Mit lauter Stimme

Teilhabe In Kamerun gibt es Frauenquoten in Parteien, aber zu wenige Kandidatinnen. Ein neues Training soll das ändern
Ausgabe 38/2013
Mit lauter Stimme

Foto: Jenny Matthews / VSO

An einem sonnigen Tag Anfang Mai hat sich in Ndu, einer Kleinstadt im Osten Kameruns, eine Gruppe von Frauen versammelt. Viele von ihnen haben sich extra von ihrer Arbeit auf dem Feld einen Tag freigenommen. Nun beurteilen sie gemeinsam den Auftritt einer Frau aus ihrer Mitte, die sich um ein politisches Amt bemüht. Eine der Frauen sagt, die Kandidatin solle mehr lächeln. Eine andere meint, sie solle lauter und deutlicher reden und während des Sprechens nicht auf ihre Füße schauen.

Die Frauen sind hier in einem Gemeindezentrum zusammengekommen, um das Reden in der Öffentlichkeit zu üben und mehr über den Ablauf von Wahlen zu lernen. Parteigrenzen spielen keine Rolle. Frauen der Demokratischen Volksbewegung (CPDM) sitzen Seite an Seite mit Frauen der Sozialdemokratischen Front (SDF) – das Thema der politischen Teilhabe der weiblichen Bevölkerung geht über die Parteigrenzen hinaus. In Kamerun sind Frauen nun endlich auf dem Vormarsch.

Bislang kommt die afrikanische Politik ausgesprochen männlich daher. Die Staatschefs unterteilen sich in die Kategorien „großer Staatsmann“ (Nelson Mandela), „Tyrann“ (Charles Taylor und Sani Abacha), „missverstandener Mann des Volkes“ (Robert Mugabe) und die der „eigentümlich Langlebigen“ (Teodoro Obiang in Äquatorialguinea oder José Eduardo dos Santos in Angola). In jüngster Zeit allerdings scheint die Dominanz der Chromosomenkombination XY ein wenig abgenommen zu haben. 2006 wurde Ellen Johnson Sirleaf erstmals zur Präsidentin Liberias gewählt, fünf Jahre später gewann sie eine zweite Amtszeit. Im April vergangenen Jahres gelangte mit Joyce Banda auch in Malawi eine Frau in das oberste Staatsamt. Das Forbes-Magazin führte sie daraufhin in der Liste der mächtigsten Frauen der Welt an Stelle 47. Und erst Anfang September wurde Aminata Touré zur Premierministerin des Senegal gewählt.

Im vergangenen Jahr rief die Generalsekretärin der UN-Organisation UN Women, Michelle Bachelet, zu „mehr Engagement für die Erhöhung der Teilhabe von Frauen in der Politik“ auf. Und sie plädierte für die Einführung von Quoten, um etwas gegen das Geschlechterungleichgewicht in vielen Parlamenten zu tun. In den viel gelobten skandinavischen Ländern Norwegen, Schweden und Dänemark sind Frauen auf parlamentarischer Ebene stark vertreten: Laut Angaben der Weltbank beträgt ihr Anteil dort 40, 45 und 39 Prozent. Im Vergleich zum kleinen, zentralafrikanischen Staat Ruanda nehmen sich diese Zahlen aber immer noch gering aus. Dort sind sage und schreibe 56 Prozent der Parlamentarier Frauen – das ist der höchste Anteil in der Welt und liegt weit über der vorgeschriebenen Quote von 30 Prozent.

Ausgeglichener mit Quote

Eine Untersuchung von UN Women und der Interparlamentarischen Union (IPU) zeigte, dass 17 der 59 Länder, in denen im Jahr 2011 Wahlen stattfanden, Quoten eingeführt hatten. In diesen Ländern wiederum hatten Frauen 27 Prozent der Sitze gewonnen. In Ländern ohne Quotenregelung kamen sie bloß auf 16 Prozent.

Auch für die potenziellen Kandidatinnen im kamerunischen Ndu sind Quoten ein Thema. Am 30. September finden Regional- und Parlamentswahlen statt. Erstmals haben Aktivisten die Parteien dazu bewegen können, sich an die Quoten zu halten, die schon seit Längerem beschlossen sind. Zu den Organisationen, die sich für die Durchsetzung von Quoten – und anderer Wege zu ebenbürtiger Mitbestimmung – einsetzen, zählt etwa die britische Freiwilligen-Organisation Voluntary Service Overseas (VSO). Sie hat im vergangenen Sommer eine Kampagne ins Leben gerufen, um die Beteiligung von Frauen an Entscheidungsprozessen auf allen Ebenen zu erhöhen.

Kürzlich hat VSO einen Bericht über die Ursachen und Auswirkungen von Geschlechterungleichgewichten unter Entscheidungsträgern veröffentlicht, der sich auch damit beschäftigte, wie die Hürden zu politischer Partizipation sich reduzieren lassen könnten.

Dass Quoten allein nicht die Lösung sind, zeigt sich deutlich in Kamerun. Hier haben die wichtigsten Parteien sich in den letzten Jahren das Ziel einer Frauenquote von 30 Prozent gesetzt. Diese wird aber nur in wenigen Abgeordnetenversammlungen erreicht. In der Stadt Bamenda setzt sich eine lokale NGO gemeinsam mit VSO dafür ein, dass mehr Frauen und Angehörige von Minderheiten Abgeordnete werden. Dabei stellten sie fest, dass es oft an Selbstvertrauen und schlicht an der Kenntnis des Wahlsystems mangelte: „Wir haben ein Trainingsprogramm aufgebaut, um diese Frauen erreichen zu können. Es geht dabei etwa um die Stärkung ihres Selbstbewusstseins oder um Kampagnenführung“, erläutert Bih Pascaline, der bei Cominsud ein Programm namens Democracy and Empowerment of Women leitet. Bislang haben über 450 Frauen an den Trainings zur Politikerin teilgenommen.

In Ruanda hingegen ist die 30-Prozent-Quote seit ihrer Einführung stets übertroffen worden. Die Nachbarländer schneiden nicht viel schlechter ab: In den Parlamenten Burundis und Ugandas liegt der Frauenanteil ebenfalls über 30 Prozent. Wie erklärt sich aber der außerordentliche Erfolg Ruandas? Agnes Matilda Kalibata ist seit 2008 ruandische Landwirtschaftsministerin. Sie führt den überdurchschnittlichen Anteil von Frauen in öffentlichen Ämtern auf die Umstrukturierung der ruandischen Gesellschaft nach dem Genozid zurück: „Kernbestandteil des Wiederaufbaus war es, die Frauen aus den Haushalten und von den Feldern zu holen“, sagte sie der Washington Post. „Als Nation beginnen wir zu verstehen, dass Gleichberechtigung erheblichen finanziellen Nutzen mit sich bringt.“

In Ruanda finden in dieser Septemberwoche Wahlen statt. Auch diesmal geht man davon aus, dass Frauen mehr als die 24 Plätze gewinnen werden, die für sie reserviert sind. Neben der Frauenquote gibt es in Ruanda auch eine für junge Menschen. Darüber hinaus ist ein Sitz für einen Menschen mit Behinderung reserviert.

In Kamerun hofft man hingegen, dass es mit dem Frauenanteil besser läuft als bisher. John Fru Ndi, Vorsitzender der Oppositionspartei SDF, gibt sich zuversichtlich. Nicht nur in Hinsicht auf die Partizipation von Frauen: „Unsere Abgeordnetenversammlungen müssen repräsentativer werden – es müssen Quoten für junge Menschen, ethnische Minderheiten und Frauen erfüllt werden, damit die Interessen aller Bürger vertreten werden.“ Er selbst hat in seiner Partei schon vor Jahren eine Frauenquote von 25 Prozent eingeführt, die Umsetzung aber gestaltet sich nach wie vor schwierig: „Die Demokratie hier ist noch jung“, sagt er. Die Männer täten sich schwer, Macht an Frauen abzugeben. „Und einige der Frauen sind schüchtern.“ Dennoch sagt er zuversichtlich: „In 23 Oppositionsjahren ist es uns gelungen, mehr Frauen an Bord zu holen.“ Und mit den neuen Trainingsprogrammen würden Frauen weiter gestärkt.

Eine Frau, ein Wort

Chris Mbunwe, ein Journalist von der kamerunischen Zeitung The Post, glaubt, dass viele Männer vor allem aus Unwissenheit nicht bereit seien, Frauen ins Boot zu holen: „Viele Männer sind immer noch der Ansicht, gäbe man einer Frau Macht, gäbe man ihr damit die Macht, ihnen zu schaden.“ Allerdings setze allmählich ein Haltungswandel ein. Viele Männer hätten erkannt, „dass etwas fehlte – dafür war vor allem die Leistung der Frauen ausschlaggebend“, sagt Mbunwe. „Wenn eine Frau sagt: ‚Ich werde hier eine Brücke bauen‘, dann baut sie sie auch. In Stadträten und im Parlament arbeiten sie in der Regel transparenter und verantwortlicher.“

Inzwischen haben die kamerunischen Parteien die Listen mit ihren Kandidaten eingereicht. In Ndu kommt trotz aller Bemühungen auf 41 Abgeordnete nur eine Frau. Damit ist es die Stadt mit dem kleinsten Anteil weiblicher Abgeordneter in der Region, in der sich die Situation insgesamt ein wenig verbessert hat: Auf der Liste der SDF finden sich fünf Frauen (12 Prozent), auf jener der CPD sind es elf (27 Prozent).

Michelle Hain, die als VSO-Freiwillige bei den Politikerinnen-Trainings mitarbeitet, beobachtet jedoch eine große Entschlossenheit unter den Frauen: „Das Training zum Reden vor Publikum und der Unterricht über die Wahlgesetzgebung haben ein Ziel: bei Frauen das Selbstbewusstsein aufzubauen, auf der politischen Bühne zu agieren.“ Im Vorlauf der Wahlen gab es ein paar Berichte über Kandidatinnen, deren Unterlagen „verloren“ gegangen seien. Mindestens eine Frau musste ihren Listenplatz vor einem Gericht in der Hauptstadt Yaounde verteidigen. Aber die Frauen hätten so Selbstvertrauen gewonnen, sagt Hain: „Man kann es daran sehen, wie entschlossen sie sind.“

Bim Adewunmi ist Mitarbeiterin des Guardian und bloggt unter yorubagirldancing.com

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Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Bim Adewunmi | The Guardian

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