergreifend als so inspirierend.Dass nun auch im 21. Jahrhundert die Resonanz zunimmt, kommt daher, dass die anglo-amerikanische Rockmusik erst 60 Jahre alt ist und sich bereits gründlich kannibalisiert hat. Sind auch Sie der ganzen britischen Indie-Bands der sechsten Generation überdrüssig? Haben Sie genug von den ganzen Americana-Apologenten? Dann lassen Sie sich von der kosmischen Musik leiten. Denn diese deutschen Bands, die selbst mit nichts als ihrer eigenen Einbildungskraft anfingen, bieten auch heute noch einen dritten Weg an: eine lange, gerade Straße, die aus dieser kulturellen Sackgasse herausführt.Elektronische Musik erscheint am 9. April (Soul Jazz/Indigo)