Seit die Unruhen in den arabischen Ländern auch das Königreich Bahrain erreichen und dort immer mehr Demonstranten durch Kugeln der Polizei ums Leben kommen, regt sich auch in Saudi-Arabien Unmut. Zunächst wurde – wie so oft im Internet – zu einem "Tag des Zorns" in einem Königreich aufgerufen, das bisher glaubte, ohne politische Parteien auszukommen. Die Initiatoren blieben anonym, und es gab Befürchtungen, es könnte sich um eine Finte des Geheimdienstes handeln. Auch springen inzwischen immer mehr Islamisten auf den Protestzug auf, denen keine reformierte konstitutionelle Monarchie, sondern ein islamischer Gottesstaates vorschwebt, wie er durch die Vorstellungen von al Qaida geistert.
Eine im Internet kursierende Petition – unterzeichnet von 1.500 prominenten Saudis und versehen mit der Überschrift Für ein Land mit Rechten und Institutionen – verlangt gleichfalls ein gewähltes Parlament und eine Exekutive, die sich für Entscheidungen verantworten muss. Das Dokument pflegt eine höfliche Sprache und wartet mit einer Präambel auf, die dem König gute Gesundheit wünscht. Obwohl die Semantik meilenweit von Slogans entfernt ist, wie sie in Tunis, Kairo oder Sanaa zu hören sind, ist der Netzzugang blockiert. Schließlich gibt es eine „Jugendpetition“ von 60 Journalisten und Cyber-Aktivisten, die neben dem Bekenntnis zu mehr Liberalität für ein auf 40 Jahre herabgesetztes Durchschnittsalter von Ministern plädiert. Es gäbe eine neue veränderungswillige Generation, meint ein saudischer Journalist. „Aber sie respektiert nach wie vor die roten Linien.“
Iranische Verschwörung
Saudi-Arabien ähnelt in vielem der arabischen Nachbarschaft – 70 Prozent der Bevölkerung sind unter 20, 40 Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 24 ohne Arbeit, Hochschulabsolventen oft ohne Perspektive. Die absolute Monarchie mit ihren 8.000 Prinzen ist niemandem rechenschaftspflichtig und transparent schon gar nicht. Frauen dürften weder Autofahren noch ins Ausland reisen, ohne dass ein männlicher Verwandter seine Zustimmung gibt. Die Religionspolizei ist ebenso berüchtigt wie die Folter bei Gefängnisinsassen üblich.
Die Regierung in Riad reagiert auffallend nervös auf zarte Blüten zivilen Ungehorsams. Bereits am 4. März kam es im Osten zu Demonstrationen für die Freilassung des schiitischen Geistlichen Scheich Tawfiq al-Amer, der in Gewahrsam genommen wurde, nachdem er für eine konstitutionelle Monarchie gepredigt hatte. Am gleichen Tag geriet auch die Hauptstadt in den Sog der Proteste, provoziert durch die Festnahme des jungen sunnitischen Lehrers Mohammed al-Wadani, der Tage zuvor ein Video auf YouTube hochgeladen hatte, in dem er einer autoritären Monarchie eine Absage erteilte. Im ostsaudischen al Qatif kam es Mitte März täglich zu Demonstrationen, die von der Polizei durch den Gebrauch von Schusswaffen paralysiert wurden. In dieser Zeit kursierten Gerüchte, was sich an Ungehorsam rege, gehe auf eine iranische Verschwörung zurück. Wer teilnehme, müsse mit Haft- und hohen Geldstrafen zu rechnen. Sollten diese Drohungen einschüchtern, so taten sie es und bewirkten, dass es in Riad völlig ruhig blieb. Viele Saudis glauben ohnehin an den Reformwillen des Königs, dem man sein hohes Alter zugute hält. Ein Nationaleinkommen, das dreimal größer ausfällt als in Ägypten, und die Kontrolle über 20 Prozent der Weltölreserven verführen die Regierung reflexhaft zu der Überzeugung, alles mit Geld lösen zu können.
Als König Abdullah im Februar von einem langen Aufenthalt zur medizinischen Behandlung in den USA und Marokko zurückkehrte, teilte er mit, 37 Milliarden Dollar für bessere Löhne, für erschwinglichen Wohnraum und gegen Arbeitslosigkeit ausgeben zu wollen. Dass die Menschen mehr brauchen könnten als Geld – eine politische Antwort auf ihre Forderungen etwa – kam ihm nicht in den den Sinn.
In Riad drehen Gerüchte die Runde, nach denen jüngere Prinzen die Positionen alternder Väter übernehmen sollen. Werden solche Rochaden Kritikern besänftigen und dazu angetan sein, Jahre der Lethargie zu kompensieren? „Wir brauchen einen Mentalitätswandel“, schreibt eine Bloggerin, „der König wird geliebt. Die Menschen verehren seine Persönlichkeit, aber die Monarchie muss begreifen, dass Zeiten und Menschen sich ändern.“ Anders als in Saudi Arabien breitet sich in der Umgebung der Aufruhr gegen die Regierung sehr viel stärker aus, so dass in Bahrain der Kronprinz den Königsthron so schwer erschüttert sieht, die saudische Armee ins Land zu holen.
Ganze zwei Prozent
In Saudi-Arabien sind der Innenminister wie führende Geistliche dazu übergegangen, Demonstrationen für unislamisch zu erklären und so das Protestfieber zu dämpfen. Vor Wochenfrist, als es einen „Tag des Zorns“ geben sollte, wurden potenzielle Teilnehmer durch ein gewaltiges Polizeiaufgebot, Checkpoints auf den Straßen und Hubschrauber am Himmel eingeschüchtert. Dabei blieb unklar, wer denn überhaupt zum Ungehorsam getrommelt hatte. Zuweilen beginnen Aufrufe mit einem Plädoyer zur Zivilgesellschaft und enden mit offenen religiösen Ressentiments und einem Schwur auf den Islam. Mit anderen Worten, die Grassroots-Bewegung wird gekapert, erhält einen dschihadistischen Namen und heißt Hunain, was an eine berühmte Schlacht in der Frühgeschichte des Islam erinnert.
Unversehens taucht ein Abgesang auf die Monarchie auf, die durch einen neuen islamischen Staat nach der Art Osama bin Ladens und al Qaidas ersetzt werden soll. Doch finden derartige Postulate in Saudi-Arabien keinen Beifall mehr. So unterstützen auch prominente Saudis, die anfangs Petitionen unterschrieben haben, derzeit keinerlei Aufrufe mehr zur Demonstration, egal ob es sich um Akademiker, Schauspieler oder Schriftsteller handelt, deren Proklamationen zunächst Tausende Landsleute dazu gebracht hatten, tapfer ihre Namen unter derartige Schreiben zu setzen. Fouad al-Farhan startete eine nichtrepräsentative Umfrage, bei der etwa 400 Saudis erfasst waren. 37 Prozent zeigten sich erleichtert, dass bei bisherigen Protesten nichts passiert ist, und teilten mit, sie würden jede Demonstration ablehnen. 30 Prozent waren ernüchtert, weil sie gehofft hatten, Manifestationen könnten Reformen vorantreiben. 31 Prozent gaben der Zuversicht Ausdruck, dass es in jedem Fall zu Reformen kommen werde – mit oder ohne Demonstrationen. Nur ganze zwei Prozent waren enttäuscht, weil sie sich Revolten wie in Tunesien oder Ägypten erträumt hatten.
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