Das Gespräch ist soeben zu Ende gegangen, ich sitze noch kurz in der Lobby, da fällt mein Blick auf einen Mann, der beim Verlassen des Hotels noch einmal innehält. „Danke“, sagt er zu mir. „Es war schön, Sie kennen gelernt zu haben.“ Ich frage mich, wovon der Fremde redet. Dann erkenne ich ihn. Kiefer Sutherland. Er sieht im echten Leben so gewöhnlich, so gar nicht wie ein Filmstar aus, dass es schon mal vorkommen kann, ihn nicht wiederzuerkennen, obwohl man gerade eine Stunde mit ihm verbracht hat.
24 auf Schwäbisch: Jack Bauer löst das Problem mit dem Klodeckel
Man kann dies als Beweis seines schauspielerischen Könnens werten. Immerhin erkennen Millionen Menschen auf den ersten Blick das Gesicht von Jack Bauer, Special Agent einer amerikanischen Terrorismusbekämpfungseinheit, den Sutherland in der TV-Serie 24 verkörpert. Wie James Bond ist Bauer nicht bloß eine TV-Figur, sondern ein globales Phänomen. Für Fans der Serie – darunter auch Bill Clinton und Karl Rove – ist er ein Held, seine Popularität ist ebenso groß wie sein Geschick, Amerika vor immer neuen terroristischen Bedrohungen zu retten. Sutherland hat die Serie nicht nur mehrere Emmys und einen Golden Globe eingebracht, er ist inzwischen auch der am besten bezahlte TV-Schauspieler der Welt.
Obwohl die Serie bereits ein Jahr vor dem 11. September 2001 entwickelt wurde, nahm sie mit unheimlicher Voraussicht den Krieg der Regierung Bush gegen den Terror vorweg. „Was auch immer nötig ist“, lautet Bauers bärbeißiges Motto. Bei 24 sind schon mal Gewalt oder Gesetzesübertretungen nötig – und manchmal eben auch Folter. Die Frage, warum so viele Menschen sich für einen Mann begeistern, der andere Menschen foltert, ist verstörend, aber nicht annähernd so beunruhigend wie die Frage, mit der sich Sutherland und die Macher von 24 in den zurückliegenden achtzehn Monaten immer wieder konfrontiert sahen: Beschränkt sich die Bauer-Begeisterung auf die Bildschirm-Welt, oder hat sie auch in der Realität die öffentliche Meinung und das militärische Vorgehen beeinflusst?
„Jack Bauer handelt im Kontext einer TV-Sendung“, beginnt Sutherland langsam und mit Bedacht zu erklären. „Daran muss ich die Leute ständig erinnern. Wir machen eine Fernsehsendung – und zwar eine gute – und wenden dabei bestimmte dramaturgische Mittel an. Als Schauspieler hat mir das übrigens unheimlichen Spaß gemacht. Aber wir Darsteller sind uns klar darüber, dass das alles nur gespielt ist. Und bis vor einem Jahr wusste das auch sonst jeder.“
Im Jahr 2007 wurde bekannt, dass eine Delegation aus der US-Militärakademie West Point das Set besucht hatte, um den Produzenten zu berichten, dass die auch unter Kadetten beliebte Serie sich auf deren Einstellung zur Folter auswirke. Immer wieder tauche die Frage auf: Wenn Folter unrecht ist, was ist dann mit 24? Ein ehemaliger Vernehmungsbeamter des US-Militärs berichtete sogar, er sei im Irak Soldaten begegnet, die „die Sendung gucken und dann in die Verhörräume gehen und das Gesehene nachmachen.“ Weiter untermauert wurden diese Behauptungen von Philippe Sands, der in einem Buch über die Verhörmethoden in Guantánamo Militärangestellte mit den Worten zitierte, 24 habe bei frühen „Brainstorming-Treffen“ als Inspirationsquelle gedient. Bauer sei dabei Vorbild für „viele Ideen“ gewesen.
Der Demokrat Sutherland sagt, er freue sich auf den Tag, an dem Bauers Verhörtechniken „wieder nur als Ausgeburten der Phantasie angesehen werden und sie nicht Vorgänge spiegeln, die sich tatsächlich in der Welt ereignen.“
Fraglos hat die Authentizität der Serie von Anfang an maßgeblich zu ihrer Beliebtheit beigetragen. Die siebte und bislang letzte Staffel ging in den USA im Januar auf Sendung – nur eine Woche bevor Barack Obama die Schließung des Gefangenenlagers ankündigte – mit der Auflösung der Anti-Terror-Einheit. Bauer ist nun wegen Folter angeklagt.
Folter-Befürworter im Film
Der Vorwurf, dass in der Realität imitiert wurde, was bei 24 zu sehen war, ist damit allerdings nicht aus der Welt geräumt. Sutherlands Lächeln wird schnell schmal, als er darauf angesprochen wird. „Ich sage ihnen ganz direkt, dass nicht 24 das Problem ist. Ich halte den Versuch für lächerlich, in einer Fernsehsendung gezeigte Ereignisse mit den Geschehnissen in der realen Welt in Verbindung setzen zu wollen,“ sagt er und wirkt verärgert. „Sollte dem wirklich so sein, hat das US-Militär ein echtes Problem. Wenn eine TV-Sendung die ethischen Maßstäbe der Armee und die ihrer Ausbildung untergraben kann, müssen wir darüber nachdenken, nicht über die Serie.“
Obwohl er geschäftsführender Produzent von 24 ist, hat Sutherland dem Treffen mit der Westpoint-Delegation nicht beigewohnt. Die Generäle berichteten aber, der Schauspieler habe ihnen gegenüber im Nachhinein eingeräumt, dass die „unbeabsichtigten Konsequenzen“ der Sendung ihm Sorgen bereiteten. „Absoluter Schwachsinn“, hält Sutherland dem entgegen. „Ich habe mich geweigert, sie zu treffen, weil ich das Ganze als so abgrundtief manipulativ empfunden habe. Meiner Meinung nach war die Sache ein Versuch, die Schuld auf jemand anderen abzuschieben. Immerhin schaute damals das ganze Land darauf, was das US-Militär an Orten wie Abu Ghreib veranstaltete. Für so etwas wollte ich mich nicht hergeben.“ Sollte die US-Armee Bauer tatsächlich als Entschuldigung für selbst begangene Misshandlungen heranziehen, wäre Sutherlands Entrüstung nachvollziehbar. Was aber, wenn nachweislich stimmen würde, dass 24 die Akzeptanz von Folter fördert? Müsste er sich dann nicht verpflichtet fühlen, Änderungen vorzunehmen?
„Nein“, lautet die unmissverständliche Antwort. „24 und 20th Century Fox sind nicht für die Ausbildung des US-Militärs verantwortlich. Für mich klingt das fast so absurd, als würde man sagen, Die Sopranos, und darüber auch der US-amerikanische Sender HBO, würden die Mafia unterstützen.“ Der Schauspieler sieht zunehmend entnervt aus. „Mir ist noch nie untergekommen – und ich glaube auch nicht, dass das vorkommt –, dass ein Bürger der USA oder irgendeines anderen Landes eine Folge von 24 gesehen hat und danach von einem unkontrollierbaren Drang ergriffen war, loszuziehen und jemanden zu foltern. Wenn ich es so ausdrücke, verstehen sie es dann?“
Wenn er es so ausdrückt, halte ich ihn ehrlich gesagt für ein wenig unaufrichtig. Sutherland ist zu intelligent, um sich nicht der Tatsache bewusst zu sein, dass der Einfluss des Fernsehens sich viel subtiler manifestieren kann. Joel Surnow, einer der Schöpfer von 24, der sich selbst als „durchgeknallten Rechten“ bezeichnet, schien keineswegs unglücklich darüber zu sein, welchen Einfluss 24 auf die öffentliche Meinung ausübt: „Amerika will den Krieg gegen den Terror, den Jack Bauer kämpft. Er ist ein Patriot.“ Auch der Fox-Mitarbeiter, der 24 für den Sender eingekauft hat, gab freimütig zu: „Der Show liegt definitiv die politische Haltung zugrunde, dass manchmal extreme Maßnahmen nötig sind, um die übergeordnete gute Sache zu erreichen. Joels Ansichten durchziehen die ganze Sendung.“ Und so wird die Botschaft vermittelt, dass der Einsatz von Folter nicht nur moralisch gerechtfertigt werden könne, sondern auch ein probates Mittel zur Terrorismusbekämpfung sei. Angesichts fehlender sachlicher Informationsquellen in der amerikanischen Populärkultur ist es wenig verwunderlich, dass die Zuschauer vor den Fernsehgeräten dieser Sichtweise Glauben schenken.
Hört man Sutherland mit liebevoller Zuneigung über seine 24-Figur reden und dabei einmal sogar Tschechow zitieren, fragt man sich irgendwann, ob man selbst nicht beinahe vergessen hätte, dass er kein Pentagonvertreter oder Politiker ist, sondern Schauspieler. Vielleicht ist seine Loyalität verständlich – immerhin verdankt Sutherland wahrscheinlich alles, was er heute hat, dieser Figur: Jack Bauer.
Als die Dreharbeiten zu 24 begannen, war Sutherlands Stern beinahe untergegangen. Sein turbulentes Privatleben war den Boulevardblättern ein gefundenes Fressen, bei der Wahl seiner Rollen hatte er schon lange kein glückliches Händchen mehr bewiesen. Anfang der Neunziger folgte ein Flop dem anderen, und Sutherland, der Womanizer, lebte seinen Hang zum Exzess aus. Von Kneipenprügeleien hatte er 140 Stiche am Schädel davongetragen. Schließlich kehrte er Hollywood den Rücken und ließ sich als Rodeo-Reiter auf einer kalifornischen Ranch nieder. „Bedenkt man, wie tief ich gesunken war, habe ich mir dieses eine Mal wohl selbst das Leben gerettet,“ sagt er rückblickend.
Gefängnis im echten Leben
Seit 24 hat Sutherland wieder in mehr als einem Dutzend Filmen mitwirkt. Seine Rollenwahl hat sich allerdings nicht wirklich zum Besseren entwickelt – bei den Kritikern zumindest fand nur der Streifen Phone Booth Anerkennung. Heute lebt er in Los Angeles, sammelt alte Gitarren und arbeitet zehn Monate im Jahr vierzehn Stunden am Tag an 24. Von Ärger hält er sich fern, seit er vor zwei Jahren wegen Trunkenheit am Steuer im Gefängnis gesessen hat.
Auf die Frage, ob der Schauspielberuf zur Selbstzerstörung neigende, hedonistische Charaktere eher anziehe oder hervorbringe, antwortet Sutherland prompt: „Ich bin schon immer der Ansicht gewesen, dass solche Leute von der Schauspielerei angezogen werden. Meine Helden waren Richard Burton, Peter O’Toole oder Richard Harris – außergewöhnliche Schauspieler und außergewöhnliche Charaktere, die auch im echten Leben immer wieder ihre Grenzen überschritten haben. Sie waren einfach großartig, ich liebte ihre Geschichten und alles, was sie umgab. Dazu gibt es aber auch ein Gegengewicht. James Stewart gehört ebenfalls zu meinen Lieblingsdarstellern, genau so wie Tom Hanks.“ Er hält eine Sekunde lang inne und fügt dann neckisch wie ein unartiger Junge, der vorgibt reumütig zu sein, hinzu: „Ich finde aber auch Colin Farrell lustig, wissen Sie?“
In Sutherlands Leben ist es also ruhiger geworden, und auch Bauer durchläuft einen Wandel. Wenngleich Sutherland nicht gut auf die Kontroverse zu sprechen ist, die sich um die Figur entfacht hat, scheint er froh und vielleicht sogar erleichtert zu sein, dass das Thema Eingang in die neue Staffel gefunden hat.
„Jack Bauer ist jetzt in einer Situation, in der er seine Taten hinterfragen lassen muss. Das ist eindeutig den Dingen geschuldet, die im Umfeld der Sendung passierten, aber nichts mit uns zu tun hatten. Die Problemstellung, die alle 24-Folgen durchziehen wird, bis Jack Bauer für sich die Lösung findet, ergibt sich daraus, dass er alles, wirklich alles, machen würde, um diese 45 Leute vor den Terroristen zu retten. Aber er hat auch im Hinterkopf, dass es eigentlich wichtiger ist, die Gesetze dieses Landes einzuhalten. Das kann er aber nicht. Deshalb steckt er in einem schrecklichen moralischen Dilemma. Das finde ich herzzerreißend.“
Denkt er manchmal, dass das, was Bauer getan hat, richtig war? Sutherland starrt mich an: „Auf keinen Fall!“, ruft er. „Wollen Sie mich auf den Arm nehmen? Nein, absolut nicht!“ Er lacht. „Oh. Mein. Gott. NEIN.“
Gekürzte Fassung;
Übersetzung: Zilla Hofman
Die Echtzeit-Serie 24 und ihr besonderer Erfolg
Die siebte Staffel der 2001 gestarteten US-Serie 24 läuft zur Zeit in Deutschland immer montags auf Premiere. Am 29. März gibt es ein Spezial, das die ersten zwölf Folgen nacheinander wiederholt.
Ihren besonderen Erfolg verdankt die Serie unter anderem ihrem Konzept: Die Handlung folgt der Echtzeit-Logik, jede Staffel ist in 24 Folgen aufgeteilt, jeweils eine Stunde lang. Auch in den Werbepausen läuft die Zeit weiter. Eine Staffel entspricht einem Tag im Leben von Jack Bauer, dem Bundesagenten der fiktiven Anti-Terror-Einheit CTU (Counter Terrorist Unit).
Ebenfalls als neuartig galt beim Start der Serie die Ästhetik des Split Screens, bei der verschiedene Szenen parallel in einer Einstellung gezeigt werden.
In den USA spielt die Serie regelmäßig hohe Quoten ein. Und der Ausdruck Jackbauering ist in den Sprachgebrauch eingegangen: für das gleichzeitige Lösen von unlösbar scheinenden Aufgaben unter größtmöglichem Stress. Die eindrücklichsten Worte aber liefert die Serie selbst. Unvergesslich: Noch heute Morgen hatten Audrey und Jack Pläne für die Zukunft. Jetzt ist er für den Tod ihres Mannes verantwortlich und gleich muss er wahrscheinlich ihren Bruder foltern.
Wie Jack Bauer in seiner WG das Problem mit den hochgeklappten Klodeckeln löst, sehen Sie
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