Liebe, nicht Glück

Kinder Machen Kinder ihre Eltern wirklich zu glücklicheren Menschen? Und was ist mit Kinderlosen? Warum es ein Fehler ist, sein Glück von dem seiner Kinder abhängig zu machen

„Ich war nie so glücklich wie nach der Geburt meines ersten Kindes und dies zum Teil deshalb, weil mein Leben sich nicht mehr nur um mich drehte.“ So erklärte mir eine meiner Freundinnen die Euphorie nach der Geburt ihrer Tochter. Die meisten Mütter würden wohl zustimmen, dass ein Kind zu bekommen, einen Höhepunkt im Leben darstellt. Auch Männer erzählen sich gegenseitig, dass Kinder ihr Leben zum Guten verändert hätten. Ein Vater sagte mir, er glaube, dass es in unserer areligiösen Gesellschaft Kinder seien, die dem Leben einen Sinn verleihen.

Aber machen Kinder, nachdem die anfängliche Aufregung erst einmal verflogen ist, ihre Eltern wirklich glücklicher? Ein hervorragend argumentierender Artikel im Magazin New York vertritt die Ansicht, Kinder machten uns überhaupt nicht glücklicher. Die Autorin Jennifer Senior äußert sogar die Ansicht, es sei häufiger so, dass Kinder ihre Eltern unglücklich machen. Und je mehr Kinder man habe, desto größer sei die Wahrscheinlichkeit, unglücklich zu sein. Eltern sind nicht glücklicher als ihre kinderlosen Altersgenossen. „Aus der Perspektive der Gattung ist vollkommen klar, warum Menschen Kinder bekommen. Aus der Perspektive des Individuums ist es allerdings rätselhafter als man meinen könnte.“ Und sie verfügt über eine Menge eindeutiger Forschungsergebnisse, um ihre Ansicht zu untermauern.

Der mit dem Nobelpreis ausgezeichnete Verhaltensökonom Daniel Kahneman fand heraus, dass texanische Mütter (sind sie eine spezielle Kategorie?) erst an 16. Stelle die Kinderbetreuung nannten, als sie nach Dingen gefragt wurden, die ihnen im Alltag Genuss bereiten. Kinderbetreuung kam etwa nach Schlafen, Einkaufen, Telefonieren. Darüber hinaus sind sich alle Forscher darin einig, dass Kinder sich negativ auf eine Ehe auswirken, weil die Ehepartner mehr Zeit mit den Kinder und weniger miteinander verbringen. Eine schottische Studie, die den Freuden der Elternschaft Tribut zollt, ließ zwar für kurze Zeit Hoffnung aufkeimen. Dann wurde aber klar, dass der arme Forscher einen Kodierungsfehler in seinen Daten hatte.

Keine Frage des Glücks der Eltern

Als ich den Text las und seinen Tabubruch genoss – denn schließlich darf man nicht laut sagen, dass Kinder einen unglücklich machen –, drängte sich mir die Frage auf, warum wir überhaupt erwarten sollten, dass unsere Kinder uns glücklich machen. „Erwartung“ und „Glück“ sind Worte, die nicht zusammenpassen – es ist ein Fehler, sich von irgendeiner Sache „Glück“ zu versprechen. Und nicht nur das: Kinder zu haben ist überhaupt keine Frage des persönlichen Glücks der Eltern. Bekommen wir wirklich nur aus den egoistischsten Gründen Kinder – damit es uns besser geht?

Ich begann zu begreifen, dass ein viel interessanteres und beunruhigenderes Thema hinter dieser Frage verborgen liegt: Wie nämlich unsere Glückserwartung auf heimtückische Weise Einfluss auf unsere Kinder und die Art und Weise ausübt, wie wir sie erziehen. Denn unser Glück ist untrennbar mit dem Glück unserer Kinder verbunden, oder wie eine andere Freundin ihre trübselige Philosophie oft in Worte fasst: „Als Mutter kann man immer nur so glücklich sein wie sein am wenigsten glückliches Kind.“

Als mein erster Sohn zur Welt kam, konnte ich ihn nicht schreien hören. Ich konnte mich nicht entspannen und nicht akzeptieren, dass wir alle weinend auf die Welt kommen – we came crying hither, wie Shakespeare es kühl formulierte. Ich wollte, dass mein Sohn glücklich ist. Und noch unrealistischer: Ich wollte, dass er immer glücklich ist.

Ein nicht realisierbarer Traum

Die Wünsche einer jungen Mutter stehen in Konflikt mit den Wünschen ihres Nachwuchses. Die Mutter wird von einem nicht-realisierbaren Traum beherrscht. Sie möchte, dass er immer schön sauber und ruhig ist. Das Baby jedoch hat anderes im Sinn. Die Frage, die sich hier stellt, ist die, wer von wem abhängig ist: Macht die Mutter das Baby glücklich oder anders herum? Oder ist es überhaupt möglich, jemanden glücklich „zu machen“?

Oft habe ich Eltern darüber reden hören, dass ihre Kinder unglücklich sind, als handele es sich hierbei um einen Charakterfehler und die Kinder seien nur dann vollkommen, wenn sie glücklich sind. Eltern haben schreckliche Angst vor dem Unglück. Ich weiß, dass ich mit der verrückten Hoffnung nicht allein bin, dass meine Kinder auf ewig zufrieden sein werden. Das ist dumm, denn schließlich bedeutet Leben Veränderung und damit manchmal eben auch, unglücklich zu sein.

Warum also hängen wir so hartnäckig dem Wunsch von der glücklichen Familie nach? Und warum geben wir dieses Bedürfnis weiter? Als einer meiner Zwillinge vier war, saß ich eines Tages total kaputt auf dem Sofa. Er kam zu mir und sagte mit besorgter Stimme: „Du bist ein wenig müde“, um dann mit dem beruhigendsten Tonfall, zu dem er fähig war – sicher auch ein Stück weit, um sich selbst zu beruhigen – hinzuzufügen: „Aber sehr glücklich.“ Ich musste lachen.

In der vergangenen Woche war ich bei einer Reihe von Schulaufführungen und sah eine ganz hervorragende Inszenierung von Herr der Fliegen – die Klasse hatte den mutigen Schritt gewagt und ein Musical daraus gemacht. William Goldings Roman ist das brutalste Korrektiv jeder Sentimentalität über Kinder, denn es beschreibt die Gewalt, zu der sie imstande sind. Diese Botschaft kam auch in Form der Lieder gut rüber: Kinder selbst sind keine guten Fürsorger. Während ich mir das Stück ansah, wurde mir klar, dass Eltern schlicht für das Überleben ihrer Kinder notwendig sind. Mit Glück hat das nichts zu tun.

Im Familienalbum lächeln fast alle Gesichter

Für die Eltern im Publikum, die sich vorbeugten, um ihre Kinder zu fotografieren, war das Glück allerdings zugegen und sie waren begierig darauf, es so oft wie möglich festzuhalten. Sie konzentrierten sich weniger auf das Stück als vielmehr auf die winzigen Rollen, die ihre Kinder darin spielten. Das alles kann einem ein wenig klaustrophob und egoistisch erscheinen. Doch der Alltag von Eltern ist oft mühselig genug und eine Schulaufführung stellt da eine luxuriöse Ausnahme dar. Gleichzeitig bietet sie die Möglichkeit, ein ideales Archiv anzulegen. Wenn ich mir meine Familienalben ansehe, so gibt es darin kaum ein Gesicht, das nicht lächelt und kaum Tage, an denen nicht die Sonne scheint: Wir scheinen ein permanent glückliches Leben zu führen.

Ich wünsche mir, das wäre die wahre Geschichte und als Mutter ist es auch einfacher, das Glück retrospektiv zu empfinden: Wenn man aus dem Urlaub zurück ist, nach einer Geburtstagfeier, wenn der Lärm aufgehört hat und die Kinder gewaschen im Bett liegen. Bilder haben den Vorteil, dass auf ihnen kein Lärm zu hören ist.

Den neuen Forschungsergebnissen, die nahe legen, dass Menschen ohne Kinder genauso glücklich oder unglücklich sind wie Eltern, sollte man hinzufügen, dass es oft die Kinderlosen sind, die am kreativsten und großzügigsten mit den Kindern anderer umgehen. Als Mutter oder Vater geht einem schnell die Puste aus, wenn es darum geht, die Kinder zu unterhalten. Vielleicht können wir uns auf das Glück als Großeltern freuen, weil deren Beziehung zu ihren Enkelkindern leichter und zeitlich befristet ist.

Wie dem auch sei: Wir sollten versuchen, uns von unserem Glücksdruck zu entlasten. Das Glück kommt nicht, wenn man es ruft. Die glücklichsten Augenblicke, die ich mit meinen Kindern erlebt habe, waren nicht selten die, die wir am wenigsten geplant haben. Aber schließlich geht es bei der Erziehung von Kindern nicht um Glück, sondern um Liebe – und das sind zwei verschiedene Paar Schuhe.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Kate Kellaway | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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