Großbritannien leidet unter einer ungewöhnlich langen Schlechtwetterperiode. Plötzlich scheinen selbst die gut geölten Lieferketten der Supermärkte bedroht, die Kunden könnten sogar bald vor leeren Regalen stehen. Wie ist das möglich? Wie kann ein wenig Schnee – verglichen mit dem, was Norwegen oder Kanada regelmäßig zu bewältigen haben – unser modernes Leben und unser unstillbares Verlangen, rund um die Uhr zu essen, so beeinträchtigen?
Auch wenn die leeren Regale noch keine Realität sind, so steht doch außer Frage, dass der Verkehr auf unseren Autobahnen vielerorts zum Erliegen gekommen ist und davon auch die LKWs betroffen sind, die unsere Lebensmittel anliefern – immerhin jedes vierte Fahrzeug auf unseren
uf unseren Schnellstraßen. Die Hälfe von ihnen fährt übrigens leer durch die Gegend – eine Schande für den Einzelhandel, der sich so gerne umweltfreundlich gibt. (Wobei sich die Unternehmen schon Mühe geben und Dinge zu leisten imstande sind, die zuvor undenkbar schienen. So teilen sie sich beispielsweise Fuhren und informieren sich gegenseitig über bestimmte Ladungen und Restkapazitäten.)Auf lange Sicht untragbarDie Supermarkt-Revolution ist eine vielfach aufgebauschte Erfolgsgeschichte des Konsumkapitalismus des 20. Jahrhunderts. Wir können heute fast überall in Großbritannien (sowie im Großteil Europas und Nordamerikas) zu fast jeder Tages- und Nachtzeit ein Geschäft betreten und zehntausende von Waren begutachten, die um unsere Aufmerksamkeit konkurrieren. Ein unglaublicher Reichtum, verglichen mit dem, was wir vor 100 Jahren hatten und dem Rest der Menschheit noch heute zur Verfügung steht. Supermärkte stehen heute ganz allgemein für Fortschritt, westlichen Lebensstil und das "Recht, zu wählen". Der Einzelhandel ist hoch angesehen, Politiker lieben ihn. In Großbritannien und Deutschland dient er sogar als Vorbild für die Reform des Gesundheitssystems.Zugrunde liegt aber etwas, das die Manager, Politiker und Konsumenten im 21. Jahrhundert mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit werden ändern müssen. Die Konsumenten in den reichen Ländern des Westens leben heute wie der späte Adel: In Großbritannien essen sie, als stünden uns drei Planeten zur Verfügung, in den USA, als gäbe es fünf. Wir haben ein System geschaffen, das auf lange Sicht untragbar ist. Als die Lebensmittelpreise von 2006 bis 2008 in die Höhe schossen, wuchs die Angst, Chinesen oder Inder könnten den Überschuss in der Nahrungsmittelproduktion aufkaufen. Aber das Problem sind wir.Moderne Supermärkte arbeiten mit präzisem Timing. Sie sind zum Modell des modernen Handels geworden: Maschinen befriedigen unsere Bedürfnisse und bringen uns zugleich dazu, ihren Bedürfnissen zu entsprechen. Die Selbstbedienung wurde in Großbritannien gleich nach dem Zweiten Weltkrieg von der damals mächtigen Einzelhandelskette Co-op. eingeführt. Supermärkte wurden zu den Machtzentren der immer komplexer werdenden Versorgungsketten. Sie regulieren das gesamte Lebensmittelsystem, auf dessen einer Seite die acht Millionen Bauern der Europäischen Union stehen, aus der der überwiegende Teil unserer Produkte kommt, und auf dessen anderer Seite die 450 Millionen Konsumenten der Gemeinschaft. Dazwischen stehen etwa 100 Kaufkonsortien – eine Art Paralleluniversum.Autobahnen, die eigentlichen LagerhallenSupermärkte haben für ihr Management und ihre Logistik das Just-in-time-System übernommen, welches Toyota für die Fertigung von Automobilen perfektioniert hat. So findet sich in den Lagern des Einzelhandels bemerkenswert wenig. Alle Waren kommen genau rechtzeitig, um direkt in die Regale zu wandern. Das klingt einfach, ist aber eine erstaunliche Leistung von Computern, Satelliten (die Ernten, Güterverkehr, Flugzeuge und Schiffe überwachen und steuern) und Management.Die Autobahnen sind zu den eigentlichen Lagern geworden. Wenn Sie an die Kasse gehen und beim Scannen der Ware ein Biep ertönt, denken viele, das diene alleine zur Erstellung der Rechnung; dabei wird gleichzeitig erfasst, was Sie gekauft haben und Nachschub bestellt. Das ist perfekt, ist aber einem immer stärker angespannten Gummiband vergleichbar: Bei der geringsten zusätzlichen Spannung kann es reißen. Und genau das geschieht, sobald Extreme auftauchen. Es gibt keine Lager, und dennoch erwarten wir, dass die Regale voll sind. Deshalb gehören leere Regale heute zum Alptraum des Konsumenten. Die Häuser haben heute keine Speisekammern mehr, und selbst riesige Kühlschränke reichen nicht aus. Aber wir beharren auf unserem Recht zu essen, was wir wollen. Die jahreszeitlich bedingte Einschränkung des Angebots wurde unterbunden: Lebensmittel aus scheinbar jeder Ecke müssen jederzeit in Reichweite zur Verfügung stehen.Hierbei handelt es sich letzten Endes um ein kulturelles Thema und die Erwartungen der Verbraucher, nicht nur um eine Frage der Logistik, und es wird im 21. Jahrhundert zu den zentralen Aufgaben der Politik gehören, das bestehende System in ein nachhaltigeres umzuwandeln. Die Politiker hören zwar noch nicht auf die, die das fordern. Aber sie werden hören, wenn das Seil überspannt ist.