Es ist Wochen her, seit die britische Premierministerin Theresa May im Januar für Annie Leibovitz von der US-amerikanischen Vogue posierte. Die Veröffentlichung der Bilder, auf denen May sitzend mit nach hinten wehendem Haar zu sehen ist, als würde sie in eine Schlacht reiten, fiel diesen Montag mit zwei Ankündigungen aus der Downing Street zusammen. Beide unterstreichen Mays wiedergewonnene Autorität. Diese war angekratzt, nachem sie eine Niederlage für die Ankündigung ihres Haushaltsplanes kassiert hatte. May hatte geplant, die Sozialversicherungsbeiträgen für Selbstständige zu erhöhen, heftige Kritik kam auch ihren eigenen Reihen.
Die erste Ankündigung bestand darin, dass der Brief mit der Austrittserklärung nach Artikel 50 des EU-Vertrages am 29. März abgeschickt werden soll. Damit wird der zwei Jahre andauernde Countdown bis zum Brexit beginnen. Innerhalb von 24 Stunden nach Erhalt des Briefes wird Donald Tusk, der Präsident des Europäischen Rates, den Entwurf für die Verhandlungsrichtlinien an die 27 verbleibenden Mitgliedsstaaten weiterleiten. Die vorbereitenden Maßnahmen im Brexit-Prozess sind dann abgeschlossen.
Die zweite Ankündigung bestand darin, dass es definitiv keine Parlamentswahlen mehr geben wird, bevor die Legislaturperiode 2020 ausläuft. Die Absage der Premierministerin war so entschieden wie nur irgend möglich. Wenige Minuten nach der Ankündigung lagen Ergebnisse der jüngsten Umfrage des Guardian zusammen mit dem Meinungsforschungsinstitut ICM von 45 Prozent vor. Der Vorsprung der Tories vor Labour fiel mit 19 Prozentpunkten so groß aus, wie seit Anfang der Achtziger Jahre nicht mehr. Nicht einmal das schnelle Einknicken Mays im Haushaltsstreit machte sich in der Umfrage bemerkbar. Offenbar kann weder eine Premierministerin, die einen zentralen Punkt in ihrem Haushaltsplan nicht durchsetzen kann, noch der weiterreichende Eindruck, dass die Regierung die Lage nicht wirklich im Griff hat, der Unterstützung für die Konservativen etwas anhaben – wenn die Alternative in der Labour-Partei Jeremy Corbyn heißt.
Viele in ihrer Partei können nicht verstehen, dass May an ihrem Versprechen festhält, keine vorgezogenen Neuwahlen anzusetzen. Dabei hatte sie dies bereits nach ihrer Vereidigung als Premierministerin vergangenen Juli angekündigt. Ihre Parteikolleginnen und -kollegen sehen in diesem Verzicht eine vertane Chance, sich für einen längeren Zeitraum eine stabile Machtbasis zu sichern. 2011 wurden mit einem neuen Gesetz, dem Fixed-term Parliaments Act, die Möglichkeiten begrenzt, vorzeitige Parlamentswahlen innerhalb der fünfjährigen Legislaturperiode durchzuführen. Das passt der konservativen Partei um Theresa May nun gar nicht. Der frühere Tory-Vorsitzende William Hague schlug dann vergangene Woche auch vor, das neue Gesetz gleich vollständig aufzuheben.
Die Hochrechnungen der Meinungsumfrage von Guardian/ICM legen nahe, dass die Tories eine Mehrheit von 140 Sitzen erreichen könnten, wenn morgen gewählt werden würde. Verglichen damit hat die Regierung gegenwärtig gerade einmal eine arbeitsfähige Mehrheit im unteren zweistelligen Bereich, die mit der Abwicklung der 40-jährigen Beziehung zur EU ein komplexes und strapaziöses Gesetzgebungsprogramm umzusetzen hat. Das Institute for Government schätzt, dass mindestens 15 Gesetze erforderlich sein werden, welche die Kapazitäten des Parlaments fast vollständig erschöpfen dürften.
Und dann ist da die Opposition, deren desolater Zustand nach einem Treffen des Schattenkabinetts am vergangenen Montag einmal mehr offenbar wurde. Jeremy Corbyn und sein Stellvertreter Tom Watson erklärten übereinstimmend, dass die Partei nun Geschlossenheit brauche. Doch sie gingen in keiner Weise darauf ein, wie diese Geschlossenheit zu erreichen sei. Die Labour-Führung richtet ihre gesamte Kraft auf den parteiinternen Machtkampf und erinnert darin an die Situation vor 35 Jahren, wo eine ähnliche Zerrissenheit schon einmal zu einer tiefen Entfremdung mit den Wählern geführt hat. Nicht nur ehrgeizige Tories sehen die Möglichkeit, dass die Opposition auf Jahre hinaus eliminiert werden könnte.
Dass es die Premierministerin in dieser Situation ablehnt, das zu tun, was leicht und opportun wäre, hat daher fast schon etwas Bewundernswertes. Wenn es wirklich dazu beigeträgt, dem Misstrauen in die politische Klasse entgegenzuwirken – eine Hoffnung, die May der Vogue gegenüber äußerte – wäre dies natürlich sehr zu begrüßen. Gleichzeitig erlaubt May das Absehen von Neuwahlen aber auch, maximale Diskretion darüber zu bewahren, wie der Brexit schlussendlich einmal aussehen wird. Und es erlaubt ihr weiterhin zu behaupten, sie beziehe ihr Mandat aus dem Umstand, das Ergebnis des Referendums umgesetzt zu haben. Auch wenn ihr Rückzieher beim Thema Sozialversicherung deutlich macht, dass die Autorität ihrer Regierung von den Parlamentswahlen 2015 herrührt, und nicht von der Abstimmung am 23. Juni.
Es gibt ein ganz grundsätzliches Argument gegen vorgezogene Neuwahlen: Sie könnten auf keine der großen Fragen befriedigende Antworten geben, die eine Wahl klären sollte. Keine Partei kann feste Zusagen über das zukünftige Verhältnis des Vereinigten Königreiches zur EU machen und Pläne für die Zukunft präsentieren, wenn der Zustand der Wirtschaft, die sie im Falle ihres Sieges vorfinden würde, in den Händen der 27 EU-Mitgliedsstaaten liegt. Keine der Versprechungen könnte gehalten werden, was wiederum Theresa Mays erklärtem Ziel, das Vertrauen in die Politik wiederherzustellen, nicht gerade förderlich wäre. Im Gegenteil: Es würde die Politikverdrossenheit nur fördern.
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