Letzter Ausweg Dschihad

Jordanien Noch ist die Zahl der IS-Anhänger im Haschemitischen Königreich überschaubar. Doch ziehen immer mehr junge Männer in den Krieg nach Syrien
Ausgabe 02/2015

„Wir sind auf der Seite des Islamischen Staates, und ihr seid auf der Seite Obamas und der Ungläubigen“, schreit Ahmed Abu Ghalous wütend. Der hochgewachsene Mann im blauen Gefängnis-Overall wird wegen „Unterstützung terroristischer Ansichten“ von jordanischen Richtern zu fünf Jahren Haft verurteilt. Wegen Beleidigung des Gerichts bekommt er für seinen Schmähruf noch eine Geldstrafe von 50 Dinar (60 Euro) obendrauf.

Es ist ein sonniger Morgen in der Hauptstadt Amman. Die drei uniformierten Richter des Staatssicherheitstribunals arbeiten sich zügig durch einen Stapel aus dünnen grauen Mappen. Die Anklage lautet in jedem der 25 Fälle, die an diesem Tag aufgerufen werden: Unterstützung der Terrormiliz Islamischer Staat (IS). Solches wird auch Thamer al-Khatib vorgeworfen, der sich nach Abu Ghalous verantworten muss und wie andere Angeklagte den buschigen Bart eines frommen Salafisten trägt. Er protestiert: „Warum ist es erlaubt, Sympathie für Baschar al-Assad zu bekunden, nicht aber für den IS? Assad lässt Frauen und Kinder ermorden!“

Khatibs Frage bleibt ohne Resonanz. Er ist nicht der Einzige, der sie stellt. Viele sunnitische Muslime weit über die Grenzen Jordaniens hinaus sehen voller Groll, wie westliche Regierungen und deren arabische Alliierte gegen die Dschihadisten mobilmachen und Assad militärisch entlasten.

In und vor dem Gerichtshof herrscht ein strenges Sicherheitsregime. Niemand soll sich ohne Erlaubnis Zugang verschaffen. Im Verhandlungssaal umgibt ein Metallkäfig die Anklagebank. Angehörige, die in den Gängen warten, müssen mit ansehen, wie sich Gefangene in Handschellen und Fußfesseln mühsam vorbeischleppen. Gelegentlich sind „Allahu Akbar“-Rufe zu hören. Keine Frage, die Justiz des Königreiches Jordanien hat schnell reagiert, um schon die geringsten Zeichen der Sympathie für den IS und andere extremistische Gruppen wie die Al-Nusra-Front im Keim zu ersticken. „Wir wollen den Terrorstrukturen jegliche ideologische Basis entziehen“, so Regierungssprecher Mohammed al-Momani.

Nichts zu verlieren

Er empfinde es als entmutigend, was sich derzeit vor den Gerichten abspielt, klagt der Anwalt Musa Abdallat, der 17 Klienten vertritt, die wegen mutmaßlicher Bekenntnisse zu einem radikalen Islam vor Gericht stehen. „Diese Leute sind schwer zu verteidigen“, so Abdallat. „Die Richter ignorieren in der Regel die Anträge der Verteidigung und verhängen harte Strafen. Es reicht, dass viele der Beschuldigten auf Facebook den selbsternannten Kalifen Abu Bakr al-Baghdadi gepriesen oder ihm Treue geschworen haben.“

Von den vier arabischen Staaten, die sich an der von den USA geführten Anti-IS-Koalition beteiligen, verfügt allein Jordanien über eine gemeinsame Grenze sowohl mit dem Irak als auch mit Syrien. Der berüchtigte Kommandeur Abu Musab al-Zarqawi, der nach 2003, dem Zeitpunkt der US-Intervention, mit al Qaida im Irak einen Vorläufer des IS gegründet hatte, stammte aus Jordanien. Bei einem Anschlag der Gruppe im Jahr 2005 auf ein Hotel in Amman starben 60 Menschen. „Jordaniens 11. September“, wie dieses Attentat bis heute oft genannt wird, um daran zu erinnern, welche Folgen religiöser Fanatismus haben kann. König Abdullah II. und seine Regierung machen kein Hehl daraus, welche Haltung sie im Widerstand gegen den IS für die einzig angebrachte halten: „Selbst wenn uns die militärischen Ziele ausgehen sollten, geht der Kampf an den sicherheitspolitischen und ideologischen Fronten weiter, auch wenn die Dschihadisten in Jordanien kein Umfeld haben, in dem sie gedeihen könnten“, meint Regierungssprecher al-Momani.

Jordanische Gralshüter einer salafistischen Weltanschauung wie Abu Muhammad al-Maqdisi sitzen mittlerweile hinter Gittern oder ziehen sich aus Angst vor einem Zugriff durch die Sicherheitspolizei Mukhabarat zurück. Imame, die als extremistisch gelten, verlieren ihre Ämter. Das Volk hört die Botschaft des Königs: Propagiert die Werte des modernen Islam und verurteilt die Takfiri-Schule, die dem IS dazu dient, barbarische Exekutionen Abtrünniger und Andersgläubiger zu rechtfertigen.

Jordanischer Soldat an der Grenze zum Irak

Foto: AFP/Getty Images

Jordaniens Gegenwehr beruft sich auf die vor mehr als einem Jahrzehnt erlassenen Anti-Terror-Gesetze. Schließlich sollen um die 2.000 Jordanier in Syrien kämpfen und damit nach Saudis und Tunesiern für das drittgrößte IS-Kontingent aus einem arabischen Land sorgen. In einem für den IS typischen, aalglatten und abschreckenden Video mit dem Titel „Botschaft an den jordanischen Tyrannen“ tätschelt ein lächelnder, schwarz gekleideter junger Mann mit langen Haaren den Sprengstoffgürtel, den er um die Hüfte trägt, und verbrennt dabei den Reisepass. Seine Kampfgenossen preisen anschließend den 2006 im Irak getöteten Al-Qaida-Führer Abu Musab al-Zarqawi in den höchsten Tönen.

Angaben darüber, wie groß der Rückhalt für den IS in Jordanien wirklich ist, gehen auseinander. Die Medien würden übertreiben, moniert die Regierung. Der Islamwissenschaftler Marwan Shehadeh, der zu salafistischem Aktivismus forscht, schätzt die Zahl der Sympathisanten auf etwa 10.000. Die meisten würden sich erst seit den dramatischen Geschehnissen vom Sommer zum IS bekennen. „Es war ein Fehler, Amerika ein williger Koalitionär zu sein, auch wenn es großen Druck aus Washington gab, wie ein Prellbock zu verhindern, dass IS-Kräfte die israelische Grenze erreichen.“ Der Meinungsforscher Muin Khoury gelangt zu einem ähnlichen Urteil. „IS-Sympathisanten fühlen sich von den USA und Israel gedemütigt. Das sind Leute, die schon länger die Meinung vertreten, es finde ein Kreuzzug gegen den Islam statt. Natürlich haben sie dann etwas dagegen, wenn Jordanien im Anti-IS-Lager steht.“

Der angesehene Ex-Minister Adnan Abu Odeh meint, die Regierung vollführe einen „Drahtseilakt“. Sicherlich sei viel Ideologie im Spiel, aber entscheidender seien Armut und Hoffnungslosigkeit, besonders bei den Jungen. „Man hört immer mehr Geschichten von enttäuschten Jordaniern, die nach Syrien in den Krieg gezogen sind. Das sind Menschen mit äußerst geringer Bildung. Sie haben nichts zu verlieren. Egal, wie hoch das Gehalt ist, das sie vom IS erhalten – es wird immer mehr sein als das, was sie zu Hause verdienen könnten.“ Vor kurzem skandierten Straßenverkäufer im Abdali-Viertel von Amman Parolen des IS und verhöhnten Polizisten, als die einen illegalen Flohmarkt räumten. „Daesh“, wie der IS auf Arabisch abfällig genannt wird, ist bei den Jordaniern eines der wichtigsten Gesprächsthemen überhaupt und Gegenstand für endlosen Tratsch.

Wie einsame Wölfe

„Wozu sollte ich mich mit dem Alltagstrott herumschlagen, wenn ich in Mossul 400 Dollar im Monat verdienen kann, eine Frau bekomme und nach den Regeln des Islam leben kann?“, hörte ein Taxichauffeur einen Fahrgast zu seinem Begleiter sagen. Es kursieren Gerüchte, wonach Jordanierinnen, deren Ehemänner für den IS gefallen sind, aus den Schatullen der Dschihadisten großzügige Witwenrenten beziehen.

Ungeachtet dessen hinterlässt das scharfe Vorgehen gegen jedwede IS-Agitation Wirkung. In der von Armut gezeichneten Stadt Maan im Süden des Landes sind schwarze IS-Flaggen, die noch im Sommer an vielen Stellen im Wind wehten, wieder verschwunden. Im konservativen Ammaner Quartier Hay Nazzal findet man an den Häusern zwar jede Menge Parolen, deren Verfasser Israel den Tod wünschen, über den IS aber kein Wort verlieren. Erst vor kurzem wurde hier ein Salafist, dem die Nähe zu terroristischen Gruppen nachgesagt wurde, von maskierten Spezialeinheiten verhaftet. Man stürmte seine Wohnung, während auf den umliegenden Dächern Scharfschützen Stellung bezogen.

Aus dem gleichen Bezirk kommt der Märtyrer Jihad Ghaben. Der junge Mann engagierte sich in der Hirak-Bewegung, deren Straßenproteste in jenem kurzen Kapitel, das Jordanien 2011 zum Arabischen Frühling beisteuerte, eine gewisse Rolle spielten. Im Vorjahr hängte Ghaben sein Studium an den Nagel, um sich in Syrien der Al-Nusra-Front anzuschließen. Im letzten Facebook-Posting vor seinem Tod drohte er den Amerikanern, sie müssten durch „Flüsse von Blut“ waten und würden es mit den „Messern Zarqawis“ zu tun bekommen, sollten sie eingreifen. Da sich in Jordanien nichts verändere, habe er keine andere Wahl, „als in den Dschihad zu ziehen“.

Anders liegt der Fall bei Omar Khadr, der nach Syrien zog, weil er Assad bekämpfen, nicht weil er einen islamischen Staat aufbauen wollte. Nach sechs Monaten setzte sich der 17-Jährige desillusioniert in die Türkei ab und bat bei der jordanischen Botschaft in Ankara um Hilfe, die ihm verweigert wurde. Als Omar in Amman landete, wurde er von Beamten der Staatssicherheit in Empfang genommen. Inzwischen sitzt er einen fünfjährigen Arrest wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung ab. „Dabei handelte es sich um nichts weiter als jugendlichen Enthusiasmus“, meint der Vater. „Omar hat den Syrien-Krieg in den sozialen Medien genau verfolgt. Jemand schickte ihm Bilder von der Al-Nusra-Front. Ich habe den Staatsanwälten im Staatssicherheitsgericht gesagt: ‚An Ihrer Stelle würde ich meinen Sohn begnadigen. Andernfalls machen Sie ihn zu einem Unterstützer des IS. Wem ist damit geholfen?‘“

Der Staatssicherheitsdienst Mukhabarat ist zweifellos effektiv und weiß um das große Vertrauen in der Bevölkerung. Was soweit geht, dass Fans des Fußball-Clubs Al-Faisaly Amman vor einem Match patriotische Slogans skandieren und den König auffordern, den IS zu zerschlagen. „Wenn ich mit anhören müsste, wie sich jemand anerkennend über ‚Daesh‘ äußert, würde ich ihn auf der nächsten Polizeiwache melden“, meint ein Taxifahrer, der jahrelang in der Armee gedient hat. Diese Sympathisanten seien gefährlich wie einsame Wölfe. Deshalb gäbe es überall Leibesvisitationen und Metalldetektoren in den Hotels und Regierungsgebäuden.

Natürlich dürfe die Sicherheit nicht unterschätzt werden, sagt Abu Odeh, ein Berater des 1999 verstorbenen Königs Hussein, aber dies könne kein Vorwand sein, die Notwendigkeit wirklicher politischer Reformen in Jordanien zu leugnen. Die Angst vor dem Terrorismus ersticke die Debatte um gesellschaftlichen Wandel. „Selbst wenn es gelingt, den IS auf dem Schlachtfeld zu besiegen“, so Abu Odeh, „wird man ihn damit nicht vernichtet haben. Um seine Ideen aus der Welt zu schaffen, muss es in der arabischen Welt genuine Reformen geben. Der IS hat denen, die das bestreiten, eine Ausrede geliefert. Ironischerweise werden dadurch die Gründe am Leben erhalten, aus denen heraus der IS überhaupt erst entstanden ist.“

Ian Black ist einer der Nahost-Korrespondenten des Guardian
Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Ian Black | The Guardian

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