Mahmud Abbas will hinschmeißen

Palästina Ein frustrierter und erfolgloser Palästinenser-Präsident schockt mit seinem angekündigten Abgang nicht nur Israel, sondern auch moderate arabische Staatschefs

Vor beinahe fünf Jahren wurde er gewählt und hatte vorrangig einen Auftrag, mit Israel einen unabhängigen Palästinenser-Staat auszuhandeln. Heute steht Mahmud Abbas noch immer mit leeren Händen da, obwohl die Regierungen von Ariel Sharon, Ehud Olmert und Benjamin Netanjahu, mit denen er zu tun hatte, doch wussten, es gab für sie kaum einen besseren Verhandlungspartner. Aber selbst der beste Palästinenser-Präsident, den Israel sich wünschen kann, vermochte nie, den Siedlungsbau zu stoppen. Er kann noch nicht einmal Außenministerin Clinton davon abhalten, Netanjahus Angebot eines lediglich teilweisen Moratoriums für israelische Landnahme in der palästinensischen Westbank plötzlich „beispiellos“ zu nennen. Abbas hat schon vor diesem amerikanischen Schwenk zugunsten Israels mit Rücktritt gedroht – diesmal ist es ihm ernst.

Barghouti wäre richtig

Wenn Abbas geht, hat sich das Kalkül des israelisch-amerikanischen Planes erledigt, mit nur einer Hälfte der Palästinenser – den Fatah-Anhängern im Westjordanland – eine Übereinkunft zu finden. Die Politik des Nahost-Quartetts (USA, Russland, UNO und EU) beruht auf der Annahme, man dürfe die Palästinenser in die „Guten“ aus der Westbank und die „Schlechten“ aus dem Gaza-Streifen sortieren. Mit den einen könne Israel verhandeln, die andern nur bekämpfen. Wenn aber mit Abbas der beste Westbanker die Mukat´ah, den Amtssitz in Ramallah, verlässt, sind nicht nur Verhandlungen fraglich, dann scheint besonders für die palästinensische Führung alles offen. Nächster Präsident könnte ein Mann sein, der nicht zur Fatah gehört, wie Premier Salam Fayyad, oder es kämen einstige Fatah-Schwergewichte wie Mohammed Dahlan oder Jibril Rajoub in Betracht.

Wahrscheinlicher ist freilich, dass ein Abgang von Mahmud Abbas den Weg für Marwan Barghouti ebnet, einen überaus beliebten Führer, der erst vor wenigen Monaten in das Zentralkomitee der Fatah gewählt wurde. Dass er eine Strafe von fünfmal lebenslänglich in einem israelischen Gefängnis absitzt, dient seiner Akzeptanz auf der palästinensischen Straße ungemein. Da er am bewaffneten Widerstand als legitimer Antwort auf die Besatzung festhält, wäre Barghouti der Richtige, um die Kluft zwischen Fatah in der Westbank und Hamas im Gazastreifen zu überwinden. Natürlich bleibt all das hypothetisch und spekulativ. Sich andeutende Post-Abbas-Szenarien lassen erkennen, wie radikal die Verhältnisse kippen können. Warum sonst sollten der Präsident Ägyptens, Jordaniens König Abdullah und Israels Verteidigungsminister Barak bei Abbas anrufen, um ihn inständig zu bitten, er möge bitteschön bleiben. Worauf sie hoffen – dass die für den 16. Januar anberaumten Wahlen noch einmal storniert werden. Die von Abbas eingesetzte Wahlkommission könnte zu dem Schluss kommen, im von der Hamas regierten Gaza-Streifen ist kein Votum möglich. Daher wäre die Abstimmung über den Präsidenten und das künftige Parlament auf Juni zu verschieben – in der Hoffnung, dass sich Fatah und Hamas bis dahin aussöhnen. Das hieße, der amtsmüde Palästinenser-Präsident bliebe noch bis weit ins kommende Jahr hinein im Amt.

Dritte Intifada

Die allzu sehr mit dem Feilschen um Details und mit Personalmanövern beschäftigte US-Diplomatie sollte versuchen, das große Ganze nicht aus dem Auge zu verlieren. Hillary Clinton müsste auffallen, dass der Traum von einer Zwei-Staaten-Lösung weiter verblasst, der Marsch in die Sackgasse Tritt und Tempo aufnimmt, Wut und Depression der Palästinenser wachsen – eine dritten Intifada bald nicht mehr aufzuhalten sein wird. Abbas' angedrohter Rückzug ist symptomatisch für eine sich ausbreitende Frustration in Palästina, im arabischen Nahen Osten überhaupt. Die Erfahrung lehrt, wem das in die Hände spielt.
Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Editorial, Guardian | The Guardian

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