Als Sofie Peeters für ihr Filmstudium nach Brüssel zog, stellte sich ihr dort schon bald jedes Mal, wenn sie vor die Haustür trat, ein Problem, das sie außerordentlich frustrierte. Egal zu welcher Tageszeit sie durch ihr Viertel – den Arbeiterbezirk Annessens – lief, folgten ihr Pfiffe, Anmachen, Rufe, sie sei eine Schlampe oder Fragen danach, für wie viel sie zu haben sei.
Irgendwann hatte sie es satt, sich zu fragen, ob sie schuld an diesen Reaktionen sei, weil sie bestimmte Kleidung trägt und befasste sich zum Abschluss eines Semesters filmisch mit dem Thema. Sie bewaffnete sich mit einer versteckten Kamera und dokumentierte die Belästigungen, denen sie auf der Straße ausgesetzt war.
Weibliche Bekannte berichteten ihr, sie selbst würden nie in Rock oder Shorts das Haus verlassen, die Metro und bestimmte Straßen meiden oder niemals Augenkontakt zu Männern aufnehmen. Eine sagte sogar, sie würde sich nur noch auf dem Fahrrad fortbewegen.
Peeters Film Femme de la Rue zeigt auf schockierende Weise die tägliche sexuelle Belästigung auf der Straße und hat auch über die Grenzen Belgiens hinaus heftige öffentliche Debatten ausgelöst. Nachdem er zunächst im Fernsehen und in der vergangenen Woche auch in einem Kino gezeigt wurde, machte er im Internet die Runde.
Rassismusvorwürfe
Belgische Politiker sagten, sie hätten bereits Pläne, gegen sexuelle Beleidigungen und Belästigungen vorzugehen und versprachen, die Täter würden künftig bestraft werden. Feministische Gruppen in Frankreich nahmen den Film zum Anlass, auf ähnliche Probleme in ihrem Land aufmerksam zu machen und das Tabu um Belästigung auf der Straße zu brechen. Andererseits musste Peeters sich auch gegen Rassismusvorwürfe verteidigen. Der Film zeigt vorwiegend männliche Immigranten nordafrikanischer Herkunft.
Peeters trägt in den Aufnahmen Jeans und Strickjacke, dann ein knielanges Sommerkleid und flache Stiefel. Beide Male zeigt die versteckte Kamera anzügliche Blicke, Bemerkungen oder Anmachen von Männern jeden Alters. Sie wird „Hure“ oder „Schlampe“ genannt, bekommt zu hören, sie sehe aus, als sei sie auf Sex aus. Ein Mann lädt sie zu sich nach Hause oder in ein Hotelzimmer ein. Peeters sagt, sie erhalte täglich etwa acht bis zehn solcher Kommentare.
„Zuerst fragen Frauen sich: ,Liegt es an mir? An meinem Verhalten oder meiner Kleidung?' Aber als ich diesen Film gemacht habe, habe ich erkannt, dass es nicht nur mir so geht, dass viele Frauen dieses Problem haben“, sagte Peeters im belgischen Fernsehen.
Eine der im Film gezeigten Frauen sagt, es sei zwar „traurig“, aber selbst wenn sie nur kurz ausgehe, wechsle sie die Kleidung, trage keine Röcke.
Peeters spricht auch mit einer Gruppe von Männern nordafrikanischer Herkunft. Die sagen ihr, sie solle sagen, sie sei verheiratet. Peeters meint dazu: „Mir wurde gesagt: ,Gehe mit einem Mann aus, deinem Freund zum Beispiel und wir lassen dich in Ruhe.' Aber das ist doch lächerlich. Frauen haben das Recht, sich dort zu bewegen, wo sie wollen.“
Pfiffe im Parlament
Gegenüber der Zeitung La Capitale sagte sie, der Großteil der Belästigungen komme zwar von Männern, die aus dem Maghreb stammten, im Film gehe es ihr aber mehr um den sozialen Status des Viertels als um Fragen der ethnischen Herkunft.
Auch in Frankreich, wo im Zuge der Selbstreflexion nach dem Fall Strauss-Kahn gerade ein neues Gesetz gegen sexuelle Belästigung verabschiedet wurde, hat der Film einen Nerv getroffen. Dort wurde vor kurzem die Wohnungsbauministerin Cecile Duflot im Parlamentssaal von Pfiffen und Rufen begrüßt, als sie in einem langärmeligen geblümten Kleid auftrat. So ein Kleid müsse sie getragen haben, „damit man sie anschaut, nicht damit man ihr zuhört“, kommentierte etwa Patrick Balkany von der UMP, der ein enger Freund Nicolas Sarkozys ist.
Auch bei Twitter löste Peeters Film einen Sturm aus. Ein männlicher Tweeter behauptetet, er habe noch nie mitbekommen, dass eine Frau sich über ähnliche Vorfälle beklagt habe, es müsse sich bei den im Film gezeigten um Einzelfälle handeln. Unter dem hashtag #harcelementderue (Belästigung auf der Straße) und später dann auch #harcelementdemetro postete daraufhin eine Vielzahl von Frauen eine Flut von Berichten, die das Gegenteil beweisen.
Die französische feministische Organisation Osez Le Feminisme lobte den Film dafür, dass er eine Debatte zu dem Thema angestoßen habe und verlinkte ihn mit einem eigenen Comic, der im Rollentausch zeigt, wie Frauen auf der Straße Männer belästigen. Das Thema sei ein universelles Frauenthema, hieß es von französischen Feministinnen.
Im Mai zeigte eine Umfrage aus London, dass auch in der britischen Hauptstadt vier von zehn Frauen im vergangenen Jahr im öffentlichen Raum sexuell belästigt worden sind.
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