Die ganze Welt mit einem Mausklick. Möglicherweise sogar das ganze Universum. Die Hilfe für Haiti. Bilder des Weltraumteleskops Hubble. Shakespeares Sonette. Aktienkurse aus Hong Kong. Alles was du willst, direkt zu dir nach Hause. Das Internet bietet es innerhalb von ein paar Millisekunden an. Mehr als wir aufnehmen können, mehr als wir verstehen können und immer mit dem Versprechen, dass da noch mehr ist. Mehr, mehr, mehr.
Es ist der Stoff, aus dem die Träume der Renaissance waren. Wir sollten uns glücklich schätzen. Und doch wird das Internet für manche zum letzten Kreis der Hölle. Die Handflächen schwitzen, die Augen flimmern, man weiß, man verschwendet seine Zeit, sein Leben. Doch es ist unmöglich aufzuhören.
Wissenschaftl
Wissenschaftler der Universität Leeds haben unlängst eine Studie abgeschlossen, die eine Verbindung zwischen Internetsucht und Depression herstellt. Die These kommt nicht besonders überraschend. Der Schlüssel war vermutlich das Wort „Sucht“. Jeder, der nach irgendetwas süchtig ist, trägt ein höheres Risiko, depressiv zu werden. Das ist die Logik psychischer Krankheiten.Wird depressiv, wer ständig auf den Bildschirm starrt?Doch die Kausalität hat keiner genau erforscht. Neigen depressive Personen eher dazu, Stunden vor dem Computer zu verschwenden oder macht man sich automatisch Gedanken über die Sinnlosigkeit der menschlichen Existenz, wenn man den Großteil seines Lebens auf einen Computerbildschirm starrt? Das macht durchaus einen Unterschied. Wenn es um Depressionen geht, ist oft unklar, worüber gerade gesprochen wird. Am einen Ende des Spektrums herrscht vollkommene Finsternis, Leere, das Nichts, am anderen Ende hat einer gerade von allem ein wenig die Schnauze voll.Fangen wir an diesem helleren Ende an. Was meinen Sie, wie lange kann eine normale Person wohl im Internet surfen, bevor sie sich in diesem Sinne wirklich depressiv fühlt? Die Wissenschaftler aus Leeds identifizierten soziale Netzwerke und Seiten für Pornographie und Glücksspiele als den natürlichen Lebensraum des depressiven Internet-Junkies. Auch das kann kaum überraschen. Onlinegespräche mit Menschen, die man eigentlich nicht kennt, verschwitztes Silikon und vorgetäuschte Orgasmen, verlorenes Geld, das zu verlieren man sich nicht leisten kann. Lebenslänglich. Wer würde da nicht depressiv werden.GuardianDer Punkt ist, dass einen jede Website depressiv machen kann, wenn man nur lange genug darauf starrt. Das gilt vermutlich sogar für die des Guardian, obwohl ich das vielleicht nicht sagen sollte. Stellen Sie sich vor, man würde Sie dazu zwingen, eine Seite zu besuchen, die sich dem positiven Denken verschrieben hat. Stunde um Stunde würde der Hypnose-Guru Paul McKenna sie dazu zwingen, sich glücklich zu denken. Wie lange würden Sie das durchhalten, bis Sie sich am liebsten umbringen würden? Oder ihn?Interessanter wäre es doch gewesen, zu erforschen, welche Seiten uns am schnellsten depressiv machen. Können uns 10 Minuten Facebook oder 10 Minuten Porno ein gutes Gefühl geben? Vielleicht lauert erst ab Minute 11 die eigentliche Gefahr.Oder sind schon 10 Minuten Glückseligkeit zu viel des Guten? Wenige Minuten auf der gnadenlos euphorischen Website der Tottenham Hotspurs – die mich zwei bis dreimal am Tag zwanghaft anzieht – reichen in der Regel aus und ich würde am liebsten nach der Schwester klingeln. Da steht zum Beispiel Trainer Harry Redknapp sei "bitter enttäuscht, dass wir uns schon wieder in der Nachspielzeit ein Gegentor eingefangen haben, obwohl die Jungs alles in allem gut gespielt haben“. Wirklich? Und trotzdem kehre ich für solche kuriosen Momente purer Freude immer wieder auf die Seite zurück. Wie zum Beispiel am Montag, als angekündigt wurde, dass Stürmer Robbie Keane zu Celtic wechselt.Immer noch besser als an die Wand starrenEs ist durchaus möglich, dass ich immer wieder auf die Seite gehe, weil ich süchtig bin. Es wäre nicht das erste Mal. Also wäre es auch keine große Überraschung, wenn ich das tun würde, weil ich ernsthaft depressiv bin. Ich leide seit Jahren unter dieser Krankheit. Also bin ich womöglich so oder so dran. Trotzdem muss man einen Unterschied machen.Als jemand, der aufgrund seiner Depression geraume Zeit in einer Klinik verbracht hat, will mir doch scheinen, dass jeder der die Energie hat, den Computer einzuschalten und sich überhaupt darum schert, was auf Facebook los ist, einen Grad an Beschäftigung mit der Welt um sich herum aufweist, der gegen eine krankhafte Depression spricht. Mag ja sein, dass es gesünder wäre, sich mit einer leibhaftig anwesenden Person zu unterhalten, doch im Internet Surfen ist allemal besser, als an die Wand zu starren. Mein Psychiater hätte es mit Sicherheit als ein gutes Zeichen gedeutet.