Gesundheit Dass die Wechseljahre psychische Probleme auslösen können, ist viel zu wenig erforscht. Nur wenige Frauen wissen, dass die Veränderung der Hormone in der Menopause auch ihre mentale Gesundheit stark verändern kann
Bin das noch ich? Konzentration und mangelnde Energie sind – leider – Nebeneffekte
Foto: der Freitag
Bis dahin hatte sie noch nicht darüber nachgedacht, wie sie sich umbringen könnte. Aber sie hatte ihre Angelegenheiten in Ordnung gebracht, für ihre beiden Töchter, die in anderen Städten studierten. Es war dieser Augenblick in der Natur, der die entscheidende Wende für Kathrin Arthur brachte: „Ich will mich nicht selbst umbringen. Das ist mir zu real.“ Stattdessen lief sie zum nächstgelegenen Pub und bestellte sich Pommes und eine heiße Schokolade mit Rum. „Ich holte mein Tagebuch heraus und beschloss, dass ich leben wollte. Ich begann Dinge aufzuschreiben, die ich machen wollte. Es war ein Tiefpunkt, aber auch ein Höhepunkt: Es hat mich vom Abgrund zurückgeholt.“
Sechs Jahre nach ihrem Wendepunkt rief Arthur einen P
ur einen Podcast zum Thema „Positiv Altern“ ins Leben: Menopause Whilst Black, deutsch: Wechseljahre als Schwarze Frau. Das war zu einer Zeit, als infolge der Tötung von George Floyd durch einen Polizisten die Black-Lives-Matter-Bewegung im Aufstieg begriffen war. Arthur wollte eine Lücke schließen, nämlich beklagenswert wenige Hilfsangebote, die besonders auf die Erfahrung Schwarzer Frauen ausgerichtet waren. Dabei zeigt die Forschung, dass bei Schwarzen Frauen die Menopause im Durchschnitt früher eintritt als bei weißen.Als Arthur beim Hausarzt erstmals über ihre Ängste gesprochen hatte, erwähnte sie, dass sie unter Hitzewallungen litt. Eine Hormonbehandlung wurde ihr nicht vorgeschlagen. Damals dachte sie, dass die Menopause ihr kleinstes Problem sei. „Ich wusste nicht, dass Ängste und Depressionen mit den Wechseljahren zusammenhängen können.“ Midlife-Stimmungsschwankungen, Wut und Vergesslichkeit mögen Motive von scherzhaften Instagram-Memes sein. Für viele Frauen ist das laut Arthur überhaupt nicht lustig, sei es, dass sie sich in der Perimenopause, der Übergangszeit bis zum Zeitpunkt, wenn Frauen ihre Periode nicht mehr bekommen, oder in der Menopause befinden, dem Zeitpunkt, an dem sie ihre Periode seit einem Jahr nicht mehr haben.Im vergangenen Jahr beauftragte der Ausschuss für Frauen und Gleichstellung des britischen Parlaments eine Umfrage zu den Auswirkungen der Menopause am Arbeitsplatz. 75 Prozent der Befragten berichteten von Gedächtnis- oder Konzentrationsproblemen; 69 Prozent hatten Ängste und depressive Gefühle – nicht immer waren die Probleme so schwer, dass sie ärztlich diagnostizierbar waren, aber häufig stark genug, um die Konzentration und das Selbstvertrauen am Arbeitsplatz einzuschränken. In selteneren Fällen traten extreme Stimmungsschwankungen auf.„Frauen wird gesagt, sie sollen sich zusammenreißen.“Erschwert wird das Verständnis des Phänomens dadurch, dass es in einen Zeitraum fällt, der bei vielen Frauen von starken Veränderungen geprägt ist. Jahre, in denen die Kinder das Elternhaus verlassen, Eltern krank werden, Scheidungen oder Veränderungen bei der Arbeit verkraftet werden müssen. Das kann es schwierig machen zu erkennen, was Ursache und was Wirkung ist. Fühlt man sich psychisch unwohl, weil das Leben sich verändert? Oder verändert sich das Leben, weil es der Hormonspiegel tut? Die Forschung zur psychischen Gesundheit rund um die Menopause ist immer noch „nicht so gut, wie man es gern hätte“, beklagt die Ärztin und Menopause-Spezialistin Louise Newson. Aber es ist mittlerweile allgemein anerkannt, dass die Hormone Östrogen und Testosteron, die im mittleren Alter abnehmen, eine wichtige Rolle für die Gehirnfunktion spielen. „Wir wissen, dass Angst- und Gedächtnisprobleme, Niedergeschlagenheit und reduzierte Motivation in der Menopause sehr häufig vorkommen. Ob es sich nun um den tatsächlichen Hormonspiegel oder um Hormonschwankungen handelt – alles, was sich im Gehirn verändert, hat einen Dominoeffekt.“Dabei sind Frauen, die früher schon an depressiven Episoden oder an einer postnatalen Depression litten, besonders anfällig für psychische Probleme in der Menopause. Das Gleiche gilt für Frauen, die früher stark unter prämenstruellem Syndrom (PMS) oder dessen schwerwiegenderer Variante, prämenstruelle dysphorische Störung (PMDD), gelitten hatten. Nicht alle psychischen Probleme bei Frauen im mittleren Alter haben mit Hormonen zu tun, betont Newson. Eine Hormonbehandlung sei daher kein „Wundermittel für alle“. Aber die Verbindung zwischen Menopause und Depression ist heute so ausreichend anerkannt, dass die Aufsichtsbehörde des britischen Gesundheitsdienstes für Verschreibungen im Fall von Frauen in den Wechseljahren mit Niedergeschlagenheit und Angst an erster Stelle eine Hormonbehandlung empfiehlt.Dennoch kommen immer wieder Frauen zu Newson, die von ihrer Hausarztpraxis nur mit einem Antidepressivum weggeschickt wurden. Um für mehr Aufklärung zu sorgen, rief die Ärztin die kostenfreie App „Balance“ ins Leben. Sie hilft Frauen, Wechseljahressymptome zu erkennen. Ärztinnen und Patientinnen sollen unterstützt werden, die Puzzleteile zu einem Ganzen zusammenzufügen. „Sehr lange hat man uns erzählt, dass es bei der Menopause um Hitzewallungen und vaginale Trockenheit geht. Niemand sagte einem, dass sie deine Stimmung, Energie oder Konzentration beeinträchtigen kann“, klagt sie. „Frauen wird ständig gesagt, sie sollen sich zusammenreißen und den Mund halten.“Fortbildungen für ArbeitgeberDie heute 54-jährige Lauren Chiren war Anfang 40 und arbeitete als Führungskraft im Finanzbereich, als sie merkte, dass sie Probleme damit hatte, sich zu erinnern. Sie vergaß nicht nur ab und zu einen Namen. Eines Abends kam sie von der Arbeit nach Hause, begrüßte ihren Sohn und die Kinderfrau. Dann nahm sie ihre Tasche, um wieder zur Arbeit zu gehen. Chiren war überzeugt, die ersten Anzeichen von Demenz zu zeigen. Sie sorgte sich extrem, wie sie das Leben als alleinerziehende Mutter schaffen sollte.Heute leitet Chiren die Coaching-Agentur „Women of a Certain Stage“, etwa: Frauen in einer bestimmten Phase. Im Angebot sind Fortbildungen für Arbeitgeber für mehr Bewusstsein und Anregungen, wie sie Mitarbeiterinnen in den Wechseljahren unterstützen können. Außerdem gibt es persönliche Coachings für Frauen mit dem Ziel, ihre Karriere in der Spur zu halten. Das Coaching hilft dabei, Symptome zu erkennen und zu kontrollieren, aber auch nach Anpassungen am Arbeitsplatz zu suchen, die bei der Bewältigung der Probleme helfen können. Für manche Frauen bleibt es laut der Coachin schwierig, über die Wechseljahre im Beruf zu sprechen. „Häufig haben sie hart gearbeitet, um dahin zu kommen, wo sie sind. Daher lehnen sie alles ab, was sie als schwach oder verletzlich herausheben könnte.“Auch zögern Frauen, die eigentlich relativ problemlos durch die Wechseljahre kommen, Symptome wie Angst und Vergesslichkeit öffentlich zu machen. Ein Grund ist die Befürchtung, es könne als Vorwand genutzt werden, um ältere Frauen im Job abzuschreiben. Noch immer herrscht beim Thema psychische Probleme in den Wechseljahren häufig peinlich berührtes Schweigen. Das aber führt laut Arthur dazu, dass Frauen nur sehr schlecht darauf vorbereitet sind: „Je mehr von uns darüber sprechen, desto weniger fühlen wir uns allein.“Placeholder authorbio-1