Der Favorit für das Amt des ägyptischen Präsidenten bei den Wahlen im September ist wenig entzückt über die NATO-Bombardements in Libyen. Lieber wären ihm eine Waffenruhe und eine politische Einigung mit Muammar al-Gaddafi. Der alt-gediente ägyptische Diplomat Amr Moussa hat im März eine zentrale Rolle gespielt, um arabischen Beistand für die Luftschläge der NATO zu mobilisieren. Jetzt aber überprüft er seine Haltung: „Wenn ich sehe, dass Kinder getötet werden, muss ich Bedenken haben. Vor dem Risiko ziviler Opfer habe ich gewarnt.“
Die westliche Allianz muss vergangene Woche einen Fehler einräumen, als neun Zivilisten, darunter Kinder, in Tripolis von einer fehlerhaften Rakete getötet wurden. Die libysch
ie libysche Regierung sprach indes von weiteren 15 Toten bei einem Angriff im Westen der Stadt, dessen Beschuss die NATO bestätigte. Arabische Unterstützung in der Form eines Plazets der Arabischen Liga war für den von Franzosen und Briten angeführten Einsatz von entscheidender Bedeutung, als er im März nach Mehrheitsbeschluss des UN-Sicherheitsrates begann. Inzwischen ist in Europa immer öfter zu hören, die arabische Welt stelle sich in puncto Libyen-Einsatz gegen den Westen. „Die Arabische Liga sagt uns, dass wir die Unterstützung der arabischen Welt verlieren“, so eine Quelle, die an den Verhandlungen über Libyen beteiligt ist.Gegenüber dem Guardian machte Moussa deutlich, er glaube nicht daran, dass Militäreinsatz einen Durchbruch herbeiführen könne. „Es wird kein eindeutiges Ende geben. Der Zeitpunkt ist gekommen, um zu tun, was in unserer Macht steht, so dass eine politische Lösung gefunden wird. Am Anfang muss ein echter Waffenstillstand stehen, der international überwacht wird. „Bis dahin wird Gaddafi im Amt bleiben ... Dann wird eine Übergangsphase folgen, in der es darum gehen müsste, ein Einvernehmen über die Zukunft Libyens zu erzielen.“ Auf die Frage, ob dies ein Ende der NATO-Luftschläge bedeute, antwortete Moussa: „Ein Waffenstillstand ist ein Waffenstillstand.“Asyl für Gaddafi Laut führender Brüsseler Diplomaten, die mit der Libyen-Krise befasst sind, gibt es absolut keine Anzeichen dafür, dass Gaddafi daran denkt, aufzugeben. Sie äußerten gleichsam die Ansicht, dass die Führung der Opposition nicht mit ihm verhandeln werde und seinen Abtritt zur Vorbedingung jeder Verhandlungslösung erklärt. Wiederholte Waffenstillstandsangebote von Gaddafi wurden von der NATO und westlichen Regierungen als bedeutungslos qualifiziert.„Gegenwärtig wird auf verschiedenen politischen Kanälen versucht, dem Gaddafi-Regime klar zu machen, dass es abtreten muss“, sagt ein hochrangiger EU-Funktionär. UN-Gesandte, die russische Regierung und Südafrika haben entweder direkt mit ihm oder seiner Entourage gesprochen – doch konnten sie alle keine Fortschritte vermelden. Amr Moussa stand der Arabischen Liga zehn Jahre lang vor. Vor drei Wochen legte er das Amt offiziell nieder, wird es aber vorerst kommissarisch weiter führen, bis ein Nachfolger im September die Geschäfte übernimmt. Er deutet an, prüfen zu wollen, ob es Länder in Afrika oder dem Nahen Osten gibt, die bereit wären, Gaddafi Asyl zu gewähren und bringt sogar die Möglichkeit ins Spiel, dass der Staatschef nach einem Rücktritt ihn Libyen bleiben könne. Trotz seiner Bedenken wegen der Luftschläge, so Moussa, habe die Arabische Liga diese wegen der Angriffe auf Zivilisten durch Truppen Gaddafis ursprünglich unterstützt. Die Haltung der Liga auf die Ermordung von etwa 1.400 Zivilisten durch das syrische Regime sei indes eine andere. „Bei Libyen herrschte Einstimmigkeit – bei Syrien gibt es Bedenken aufgrund politisch strategischer Überlegungen.“Assads Aussichten schwindenDie arabischen Führer sind besorgt über den Einfluss der syrischen Krise auf den Libanon, den Irak, Jordanien und die Kurden-Region. „Nichtsdestotrotz", so Amr Moussa, „sind wir entsetzt darüber, was in Tunesien, Syrien, Libyen, dem Jemen passiert ist ... Der Mehrzahl der Mitglieder der Arabischen Liga ist nicht wohl bei dem, was in Syrien vor sich geht.“ Über den Präsidenten Bashar al-Assad meint Moussa: „Seine Aussichten schwinden. Es ist ein Wettlauf zwischen Reform und Revolution. Die Aufstände der vergangenen Monate werden an keiner arabischen Gesellschaft spurlos vorüberziehen.“Im Alter von 74 Jahren schien Moussa wenig als Galionsfigur der ägyptischen Revolution zu taugen. Doch offenbar ist er unter den jüngeren Führern beliebt, die beim Sturz des Mubarak-Regimes im Februar mithalfen, und genießt deren Vertrauen. Und dies, obwohl er eben diesem Regime viele Jahre lang als führender Diplomat, Botschafter und Außenminister gedient hatte. Er kandidiert in einer Wahl um das Amt des Präsidenten, die seiner Meinung nach frühestens Ende 2011 stattfinden sollte. Im Falle seiner Wahl würde er aber wegen seines Alters nur für eine Legislaturperiode im Amt bleiben wollen.