Weil die reichen Länder weniger Geld bereitgestellt haben, werden in den kommenden Wochen die Lebensmittelrationen für die Ärmsten dieser Welt weiter gekürzt. Dies könnte nach Ansicht der Leiterin des UN-Welternährungsprogramms, Josette Sheeran, dazu führen, dass eine ganze Generation von Kindern unter Mangelernährung, Hungerunruhen und politischer Destabilisierung zu leiden hat. Eine humanitäre Katastrophe rollt auf uns zu“, sagt Sheeran.
Zwei Milliarden fehlen
Durch die Hungerunruhen, die 2008 in mehr als 20 Ländern ausgebrochen waren, sahen sich die reichen Staaten dazu veranlasst, der Welternährungsorganisation (FAO) die Rekordsumme von fünf Milliarden Dollar zu überweisen, um eine globale, von Rekordwerten bei den Ölpreisen und dem Anbau von Getreide für Biotreibstoff verursachte Lebensmittelkrise abzuwenden. Nach den neuesten Zahlen ist die Lebensmittelhilfe heute allerdings auf dem niedrigsten Stand seit 20 Jahren gesunken. Die Geberländer haben während der ersten zehn Monate dieses Jahres lediglich 2,7 Milliarden Dollar bereitgestellt.
Die USA – mit Abstand der größte Geldgeber der FAO – haben 2009 bislang 800 Dollar weniger überwiesen als im Vorjahr, Saudi Arabien nur zehn Millionen im Vergleich zu 500 Millionen 2008. Die EU reduzierte ihre Zuwendungen um 130 Millionen. Großbritannien liegt mit für dieses Jahr zugesagten 69 Millionen fast 100 Millionen unter der Summe des Vorjahres. „Selbst unter günstigsten Umständen werden uns Ende des Jahres zwei Milliarden fehlen. Viele unserer Geldgeber denken, die Lebensmittelkrise sei vorbei. Dabei sind die Lebensmittelpreise in 80 Prozent aller Länder heute höher als vor einem Jahr“, sagt Sheeran.
Mehr als 16.000 Kinder
2009 herrscht aufgrund von Dürreperioden, Wirbelstürmen, Überschwemmungen und Erdbeben, die in Afrika und Südostasien die Ernten zerstört haben, ein verschärfter Druck auf die Lebensmittelpreise. Hinzu kommt ein erhöhter Hilfsbedarf, da die Finanzkrise in weiten Teilen der Erde zu einem Anstieg der Arbeitslosigkeit geführt hat und die Auslandsüberweisungen von Arbeitsmigranten aus den reichen Ländern im Vergleich zum Vorjahr um 20 Prozent zurückgegangen sind.
Im September gaben die Vereinten Nationen bekannt, dass die Zahl der Hungernden weltweit um 150 Millionen auf eine Milliarde gestiegen sei. Hilfsorganisationen warnen vor einer ernsthaften Lebensmittelknappheit im Süden Indiens, wo heftige Überschwemmungen Getreide im Wert von einigen hundert Millionen Dollar zerstört haben. „Ein lautloser Tsunami zieht auf. Man kann ihn weder hören noch sehen, aber für die Menschen in all diesen Dörfern ist er deshalb nicht weniger verheerend. Dies ist die schlimmste Lebensmittelkrise seit den siebziger Jahren“, so Sheeran.
Die FAO versorgt 100 Millionen Menschen mit Lebensmitteln. Mehr als 40 Millionen könnten von der erzwungenen Kürzung der Lebensmittelrationen betroffen sein. Mit der größten Wahrscheinlichkeit gilt das für Bangladesch, dessen Budget wahrscheinlich um bis zu 50 Prozent gekürzt wird, und für Kenia, wo ähnliche Kürzungen die Notlage von Millionen von Menschen verschlimmern, die durch eine lange Dürre mittellos wurden. Die neu bemessenen Rationen für Menschen, die überhaupt keinen Zugang zu Nahrungsmitteln haben, werden unter dem liegen, was Hilfsorganisationen als Überlebensrationen ansehen und höchstens eine dürftige Mahlzeit pro Tag umfassen. „Wir müssen schwere Entscheidungen treffen, wo wir die Kürzungen vornehmen. Wir sind uns sehr wohl darüber bewusst, dass das Zurückfahren von Hilfsprogrammen die Grundlagen einer Gesellschaft untergräbt und zu politischer Destabilisierung führt“, sagt Sheeran.
„Wir machen uns große Sorgen über die Budget-Ausfälle der FAO, die Millionen zu verkraften haben, die um des nackten Überlebens willen auf diese Hilfe angewiesen sind“, sagte Fred Mousseau von der unabhängigen Hilfsorganisation Oxfam. „Dies wird dazu führen, dass noch mehr Kinder sterben. Und das, obwohl heute schon jeden Tag 16.000 Kinder verhungern oder an Krankheiten sterben, die durch Unterernährung ausgelöst werden.“
Übersetzung: Holger Hutt
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