Mister Roberts stützt den Präsidenten

Obamacare Barack Obama hat die größte Unterstützung im Kampf um seine Wiederwahl erhalten, die er sich nur wünschen kann. Sie kam von gänzlich unerwarteter Seite
Die Repbulikaner hatten sich eine andere Entscheidung erhofft
Die Repbulikaner hatten sich eine andere Entscheidung erhofft

Foto: Kris Connor / Getty Images

Auch wenn die juristische Begründung des Obersten US-Gericht eine durch und durch konservative ist, stellt der Beschluss, wonach die Gesundheitsreform größtenteils verfassungsgemäß ist, für Obama einen gewaltigen politischen Sieg dar. Sein Herausforderer sah sich zu der lahmen Erklärung genötigt, das Gesetz im Falle seiner Wahl wieder aufheben zu wollen. Dies nicht weil er es für verfassungswidrig, sondern für schlecht halte. Dies ungeachtet der Tatsache, dass es jenem Gesetz sehr nahekommt, das Romney als Gouverneur von Massachusetts selbst verabschiedet hat. Da die Republikaner Obamacare wirklich mit allen erdenklichen Mitteln bekämpft haben – im Kongress ebenso wie vor Gericht – haben sie sich diese Niederlage wirklich redlich verdient.

Schwarze Bestie

Ein Sieg freilich nicht ohne ironische Wendungen. Der Kern des Affordable Care Act – die Anforderung, dass im Grunde jeder Amerikaner eine Krankenversicherung kaufen muss, wurde für verfassungskonform erklärt. Ursprünglich handelte es sich dabei um ein gemeinsames Projekt von Republikanern und Demokraten. Romney nannte es 2006 in seinem Bundesstaat „einen Auftrag, persönlich Verantwortung zu übernehmen“. Zur schwarzen Bestie wurde es für die Republikaner erst, als Obama das Projekt vorantrieb.

Allerdings erklärten die Obersten Richter zwei der drei gesetzlichen Grundlagen als unzulässig. Zurückgewiesen wurde etwa das Argument, die Vorraussetzung für die Krankenversicherungspflicht sei gegeben, weil der Kongress befugt sei, den Handel zwischen den US-Bundesstaaten zu regulieren. Dafür kam die Regierung mit dem Argument durch, bei dem „individuellen Mandat“ handele es sich um eine Steuer. Obama, der anfangs noch die Behauptung der Republikaner, er wolle mit Obamacare eine Steuer einführen, scharf zurückgewiesen hatte, musste sich nun die Blöße geben, sich auf eben dieses Argument zu stützen, um sein Vorhaben zu retten.

Pikanterweise hat er mit John Roberts die entscheidende fünfte Stimme einem von George Bush nominierten Chefrichter zu verdanken, der mit dieser Entscheidung zum Helden der Demokraten wurde. Man kann die Sache aber auch anders sehen: Ohne die Hilfe des Konservativen Mr. Roberts wären dreieinhalb Jahre Arbeit vergebens gewesen. Obama wäre eine historische Reform versagt geblieben, die bereits so vielen seiner Vorgänger nicht glückte. Entsprechend viele Worte über die Parteilichkeit des Verfassungsgerichts und Mr. Roberts selbst mussten gestern zurückgenommen werden, auch wenn der sich sicher bereits daran gewöhnt hatte, als Darth Vader des Gerichtswesens porträtiert zu werden. Denn letztlich hat seine Stimme die Gesundheitsreform gerettet, während Anthony Kennedy, der eigentlich als ausschlaggebender Moderater galt, sich dafür aussprach, die Reform in Gänze zu kippen.

Wie auch immer – das Gericht hat einen großen Beitrag dafür geleistet, den Ruf seiner Unabhängigkeit wieder herzustellen.

Millionen bleiben suspendiert

Doch das Urteil enthält auch mindestens zwei wichtige Vorbehalte: Es schließt eine Ausweitung der gesetzlichen Krankenversicherung auf Geringverdiener und chronisch Kranke aus, indem es der Bundesregierung verbietet, die neuen Bestimmungen auf dem Wege von Sanktionen gegen Bundesstaaten durchzusetzen, die sich dem Projekt verweigern. Die Bundesregierung könne nicht all das Geld zurückfordern, das sie den Bundesstaaten für deren bereits existierende Medicaid-Programme zur Verfügung gestellt hat, sondern lediglich das zusätzliche Geld vorenthalten, das ihnen durch den Ausbau zusteht. Die Ausweitung von Medicaid sollte eigentlich einen Versicherungsschutz für nahezu 16 Millionen Menschen erbringen. Millionen von Familien mit geringen Einkommen, die derzeit nicht arm genug sind, um einen Anspruch zu haben und die in Staaten wie Florida leben, die sich weigern, das Gesetz zu implementieren, bleiben nun außen vor. Die Reform mag in der Tat verfassungskonform sein – sie ist jedoch bei weitem nicht universell. Das Gericht schmälert darüber hinaus auch die Interpretationsbreite der so genannten commerce clause. Es geht um jene Bestimmung, die es der Bundesregierung erlaubt, den Wirtschaftsverkehr zwischen den Bundesstaaten zu regeln. Dies könnte Analysten zufolge die Möglichkeiten der Bundesregierung auch bei anderen Gesetzesvorhaben erheblich einschränken.

Das Gerichtsurteil bedeutet nicht das Ende dieser erbitterten Schlacht. Mehr denn je bedeutet es, dass Obama im November wiedergewählt werden muss, damit die wichtigsten Bestimmungen des Gesetzes auch umgesetzt werden. Der Richterspruch war trotzdem ein großer Schritt nach vorn – für die Gesundheitsreform und für Obamas Wiederwahl.

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Übersetzung Holger Hutt
Geschrieben von

Editorial | The Guardian

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