Lieber Joe Biden, wollen Sie mich veräppeln?

Gesundheit Der designierte Präsident hat einen ehemaligen Strategen der Chemieindustrie in die Umweltbehörde gewählt
Erin Brockovich-Ellis bei einer Demonstration vor dem Kapitol in Washington D.C. im Jahr 2014
Erin Brockovich-Ellis bei einer Demonstration vor dem Kapitol in Washington D.C. im Jahr 2014

Foto: Chip Somodevilla/Getty Images

Seit Jahren versuche ich den Leuten ein einfaches Konzept zu vermitteln: Superman wird nicht kommen.

Ich traue mich zuzugeben, dass ich die Hoffnung hatte, diese neue Regierung würde ein neues Zeitalter einläuten. Aber als die Auswahl für das Übergangsteam der US-amerikanischen Umweltschutzbehörde des designierten Präsidenten Joe Biden bekannt gegeben wurde, war ich entmutigt und besorgt darüber, dass ausgerechnet ein Mitglied der chemischen Industrie mit auf der Liste stand. Wollt ihr mich auf den Arm nehmen?

Ein ehemaliger Biden-Mitarbeiter und ehemaliger stellvertretender Verwalter der Umweltschutzbehörde, Michael McCabe, verließt das sinkende Schiff, um als Kommunikationsberater für DuPont zu arbeiten – zu einer Zeit, als das Chemieunternehmen gerade gegen Regulierungen seiner Star-Chemikalie Perfluoroctansäure (PFOA, auch bekannt als C8) vorgehen wollte. Diese giftige, menschengemachte Chemikalie wird für alles mögliche benutzt: von wasserfester Kleidung über schmutzabweisende Textilien und Lebensmittelverpackungen bis hin zu antihaftbeschichteten Pfannen. Die chemische Verbindung wird mit verringerter Fruchtbarkeit, Krebs und Leberschäden in Verbindung gebracht. Der Guardian berichtete diese Woche, dass ein Professor der Harvard-Universität für öffentliche Gesundheit – Philippe Grandjean, der zu Umweltgesundheit forscht – davor warnt, dass PFAS(Per- und polyfluorierte)-Chemikalien, zu denen auch PFOA/C8 gehört, die Wirksamkeit eines Covid-19-Impfstoffs verringern könnten.

Das riecht nach der Wiederkehr derselben, alten Leier. Um The Who zu zitieren: Triff den neuen Chef, es ist der gleiche wie der alte. Es sollte klar sein, dass jemand, der DuPont zur Vermeidung von Regulierungen beraten hat, keiner ist, den wir als Berater für die neue Regierung haben wollen. PFOA verpestet das Blut nahezu jedes US-Amerikaners und kann von Müttern an ungeborene Kinder im Mutterleib weitergegeben werden. Dieses giftige Industrieprodukt ist eine stabile Verbindung, die in der Umwelt und im menschlichen Körper nicht leicht abgebaut werden kann, woher sein Spitzname rührt: die „Ewigkeitschemikalie“. Wissenschaftler haben diese Chemikalie in Lebewesen auf der gesamten Welt nachgewiesen – von Tieren in der Tiefsee bis hin zu Vögeln, die auf abgelegenen Inseln leben.

Die Umweltbehörde hat bislang keine wirksamen Trinkwassergrenzwerte für perfluorierte Chemikalien, einschließlich PFOA, festgelegt. Zehntausende kommunale Trinkwassersysteme in den USA wurden noch nie auf den Schadstoff getestet.

Fallen wir jetzt schon zurück in alte Muster?

Wie aus einem Artikel von The Intercept hervorgeht, übernahm McCabe im Jahr 2003 die Kommunikation von DuPont bezüglich der giftigen Chemikalie. Zu diesem Zeitpunkt sah sich DuPont mit einer Flut an Rechtsstreitigkeiten konfrontiert, nachdem das Unternehmen 7.100 Tonnen PFOA-Abfall in den US-Bundesstaat West Virginia deportiert hatte. Dort fand die Chemikalie ihren Weg in das Trinkwasser von 100.000 Menschen. Unzählige Einwohner waren in der Folge von lähmenden Krankheiten betroffen. Der Rechtsstreit wurde 2019 unter dem Titel Vergiftete Wahrheit (Dark Waters) verfilmt.

Dabei sollte man bedenken, dass DuPont seit den 60er-Jahren vermutete, ihr Produkt könnte schädlich sein – Experimente aus dem Jahr 1961 zeigten, dass PFOS die Leber von Hunden und Hasen beeinträchtigte. McCabes Arbeit trug unweigerlich dazu bei, dem Unternehmen kostspielige Aufräumarbeiten und zusätzlichen Ärger durch Vorschriften zu ersparen.

Sollen wir heute einem ehemaligen DuPont-Mann vertrauen, der in ein Übergangsteam gewählt wurde, das mit der Überprüfung der Behörde für Industrieunfälle (U.S. Chemical Safety and Hazard Investigation Board) beauftragt ist? Ist das die Art und Weise, mit der die neu gewählte Führung mit ihrer „heilenden“ und „einenden“ Regierungsarbeit anfangen möchte? Fallen wir jetzt schon zurück in die alten Muster des Versteckspiels, der Heimlichkeiten, der Ausflüchte und Leugnungen? Oder werdet ihr doch die Veränderung sein, die wir brauchen, wenn es um die Umwelt geht? Ich weiß nicht, wie die Wahl eines Manns aus der Industrie uns diesem Ziel näher bringen soll.

Keine Frage von rechts oder links

Die Forschung ist da. Sie hat gezeigt, dass die Chemikalie in Verbindung mit den folgenden Krankheiten steht: Nieren- und Hodenkrebs, Colitis ulcerosa, Schilddrüsenerkrankungen, schwangerschaftsbedingter Bluthochdruck und ein hoher Cholesterinspiegel. Der neu gewählte Präsident sagt, dass wir auf die Wissenschaft hören sollen. Hören Sie wirklich auf die Wissenschaft oder hören Sie auf einen Insider aus der Industrie, der die Kommunikation kontrolliert?

Angesichts des Mangels an landesweiten Richtlinien für diese gefährlichen Chemikalien bleibt es den Staaten selbst überlassen, ihre eigenen Regeln zur Durchsetzung von Leitlinien und Vorschriften aufzustellen. Diese und ähnliche Chemikalien vergiften uns seit Jahrzehnten. Es ist an der Zeit zu handeln. Dabei geht es nicht um rechts oder links. Es spielt keine Rolle, auf welcher Seite man ist. Wir können nicht immer und immer wieder Entscheidungen von innen heraus treffen und die Menschen da draußen außen vor lassen.

Was braucht es, damit unsere Regierung mit den Menschen zusammenarbeitet? Hören Sie auf, gegen und getrennt von Gemeinden zu agieren. Schicken Sie ihr Übergangsteam auf die Straßen und lassen Sie es mit denen sprechen, die von diesen Chemikalien betroffen sind. Gehen Sie raus und schauen Sie es sich mit eigenen Augen an, lernen Sie und hören Sie denen zu, die Sie repräsentieren. Hören Sie zu und lassen Sie sich erzählen, was mit denen vor Ort geschieht, die in dieser giftigen Sauerei leben und atmen.

Es ist an der Zeit, Ihre Versprechen zu halten und den Menschen eine Stimme und einen Platz am Verhandlungstisch zu geben, um eine sinnvolle Lösung für die Umwelt und die Menschen zu finden. Knallen Sie uns nicht wieder die Tür vor der Nase zu. Wir sind in diesem Schlamassel, weil wir genau so weiter machen.

Lasst uns nicht vergessen, woher diese Chemikalien stammen und wer dafür verantwortlich ist, dass sie in unserer Umwelt gelandet sind. Bringen wir nicht den Fuchs zurück in den Hühnerstall. DuPont-Führungskräfte sollten in der Umweltbehörde keinen Platz haben.

Ich forder Joe Biden auf, das Richtige zu tun.

Erin Brockovich (heute: Erin Brockovich-Ellis) ist eine US-Rechtsanwaltsgehilfin mit dem Schwerpunkt Umweltverschmutzung. Ihre Lebensgeschichte wurde im Jahr 2000 unter dem Titel Erin Brockovich verfilmt

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Konstantin Nowotny
Geschrieben von

Erin Brockovich | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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