Zwei Monate lang wurde dieser Augenblick hinausgezögert, und dann kam er doch. In Lima vereidigt Parlamentspräsidentin María del Carmen Alva den neuen Staatschef Pedro Castillo, einen Gewerkschafter und erklärten Marxisten. Mögen viele Parlamentarier der Rechtsparteien unwillig hinnehmen, was nach der Stichwahl vom 6. Juni und einer wochenlangen Stimmenauszählung nicht mehr aufzuhalten war, so hat die Zeremonie doch hochkarätige Gäste wie den spanischen König Felipe VI.
Wird mit der Amtsübernahme Castillos eine Periode der Unsicherheit beendet, in der das Rumoren eines Militärputsches nie zu verebben schien? Dass der Sohn eines Kleinbauern zum Präsidenten aufsteigt, ist im Jahr des 200-jährigen Jubiläums der Unabhängigkeit von Spanien ein höchst symbolischer Vorgang, zumal Castillos haarscharfer Wahlsieg bezeugt, wie gespalten das Land ist. Castillo hat in einer „Botschaft an die Nation“ der Behauptung widersprochen, er wolle „Modelle aus anderen Ländern“ übernehmen: „Wir sind keine Chavistas, wir sind keine Kommunisten, wir sind keine Extremisten und schon gar keine Terroristen.“ Ohnehin hat der Außenseiter-Kandidat der Linkspartei Perú Libre die radikalen Thesen seines Wahlkampfes abgeschwächt. Vorerst will er keine Bergwerke verstaatlichen und den langjährigen Zentralbankchef Julio Velarde im Amt lassen. Ungeachtet dessen wird die offene oder stillschweigende Weigerung der Rechtsparteien, seine Legitimität zu akzeptieren, Castillos Regierungsfähigkeit beeinträchtigen. Die gescheiterte neoliberale Gegenkandidatin Keiko Fujimori hat die finale Entscheidung der Wahlbehörde zwar gebilligt, aber im gleichen Atemzug versichert, sie werde an der Spitze stehen, „wenn es um die große Herausforderung geht, den Kommunismus in Peru zu stoppen“.
Dass sich Fujimori derart exponiert, muss für Castillo kein Nachteil sein. Es gibt eine entscheidende Bruchlinie, die seine Anhänger vom Lager Fujimoris trennt. Dass sie existiert, hat viel mit der Gewissheit zu tun, dass es sich mit der 46-jährigen, ehemaligen First Lady Perus um die autoritäre Erbin einer Familiendynastie handelt. Ihr Vater Alberto Fujimori, der von 1990 bis 2000 an der Macht war und eine 25-jährige Haftstrafe wegen Korruption verbüßt, hat den Aufstand des maoistischen Leuchtenden Pfads niedergeschlagen und dem Land makroökonomische Disziplin aufgezwungen. Dass er sich dabei drakonischer Mittel bediente, 1992 die Verfassung kassierte und im Jahr darauf eine neue verabschieden ließ, die ihm größere Befugnisse einräumte, ist nicht vergessen. Fujimoris Jahrzehnt prägte ein solcher Machtmissbrauch, dass viele Peruaner bis heute traumatisiert sind. Es gab außergerichtliche Tötungen, die Zwangssterilisation von mehr als 270.000 Frauen und eine zügellose Korruption.
Der Schatten ihres Vaters
Die verbreitete Angst vor diesem Vermächtnis hat dazu geführt, dass Keiko Fujimori ein Durchmarsch zur Präsidentschaft verwehrt blieb und ihre Kampagne der Panikmache nicht wie gewünscht fruchtete. Wie einst ihr Vater kannte sie keine Skrupel, linke Kandidaten als „Terroristen“ zu denunzieren, mit dem Leuchtenden Pfad zu assoziieren und als Wasserträger Kubas zu schmähen. „Wollen Sie wie in Havanna leben?“, fragten Plakate in Lima vor dem zweiten Wahlgang. Viele prominente Persönlichkeiten, die sich ihr zuvor widersetzt hatten – darunter Nobelpreisträger Mario Vargas Llosa, der 1990 gegen Alberto Fujimori für das Präsidentenamt kandidiert hatte –, stimmten ein in den Chor gegen Castillo.
Dass der sich mit einem Vorsprung von 44.263 Stimmen durchsetzte, wird auch wegen der Begleitumstände beim Ringen um das Ergebnis nachwirken. Die Hartnäckigkeit, mit der Keiko Fujimori ohne Beweise von einer „gestohlenen Wahl“ redete, provozierte selbst bei ihr gewogenen Medien den Vergleich mit dem Verhalten Donald Trumps nach der US-Präsidentenwahl. „Fujimori kopiert nicht einfach das Trump-Drehbuch“, schrieb Jo-Marie Burt, Peru-Expertin von der George Mason University in Virginia, „sie greift auf Lektionen zurück, die sie unter ihrem Vater gelernt hat, Perus letztem Diktator.“
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