Weltweit leben mindestens 42 Millionen Opfer von Krieg und Verfolgung, die meisten davon hausen in Lagern und damit unter menschenunwürdigen Verhältnissen. Mitglieder von Hilfsorganisationen sprechen in solchen Fällen von einer „langwierigen Flüchtlingssituation“. Beim eingangs genannten Wert nicht mitgerechnet, sind diejenigen, die innerhalb des eigenen Landes vertrieben wurden und oft Jahrzehnte lang ohne jede Chance sind, in ein verlorenes Leben zurückzukehren.
Auch wenn das internationale Recht zwischen Flüchtlingen auf der einen und intern Vertriebenen oder Binnenflüchtlingen auf der anderen Seite unterscheidet, erscheinen derlei Abwägungen einigermaßen absurd. Entwurzelte Menschen verdienen Hilfe, unabhängig davon, ob sie eine internationale Grenze überschritten haben oder nicht. Deshalb arbeitet das UN-Flüchtlingshilfswerk (UNHCR) mit anderen UN-Gremien zusammen, um Binnenflüchtlingen die gleiche Hilfe wie all den Flüchtlingen zukommen zu lassen, die auf ihrer Odyssee Grenzen überschreiten. Jeder von ihnen braucht gleichermaßen Nahrung, Unterkunft, sanitäre Einrichtungen, medizinische Versorgung, Sicherheit und Schulen für die Kinder. Das nahezu völlig auf Spenden angewiesene UNHCR hat vor kurzem bei einer Untersuchung festgestellt: Es gibt dabei alarmierende Lücken.
Auch deshalb leiden beispielsweise 17 Prozent der Flüchtlingskinder aus der Zentralafrikanischen Republik, die in Kamerun leben, an akuter Unterernährung mit Sterblichkeitsraten, die in manchen Gebieten um das Siebenfache über dem liegen, was gemeinhin als kritischer Punkt gilt.
In Ecuador sind sich viele entwurzelte Kolumbianer im Unklaren darüber, dass sie das Recht haben, Asyl zu beantragen. Tausende leben in entlegenen Gegenden und laufen Gefahr als Indigene ausgebeutet und missbraucht zu werden. In Thailand leben über 100.000 burmesische Asylbewerber seit Jahren in überfüllten Camps.
Entgegen hysterischen Berichten populistischer Politiker und Medien, die in manchen Industrienationen von „Flüchtlingswellen“ sprechen, stranden 80 Prozent aller Entwurzelten in Entwicklungsländern. Ohne den humanitären Beistand dieser Staaten wäre das UNHCR zu herzzerreißenden Entscheidungen gezwungen. Um so mehr ist zu bedauern, dass unsere Möglichkeiten schrumpfen, weil der „humanitäre Raum“ schrumpft, der uns zur Verfügung steht. Wir erleben bei Bürgerkriegen, dass die Konfliktparteien UN-Einrichtungen nicht schonen, sondern als legitime Ziele militärischer Angriffe betrachten. Wir sehen uns mit verhärteten Haltungen des staatlichen Souveräns konfrontiert. Die Grenzen zwischen Hilfsorganisationen und Militär drohen zu verschwinden, nicht zuletzt bei friedenssichernden Maßnahmen, bei denen es keinen Frieden zu sichern gibt.
Die Weltwirtschaftskrise, eine aggressive Fremdenfeindlichkeit, der Klimawandel, der Ausbruch neuer und die Hartnäckigkeit alter Konflikte werden in kurzer Zeit dazu führen, dass noch mehr Menschen vertrieben werden – ob in Pakistan, Sri Lanka, Somalia, Burma und andernorts. Wir können als UN-Flüchtlingshilfe nicht Schritt halten.
Am 20. Juni haben wir den Weltflüchtlingstag begangen. Das gab uns Gelegenheit, der 42 Millionen zu gedenken, die rund um den Globus darauf warten, endlich nach Hause zurückkehren zu können. Dieselbe internationale Gemeinschaft, die sich verpflichtet fühlt, Hunderte von Milliarden Dollar auszugeben, um ein Finanzsystem vor dem Zusammenbruch zu retten, sollte sich in gleicher Weise dafür verantwortlich fühlen, Menschen zu retten.
António Guterres ist UN-Flüchtlingskommissar
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