Millionäre auf Mallorca: Wie der Künstlerort Deià zu einer Geisterstadt wurde

Gentrifizierung Früher war die Kleinstadt Deià im Nordwesten Mallorcas eine lebendige Gemeinschaft, die Kreative anzog. Aber dann kamen die Investoren und kauften den Ort auf
Ein Paradies im Ausverkauf
Ein Paradies im Ausverkauf

Foto: Imago / imagebroker

Hoch oben in Mallorcas spektakulärem Tramuntana-Gebirge ist das malerische Städtchen Deià ein mediterranes Idyll, das seit über hundert Jahren wie ein Magnet auf Künstler:innen und Bohemiens wirkt. In der Nähe gibt es keinen nennenswerten Strand. Das trug dazu bei, die Massen fernzuhalten. Aber jetzt hat der Ort das Problem, dass es sich nur noch Millionäre und Milliardäre leisten können, dort zu leben.

„Die Stadt zieht weiter kreative Leute an, aber heute müssen sie Geld haben“, sagt die in Chicago geborene Keramikerin Joanna Kuhne, die seit 1980 in Deià lebt. „Sie kommen hierher, um sich zu entspannen. Sie wollen sich nicht integrieren oder sie wissen nicht, wie das geht. Ihr Leben ist anderswo.“ Tatsächlich ist es nicht so, dass es keine Wohnmöglichkeiten gibt. Nur die Einheimischen können sie sich nicht mehr leisten. Die beiden Immobilienmakler im Ort haben zahlreiche Häuser ab zwei Millionen Euro im Angebot. Auf den Balearen liegt das Durchschnittsgehalt bei 1.598 Euro im Monat.

Während in ländlichen Gebieten auf dem spanischen Festland die Armut die Entvölkerung antreibt, verlieren Deià und Dutzende andere Ortschaften auf den Balearen durch Reichtum ihre Bewohner. Das will die Regionalregierung von Mallorca bekämpfen. Daher hat sie die Zustimmung der EU für ein Gesetz angefragt, das verbieten würde, dass Leute, die nicht auf Mallorca wohnen, dort Immobilien erwerben.

Der Schritt wurde so interpretiert, als wolle man Ausländern den Kauf von Immobilien verbieten. Aber das ist in Deià nicht der Fall, wo Ausländer, vor allem aus Großbritannien und den USA, rund 37 Prozent der Bevölkerung ausmachen. „Es geht nicht um die Nationalität der Leute. Alle sind willkommen. Es geht darum, wie sie die Häuser nutzen wollen“, erklärt Deiàs Bürgermeister Lluís Apesteguia. „Was wir wollen, sind Leute, die vorhaben, hier zu leben. Wir wollen keine Leute, die einen Zweitwohnsitz kaufen. Genauso wenig wollen wir Spekulanten.“

Deià war schon in den 1920ern eine Künstler:innenkolonie

Es war der englische Dichter und Romanautor Robert Graves, der 1929 nach Deià gezogen war, der die winzige Stadt zum Zielort für die Pilgerschaft von Künstler:innen und Schriftsteller:innen machte. „Schon als mein Vater hierherkam“, erzählt sein Sohn Tomás, „gab es eine Künstlerkolonie von deutschen und katalanischen Malern. Tatsächlich war seine erste Vermieterin eine US-Amerikanerin.“

Die Holzkohleindustrie auf Mallorca hatte einen Niedergang erlebt, der zu massenhafter Auswanderung führte. Daher ließen sich Häuser damals günstig kaufen oder mieten.

Als in den 1960ern der Massentourismus begann, war die Kolonie der ausländischen Einwohner der Stadt gegen jede Art touristischer Entwicklung. „Das war das erste Graben zwischen den Einheimischen und den Zugezogenen“, erzählt Graves. „Die Ausländer wollten nicht, dass weiter gebaut wird, und die Einheimischen sahen, was andernorts geschah und wollten etwas davon für sich haben.“

„Damals war Mallorca das Paradies. Es war ein Rückzugsort für Künstler, Dichter und Intellektuelle“, erinnerte sich Carmen Domènech, die 1974 aus Barcelona nach Deià zog. „Zwischen den Einheimischen und den Ausländern herrschte ein gutes Verhältnis. Man konnte in einer Bar sitzen und gleich am Nebentisch saß der argentinische Schriftsteller Julio Cortázar. Es war ein selbstverständliches Miteinander. Und Deia war noch ein richtiger Ort mit einem Metzger und einem Fischhändler.“

Investoren wollten Kunstkonsumenten, keine Künstler:innen

Die Lage begann, sich 1987 zu verändern, als Virgin Group-Chef Richard Branson die Baugenehmigung bekam, la Residencia zu bauen, ursprünglich als Rückzugsort für Künstler geplant, aber in Wahrheit ein Luxushotel. „Die Misere begann, als Branson kam. Da wurde ich zur Aktivistin“, erinnert sich Domènech. „Es wurde argumentiert, dass dank Branson viel Geld in die Gegend käme und alle Arbeit haben würden. Weil ich mich widersetzte, hatte ich fast das ganze Dorf gegen mich.“

Laut Graves stiegen die Hauspreise stark, „als die Residencia begann, statt Kunstproduzierende eher Kunstkonsumenten anzuziehen“. Die Preise stiegen erneut in den 1980ern mit der Verordnung, dass alle neuen Häuser in Deià aus Stein gebaut werden mussten, was den Bau deutlich teurer machte. Im Jahr 2002 verkaufte Branson das Hotel. Der neue Besitzer ist Bernard Arnault, Chef des französischen Luxuskonzerns LVMH und derzeit der reichste Mann der Welt.

Die 63-jährige Francesca Deià lebt fast ihr ganzes Leben schon in dem kleinen Ort. Sie erinnert sich daran, wie es war, an einem damals sehr konservativen und katholischen Ort mit einer solch kosmopolitischen Gruppe von Leuten aufzuwachsen. „Für die ältere Generation waren die Leute, die damals kamen, wie Außerirdische. Unsere Eltern wollten uns vor dem ganzen Sex, den Drogen und dem Rock’n’Roll beschützen“, erzählt sie. „Ich dagegen fühle mich bereichert, dass ich mit all den verschiedenen Nationalitäten aufwachsen konnte. Dass ich Englisch lernen durfte – und Walisisch. Die Leute, mit denen ich aufgewachsen bin, und ihre Kinder sind immer noch hier und sie sprechen alle mallorquinisch. Heute dagegen beobachte ich das eher selten. Es gibt weniger Integration.“

Heute ist das Dorf ein Themenpark

Ihr walisischer Partner Dai Griffiths fügte hinzu: „Es ist merkwürdig, dass häufig künstlerische Leute und Bohemiens sagen, dass sie sich an ländlichen, konservativen Orten freier fühlen als in der Stadt. Es ist als wären die sprachlichen und kulturellen Barrieren für sie ein Plus, weil sie nicht das Bedürfnis verspüren, mit den Leuten um sie herum in Kontakt zu treten. Das Dorf ist nur eine Kulisse.“

Bürgermeister Apesteguia beschreibt sich selbst als „pathologisch optimistisch“. Von der EU fordert er Flexibilität. Sie müsse anerkennen, dass die Inselgruppe der Balearen ein besonderer Fall ist, „sonst werden kleine Orte wie Deià aufhören zu existieren“. Beunruhigt beobachtet er die Entwicklung: „Die Bevölkerungszahlen auf Mallorca steigen, aber in Deià gehen sie zurück“. Für ihn steht zudem fest: „Ein Dorf ohne eine feste Gemeinschaft ist kein Dorf, es ist nur eine Gruppe von Häusern oder ein Touristen-Resort.“

Abgesehen von einem kleinen Supermarkt haben fast alle Läden geschlossen und die Hausarzt-Öffnungszeiten sind von vier Tagen in der Woche auf zwei Stunden geschrumpft. „Der Ort ist zu einer Geisterstadt und einem Themenpark geworden“, klagt Domènech. Apesteguia sieht das tendenziell ähnlich: „Die Touristen kamen her, weil es hier authentisch war“, erklärt er. „Aber das ist es nicht mehr.“

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Stephen Burgen | The Guardian

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