Rosig mag die Zukunft der britischen Linken nicht aussehen, aber immerhin ist sie farbenfroh. „Red Ed“ nennt die konservative Boulevardpresse Ed Miliband, weil sie bei einem Wahlsieg des Labour-Spitzenkandidaten einen Linksruck befürchtet, wie man ihn von der ehemaligen Arbeiterpartei schon lange nicht mehr erwartet hat. „Blue Ed“ nennen ihn einige Parteilinke, weil sie meinen, Miliband habe seine Partei beim Versuch, sich von dem Nachlass der neoliberalen New-Labour-Ära zu distanzieren, in reaktionäre Gewässer manövriert (blau ist traditionell die Farbe der konservativen Tories). Unter Insidern kursiert außerdem der Spitzname „Brown Ed“: Als Berater des damaligen Schatzkanzlers Gordon Brown war Miliband ursprünglich in
in die Politik gegangen. Manch einer lästert, er leide unter einem ganz ähnlichen Defizit an Charisma wie der knorrige Ex-Premier.In seiner Kindheit, behauptete Miliband einst in einem Interview, habe er so eifrig an seinem Zauberwürfel geübt, dass er das Geduldsspiel immer noch in 90 Sekunden lösen könne. Bei der britischen Unterhauswahl am 7. Mai wird sich zeigen, ob er bei der ideologischen Neuausrichtung der Partei ein ähnliches Fingerspitzengefühl bewiesen hat. Und gelingt es ihm, die verschiedenen politischen Farbtöne erfolgreich neu zu ordnen, dann sollten sich Europas krisengeschüttelte Sozialdemokraten etwas genauer mit dem Milibandschen Zauberwürfel beschäftigen.Als einen „altmodischen Sozialdemokraten“ beschrieb ihn das wirtschaftsliberale Magazin The Economist. Miliband hat sich klar vom wirtschaftsfreundlichen Kurs unter der Führung Tony Blairs distanziert: New Labour habe dem Land viel Abwechslung bereitet, „aber das heißt nicht, dass wir auch ein gutes ökonomisches System hatten“. Miliband plädierte für eine moralischere Form des Kapitalismus: In der Wirtschaft gäbe es nicht nur wertschaffende Produzenten wie Rolls Royce, sondern auch „Predators“: Raubtiere, die der Staat in Zaum halten müsse. Konkret bedeutete das die Kontrolle des Finanz- und Energiesektors, eine Bremse für Bahnpreise und weniger Steuervorteile für die Reichen im Land. Miliband, Sohn eines Belgiers, der vor den Nazis nach Großbritannien geflüchtet war, gilt als Bewunderer des Rheinischen Kapitalismus, in seinen Beraterkreisen schwärmt man von Konrad Adenauer und deutschen Landesbanken.Die Tories bejubelten die ersten Auftritte des neuen Mannes. Sozialdemokratische Fimmel in der Labour-Partei waren schon immer ein gutes Omen für die Konservativen gewesen. In den Achtzigern hatte die Gründung der kurzlebigen Social Democratic Party zum Machterhalt Margaret Thatchers beigetragen; der letzte Labour-Spitzenkandidat mit klaren sozialdemokratischen Tendenzen, Neil Kinnock, verlor die Wahl von 1992 gegen den scheinbar blassen John Major. Regierungspolitiker – und nicht wenige Labour-Abgeordnete – waren überzeugt, dass Eds älterer Bruder David der bessere Spitzenkandidat gewesen wäre. Diesen hatte der jüngere Miliband 2010 bei der Wahl zum Parteivorsitz mit der denkbar knappsten Mehrheit geschlagen.Beide Miliband-Brüder waren während der New-Labour Zeit in der Parteihierarchie emporgestiegen. Ed Miliband konnte sich eine größere ideologische Distanz zu dem Denken jener Zeit bewahren als der Blair-Jünger David, eventuell auch dank eines Studienjahres an der US-Eliteuni Harvard. Der 45-jährige Oxford-Absolvent umgab sich mit einem wahren Hofstaat von linken Akademikern und ehemaligen Kommilitonen. Ob die abstrakten Ideen, die Miliband mit einem Philosophenkreis entworfen hat, auch bei den Wählern ankommen, lässt sich bezweifeln. Eine der großen Ideen war bis vor kurzem noch „Predistribution“, wonach der Staat nicht nur die ungerechte Verteilung von Wohlstand besser ausgleichen, sondern aktiv Reichtum gerechter verteilen soll. Predistribution ist inzwischen bei Labour-Redeschreibern tabu: Die Menschen verstehen es einfach nicht.Miliband ist kein so eloquenter Rhetoriker wie der amtierende Premier David Cameron. Seine Körpersprache wirkt oft steif, die Stimme näselnd, persönliche Züge zu einstudiert. Politische Schauspielkunst scheint ihn zu langweilen. Aber Prinzipien und einen eigenes Gründungsnarrativ hat Miliband auf jeden Fall. Einen Erdrutschsieg wie Blair 1997 wird er damit nicht erreichen – in den letzten Umfragen liegt Labour weiter Kopf an Kopf mit den Tories. Aber in den letzten Wochen vor der Wahl sind Milibands Beliebtheitswerte gestiegen: Sein Sprödheit wirkt möglicherweise ehrlicher als der professionelle Charme eines David Cameron.In Deutschland liegt Milibands Reformkurs dem Authentizitätsfundamentalismus eines Grünen Toni Hofreiter viel näher als dem SPD-Bauchstrategen Sigmar Gabriel. Die große Vision Gabriels einer sozialdemokratischen Zukunft bleibt indessen unklar. Was man in sozialdemokratischen Kreisen von Miliband abkupfern könnte, falls dieser im Mai von der Queen zum nächsten Premierminister Großbritanniens rnannt werden sollte: den Killerinstinkt. In der Miliband-Familie mag David der charismatischere Kopf sein, der bessere Redner, aber in entscheidenden Momenten hatte sein Bruder den größeren Willen zur Macht. Als Ed die Chance bekam, seinen Bruder zu übertrumpfen, zeigte er eine Skrupellosigkeit, die an Angela Merkels „Vatermord“ an Helmut Kohl erinnerte. Der konservative Verteidigungsminister Michael Fallon kritisierte, jemand der seinen Bruder in den Rücken falle, „würde auch dem Vereinigten Königreich in den Rücken fallen“. Es klang beinahe ehrfürchtig.