Etwas stimmt nicht mit Hollywood: Remakes, Sequels, Presequels, Computerspieladaptionen. Zu wenige neue Talente und neue Geschichten. Das beklagen Branchenkenner und viele Kinogänger seit Jahren. Was aber tun? Amazon kündigte im November 2010 eine Alternative an: eine neue Art von Filmstudio, offen für jeden, unabhängig von Herkunft, Branchenkontakten und – wie man sagen könnte – Begabung. Auf der Website der Amazon Studios kann jeder Drehbücher hochladen, die Scripts anderer ergänzen oder eingestellte Bücher versuchsweise verfilmen. Der beste Film bekommt eine Million Dollar von Amazon, seine Macher dürfen hochrangige Vertreter der Filmgesellschaft Warner Bros. treffen.
Nicht alle waren von der Idee begeistert, vor allem nicht alle a
ren von der Idee begeistert, vor allem nicht alle aus der Filmbranche. Die Kritik bezog sich auf Theorie (kann Kreativität an den Schwarm ausgelagert werden?) wie Praxis (die Autoren werden über den Tisch gezogen). Drehbuchautor Craig Mazin (Hangover 2) etwa sprach damals von einem "ganz, ganz schlechten Deal". Nun, nach einem Jahr, wiederholt er seine Kritik: "Mich verblüfft der relative Mangel an Garantien, Tantiemen, Leistungsschutzrechten, Gesundheits- und Rentenansprüchen." Amazon biete "einen Teufelspakt an – im Gegenzug für die bloße Hoffnung auf einen Brancheneinstieg muss der Autor viele grundlegende Rechte aufgeben". Amazon-Studio-Direktor Roy Price findet hingegen, für einen Autor am Beginn seiner Laufbahn sei der Deal in Ordnung.Mehr als 6.000 DrehbücherAmazon-Studio-Benutzer Marty Weiss, der im Dezember 2010 mit seinem Manuskript The Alchemist Agenda, einer Schatzsucher-Geschichte im Stil von Indiana Jones, den Preis für das beste Drehbuch gewonnen hat, findet besonders das Preisgeld "einzigartig": Die Amazon Studios haben mehr als 1,4 Millionen Dollar an Preisgeldern für monatliche Wettbewerbe um das beste Drehbuch, den besten Testfilm und andere Kategorien ausgelobt. Zum Vergleich: Die renommierte, seit 14 Jahren bestehende Drehbuchplattform Scriptapalooza vergibt 100.000 Dollar im Jahr. Was dagegen seine Karriere angehe, "hat sich nichts geändert", sagt Weiss. Auch The Alchemist Agenda wurde bislang nicht verfilmt.Die Chance, die Million zu gewinnen oder gar einen Film drehen zu können, ist allerdings gering. Dennoch wurden seit dem Start von Amazon Studios mehr als 6.000 Drehbücher und 600 Filme eingereicht. Warum? Fakt ist: Etwa seit dem Start der Studios hat das crowdsourced cinema, das Schwarmkino, einen großen Schub bekommen – vor allem durch den von Ridley Scott produzierten Film Life in a Day. Man konnte auf Youtube Filme einstellen, aus denen Scott ein bewegendes Porträt eines Tages auf der Erde schnitt. Das von der UN unterstützte Projekt One Day on Earth hat ein ähnliches Konzept. Der Regisseur Kyle Ruddick nennt den idealistischen Charakter der Projekte ausschlaggebend für deren Erfolg: "Die Vorstellung, etwas zu machen, was die Welt verändern könnte, ist zehnmal motivierender als der Gewinn eines Laptops oder so etwas."Ob aber der Traum von der radikalen Kreativdemokratie utopisch ist? Tendenziell halten die Amazon Studios an ihrer Philosophie fest: Direktor Roy Price sagt, dass man hier ein Feedback erhalte, solange man die Dinge noch verändern könne. Andererseits baute man für Autoren schnell die Option ein, festzulegen, wie viele andere Nutzer etwas an ihrem Skript verändern können. Originalmanuskripte können nun als "offen", "geschlossen" oder "mit Erlaubnis revidierbar" gekennzeichnet werden. Welcher ambitionierte Drehbuchautor möchte seine Arbeit schließlich von jemandem bearbeitet sehen, der – wie auf der Amazon-Hauptseite nachzulesen – Orson Welles’ Meisterwerk Citizen Kane mit nur einem Sternchen bewertet, weil es "keine Farbe hat"? Autor Weiss erzählt von gemischten Erfahrungen. "Von einigen habe ich ein tolles Feedback erhalten. Es gab aber auch jede Menge unbrauchbarer Kritik. Das ist nun mal so, wenn man das Mikrophon für alle öffnet. Willkommen im Internet."Schwarm basiertes MittelmaßWas geht also und was nicht? Bislang sieht es so aus, als würden bei einer Community-Beteiligung Collagen wie Life in a Day besser funktionieren als Filme, die traditionell erzählt werden. Der britische Film Faintheart nutzte 2008 Anregungen, die auf MySpace eingestellt wurden, um Regisseur und Schauspieler zu finden und die Handlung zu verändern. Ergebnis: Schwarm basiertes Mittelmaß. Wenn man eine Collage machen wolle, biete es sich eher an, die vielen Perspektiven eines Schwarms zu nutzen, sagt One-Day-on-Earth-Regisseur Ruddick. "Bei einer geschlossenen narrativen Struktur mit Anfang, Mittelteil und Ende ist das wahrscheinlich schwieriger – aber gleichzeitig auch sehr aufregend."Tatsächlich zeigt Amazons Experiment bisher, dass der Schwarm nicht zwangsläufig kreativer ist als ein Hollywoodstudio. Die prämierten Drehbücher bestätigen die Einschätzung des Web-2.0-Kritikers Jaron Lanier: "Je radikaler ein soziales Internetexperiment ist, desto konservativer, nostalgischer und altbekannter ist, was herauskommt." Zwei der Gewinner-Drehbücher werden jedem bekannt vorkommen, der den rückwärts erzählten Film Memento gesehen hat. Andere Titel lauten Zombies Vs Gladiators oder Road Trip Sex Party.Das kann sich aber alles noch ändern. Der Technikjournalist Chris R. Morris sagt, mit einer milliardenschweren Mutterfirma im Rücken verfügten die Amazon Studios über die Ressourcen, um weiter nach der perfekten Formel zu suchen. "Für die Investoren ist es ein Hobby. Wenn was dabei herauskommt: großartig! Wenn nicht, sind sie um eine Erfahrung reicher."