Aufklärung Wedad Loothah ist gläubige Muslima und arbeitet als Eheberaterin in Dubai. Nun hat sie einen Sex-Ratgeber für Muslime geschrieben – im Einklang mit den Regeln des Korans
Wedad Loothah sieht wirklich nicht aus wie eine Sex-Aktivistin. Als Muslimin, geboren in den Vereinigten Arabischen Emiraten, trägt Loothah einen langen, schwarzen Gesichtsschleier, durch dessen Sehschlitze nur ihre braunen Augen zu sehen sind und streut in ihre Rede immer wieder Zitate aus dem Koran ein. Trotzdem ist sie die Autorin eines für den Nahen Osten erstaunlich offenen Buches mit Ratschlägen in Sachen Erotik.
Streng geheim: Sexualratgeber für verheiratete Paare ist voller Anekdoten aus Lootahs achtjähriger Praxis als Eheberaterin in Dubai. Das Buch wurde in den Emiraten auf Arabisch veröffentlicht und löste kontroverse Reaktionen aus. Liberale lobten es, von Konservativen erhielt die Autorin dagegen Morddrohungen.
Die eloquente 45-Jährige geh
quente 45-Jährige gehört zu der kleinen, aber wachsenden Zahl von Arabern, die sich für größere Offenheit und mehr Aufklärung in Sachen Sexualität einsetzen. Anders als frühere Generationen von Frauen, die ihre Kritik in einer westlichen Sprache und im Jargon der Frauenemanzipation formulierten, können Lootah und ihre Mitstreiter nicht so leicht übergangen werden. Meist sind sie gläubige Muslimas, die ihre Botschaft dem Koran entnehmen. Lootah beispielsweise studierte an der Uni Islamisches Recht, nicht westliche Psychologie. Und ihr Buch ist gespickt mit religiösen Bezügen.Viele halten sie für verrücktBevor sie das Buch veröffentlichte, legte sie den Text dem Mufti von Dubai vor. Der gab seine Zustimmung, warnte sie allerdings davor, das Publikum in den arabischen Ländern könnte für solch ein Buch noch nicht bereit sein – insbesondere, wenn es von einer Frau geschrieben wurde. „Die Leute sagten, ich müsse verrückt geworden sein, ich sei vom Islam abgekommen und man müsse mich töten. Selbst meine Familie fragt mich, warum ich so etwas schreiben muss. Ich antworte ihnen, dass man diese Probleme nicht ignorieren darf, da sie Teil der Realität sind, in der wir leben.“Lootah behandelt in ihrer Praxis pro Tag bis zu sieben Fälle, Einzelpersonen wie auch Paare. Die meisten sind Emiratis, aber im multikulturellen Dubai, wo 90 Prozent der Bevölkerung aus dem Ausland kommt, hat sie auch schon Europäer und Asiaten beraten. „Manche Leute sind erstaunt darüber, dass ich mit Menschen arbeiten kann, wenn diese dabei nur meine Augen sehen können“, sagte sie und lacht leise. „Vielleicht gelingt mir dies durch die Art und Weise, wie ich meine Hände bewege. Jedenfalls kommen die Leute zu mir und sprechen sehr offen über ihre Probleme.“ Sie nennt ein paar Beispiele: Der General, dessen Frau eine Affäre anfing, weil er zu selten zuhause war; Die Frau, die dachte, Fellatio verstoße gegen den Islam (was überhaupt nicht stimmt, wie Lootah anmerkt) – und die Frau, die bemerkte, dass ihr Mann Frauenkleider anzog und in Schwulenbars ging.Gemessen an westlichen Maßstäben ist Lootah keine Liberale. Eines der Themen ihres Buches ist die Gefahr, die von Analverkehr und Homosexualität ausgeht, weil der Koran dies verbietet. Aber ihre Offenheit war für viele dennoch ein Schock. Lootahs Darstellung zufolge machen in Saudi-Arabien und anderen Ländern, in denen die Geschlechter getrennt sind, Männer ihre ersten sexuellen Erfahrungen mit anderen Männern. „Viele Männer, die vor ihrer Heirat mit anderen Männern Analverkehr hatten, wollen dies auch mit ihren Ehefrauen – sie kennen nichts anderes. Dies ist einer der Gründe, warum wir Sexualerziehung in den Schulen brauchen.“Frauen sollen Lust empfindenLootah ist sehr wichtig, dass Frauen beim Sex Lust empfinden. Einer der Fälle, die sie dazu veranlasste, ihr Buch zu schreiben, sei eine 52-jährige Großmutter gewesen, die beim Sex mit ihrem Ehemann nie Befriedigung verspürt habe. „Schließlich entdeckte sie den Orgasmus! Ihr ganzes Leben lang wusste sie nicht, was das ist!“Ein weiteres Thema des Buchs ist der Zerfall der Familie und die zunehmende Untreue zwischen den Partnern. Lootah vertritt da eine kulturpessimistische Haltung. Sie meint, die große Zahl ausländischer Frauen in Dubai und die leichte Kommunikation über E-Mails und Textmitteilungen habe den Ehebruch wesentlich erleichtert. Die Scheidungsrate in Dubai ist auf 30 Prozent gestiegen. „Zuvor lebten die Menschen an einem Ort und die Gemeinde war wie eine große Familie. Heutzutage sind die Leute in verschiedene Gegenden verstreut und die Traditionen haben sich geändert.“ Seit 2001 exististiert am Gerichtshof von Dubai eine "Abteilung für Familienberatung". Eine direkte Folge der steigenden Scheidungsrate.Lootah hätte nie erwartet, an dieser Debatte teilzunehmen. Als eines von neun Kindern eines analphabetischen Wasserverkäufers heiratete sie früh und arbeitete jahrelang als Lehrerin. Später war sie für eine islamische Stiftung tätig. Ihre Bemühungen, in Gefängnissen Unterricht und Tage für die Familienzusammenführung einzuführen, brachten ihr zwei Preise für Angestellte im öffentlichen Dienst ein. Als Dubai 2001 die Familienberatung am Gericht einführte, fragte sie der Landesherr Scheich Mohammed bin Rashid al Maktoum, ob sie die erste Beraterin werden wolle. (Heute gibt es sechs weitere Berater, alles Männer.) Die Familienberatung wurde auch eingeführt, um den islamischen Vorgaben zu entsprechen, dass Paare, die sich scheiden lassen wollen, zunächst versuchen sollten, ihre Probleme zu lösen. In der Praxis wurde daraus nach und nach eine Allround-Beratung für Paare mit Eheproblemen aller Art.Sie lehnt den Begleitschutz abIhr Vater unterstützt das Buch, aber andere Familienmitglieder fragen sich, warum sie mit all dem so sehr an die Öffentlichkeit geht. Nach der Veröffentlichung bekam sie eine Morddrohung ins Büro geschickt. Auch im Netz gab es Drohungen. Lootah wischt sie beiseite und hat auch das Angebot der Regierung ausgeschlagen, ihr Begleitschutz zu geben. Die Öffentlichkeit aufzuklären sei jedes Risiko wert, sagt sie. „Vor ein paar Tagen fragte mich eine Frau, ob es in Ordnung sei, einen Mann am ganzen Körper zu küssen. Ich habe ihr einfach gesagt, sie solle mein Buch lesen.“
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