Machismo in den Finanzetagen

Streitgespräch Ein riskantes und männerdominiertes Finanzsystem bricht zusammen. Frauen könnten eine wichtige Rolle beim Aufbau eines ausgeglicheneren Systems einnehmen. Ein Roundtable

Die Schwächen eines überwiegend von Männern aufgebauten riskanten Finanzsystems treten in der derzeitigen Krise offen zutage. Sieben Frauen aus der Finanz- und Geschäftswelt diskutieren, ob einer der Gründe für den Zusammenbruch des Kreditsystems im männlichen Machogehabe liegt. Wie erleben Frauen, die in der Wirtschaft tätig sind, den risikobereiten Machismo?

Ros Altmann, 52, unabhängige Investment-Bankerin und Renten-Expertin, Präsidentin und (nicht am Management beteiligte) Direktorin der London School of Economics, lebt in London, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Ros: Ich habe überhaupt keinen Zweifel daran, dass exzessiver Machismo bei alledem eine ganz entscheidende Rolle spielt, speziell die Vorstellung, dass man immer einen Schritt voraus sein und die Konkurrenten allzeit übertrumpfen muss. Es gibt nicht das auf Zusammenarbeit ausgerichtete Denken, das in einer von Frauen bestimmten Umgebung vorherrschen würde: Es geht immer darum, der Beste und Erste zu sein, beinahe ohne Rücksicht auf die Risiken. Ich sage freilich nicht, dass, wenn Frauen in der Verantwortung gestanden hätten, alles anders gelaufen wäre, wenn aber mehr Frauen bei der Führung der Geschäfte etwas zu sagen gehabt hätten, dann hätten sie eher dazu tendiert, eine längerfristige Perspektive einzunehmen.

Ruth Lea, 61, Wirtschaftsberaterin bei der Arbuthnot Banking Group, lebt in London, ist alleinstehend und kinderlos

Ruth: Ich stimme dem teilweise zu. Ich habe bei Lehman Brothers gearbeitet und dort war die Atmosphäre stark von Machismo geprägt. Das ist jetzt zehn Jahre her, aber es war damals überwiegend männerdominiert und ich vermute, die meisten Finanzinstitutionen sind es immer noch. Alles dreht sich darum, Risiken einzugehen, man geht auf Raubzug. Das Problem besteht darin, dass diese Mentalität von den Investmentbanken auf die anderen Banken übergegangen ist und das ganze Finanzsystem erfasst hat.

Emma Howard Boyd, 40, Vorsitzende von Socially Responsible Investment and Governance und Geschäftsführerin bei Jupiter Asset Management, lebt in Kent, ist verheiratet und hat drei Kinder.

Emma: Ich glaube nicht, dass es um Männer und Frauen geht. Es geht vielmehr um die verschiedenen Einstellungen dazu, ein Risiko einzugehen. Wir müssen Investitionen und die damit verbundenen Risiken differenzierter betrachten.

Charlotte Crosswell, 37, leitende Angestellte bei Nasdaq OMX Europe, lebt in West-London, alleinstehend, ein Kind.

Charlotte: Ich denke, dass Frauen eine andere Einstellung gegenüber Risiken haben, aber in der Wirtschaft ist man eben gezwungen, Risiken einzugehen. Ich halte viel von dem Argument, dass man Vielfalt braucht, um einen Ausgleich zu erhalten. Man beginnt so langsam, das zu erkennen, aber es ist noch ein langer Weg hin zu wirklicher Gleichberechtigung.

Ros: Es braucht einen Ausgleich zu all dem Testosteron, und diesen Ausgleich gab es nicht, jedenfalls nicht in ausreichendem Maße.

Toni Eastwood, 41, Training Director bei Everywoman

Toni: An der Spitze der Banken herrscht keine Ausgeglichenheit. Je höher es hinaufgeht, desto weniger Frauen trifft man an. Sie haben keinen Einfluss in den Führungsetagen, ihre Stimme wird dort nicht gehört.

Cary Mash, Chief Executive of Mxdeo.com aus Wimbledon; verlobt, zwei Kinder

Cary: Ich stimme Charlotte zu. Es ist nicht unbedingt notwendig, dass überall Frauen beteiligt sind, aber es ist durchaus wichtig, eine gute Mischung aus Leuten mit verschiedenen Denkweisen zu haben. Ich persönlich habe als Gründerin eines Technologie-Unternehmens die Erfahrung gemacht, dass diejenigen Firmen am erfolgreichsten sind, deren Leute verschieden gestrickt sind und unterschiedlich denken, risikofreudige wie ruhigere Leute gleichermaßen. Es herrscht ein gewisser Herdentrieb unter den Bankern. Alle wollen dazu gehören.

Ros: Man will nicht als Schwächling dastehen. Wer keine Risiken eingeht, gilt als Feigling. Welcher Mann würde da protestieren? Das ist schlicht undenkbar.

Toni: Und welche Frau würde sich in diesem Umfeld hinstellen und sich als Feigling outen? Selbst wenn es mehr Frauen gäbe, bleibt es dabei, dass die Leute in diesen Kreisen sich nicht grundsätzlich voneinander unterscheiden. Frauen manchen da keine Ausnahme. Vielleicht bekommen sie früher Bauchschmerzen, aber letztlich müssen auch sie entweder mit den Wölfen heulen oder ihren Hut nehmen.

Janice, 50, Mitherausgeberin des Spectator Business Magazine, Co-Autorin eines Buches, das sich mit der Work-Life-Balance von Frauen beschäftigt.

Janice: Freilich gibt es den Thatcher-Faktor – dass Frauen sich wie Männer benehmen müssen. Ich finde das schrecklich. Im Bereich des Fondsmanagement beispielsweise bevorzugen viele Firmen Frauen, weil sie besser mit den Kunden umgehen können und ihre Leute besser behandeln, langfristig scheiden aber mehr Frauen aus diesem Bereich aus, weil ihnen ihre Familie und ihr Privatleben dabei zu kurz kommt.

Charlotte: Es ist leichter, eine Teilzeitkraft zu kündigen als jemanden, der voll beschäftigt ist. Ob das ein Mann oder eine Frau ist, spielt dabei meiner Meinung nach keine Rolle.

Toni: Gegenwärtig werden viele Frauen in gering qualifizierten, schlecht bezahlten Jobs entlassen. Sie werden es aufgrund ihrer meist geringen Qualifikation schwerer haben, wieder in Arbeit zu kommen.

Ros: Dies ist der erste allgemeine Anstieg der Arbeitslosenzahlen, seitdem Frauen in großer Zahl berufstätig sind. Es mag schlimmer erscheinen, aber ich glaube nicht, dass wir mehr leiden als die Männer.

Ruth Lea: Wir leben in einer Dienstleistungsgesellschaft, in der mehr Frauen arbeiten. Entsprechend sind in einer Krise auch mehr Frauen betroffen. Aber ich würde das nicht zu hoch hängen. Die allermeisten Männer identifizieren sich wesentlich stärker mit ihrer Arbeit als Frauen dies tun. Ich kann mich noch daran erinnern, wie schlimm es für viele Männer war, als sie im Zuge der achtziger Jahre ihren Job verloren. In vielen Fällen waren es dann die Frauen, die weiter arbeiten gingen.

Emma: Ich denke, man sollte hier auch noch mal über Arbeitszeitgestaltung reden. Ich wette, viele Frauen und Männer würden Flexibilität der Arbeitslosigkeit in jedem Falle vorziehen.

Cary: Sollte die Krise wirklich dazu führen, dass die Unternehmen mehr flexible Arbeitszeitmodelle einführen, wäre dies in der Tat ein Segen. Viele fähige Frauen erhielten dann eine Chance, auf die sie bislang vergebens warteten.

Ros: Ich denke, am meisten gefährdet sind die älteren, Frauen wie Männer gleichermaßen, weil viele Chefs denken, diese Leute könnten nichts mehr leisten.

Charlotte: Ich würde als Arbeitgeberin genau andersherum handeln und ältere Mitarbeiter schon allein deshalb nicht entlassen, weil ich bei ihnen ein viel schlechteres Gewissen hätte. Ich glaube nicht, dass Frauen früher von Altersdiskriminierung betroffen sind, eher im Gegenteil.

Janice: Ja, weil die Älteren keine Kinder mehr kriegen. Es sind die jüngeren Frauen, die diskriminiert werden. Wenn man älter ist, steht man nicht mehr unter Verdacht, in Schwangerschaftsurlaub gehen zu wollen.

Denkt Ihr, dass Unternehmen, die von Frauen geführt werden, bessere Aussichten haben, die Krise zu überstehen als solche, die von Männern geleitet werden? Wird sich die Rezession für Frauen und von Frauen geleitete Unternehmen als Chance erweisen?

Cary: Ja, zumindest hoffe ich das. Es könnte durchaus sein, dass die Banken einer Frau eher Geld leihen werden, weil sie davon ausgehen, dass sie verantwortungsvoller damit umgeht. Von Frauen geführte Unternehmen brauchen nur sehr wenig Risikokapital, weil Frauen sich eher realistischere Ziele vornehmen und diese nicht ganz so weit stecken, während Männer eher dazu bereit sind, auf alles oder nichts zu setzen.

Ros: Das Problem ist, dass die Debatte darüber, wie die Krise zu bewältigen sei, von Männern bzw. mit einer männlichen Haltung geführt wird. Wir versuchen die Probleme zu lösen, indem wir dieselbe Politik fortsetzen, die uns diesen Schlamassel eingebracht hat. Die Debatte dreht sich nur um die Frage, wie wir wieder dahin kommen können, wo wie vorher waren, um genau so weiterzumachen bis bisher.

Janice: Wir haben jetzt einen amerikanischen Präsidenten, der von sich behauptet, Feminist zu sein. Das kann zumindest nicht schaden.

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Mit Lust am guten Argument

gekürzte Fassung, Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Ruth Sunderland, The Observer | The Guardian

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