Der Tod der britischen Königin stellt ein geteiltes Großbritannien auf die Probe

Monarchie Elizabeth II. hat 70 Jahre lang Stabilität in einem von Veränderung und politischen Zerwürfnissen gezeichneten Britannien bedeutet. Ihr Tod wirft Fragen auf – auch über die Zukunft der Monarchie
Zwei Tage vor ihrem Tod hat die Queen auf Schloss Balmoral Liz Truss zur neuen Premierministerin ernannt
Zwei Tage vor ihrem Tod hat die Queen auf Schloss Balmoral Liz Truss zur neuen Premierministerin ernannt

Foto: Jane Barlow/AFP/Getty Images

Der Tod eines Monarchen ist ein völlig vorhersehbares Ereignis, dessen feierliche Formalitäten in den Ritualen der dynastischen Erbfolge fest verankert sind. Aber es ist auch ein Ereignis, das sich – auch aus Gründen der Höflichkeit – nur schwer zu einem bestimmten Zeitpunkt vorhersehen lässt.

Mit dem Tod von Königin Elizabeth II. in Balmoral befindet sich eine vorbereitete, aber dennoch schockierte Nation in einem solchen Moment. Es ist wichtig, dass unsere aufgewühlte Politik und unsere verwundete Zivilgesellschaft sich diesem Ereignis so ruhig und vernünftig wie möglich stellen, denn dieses Ereignis wird politisch und verfassungsrechtlich noch jahrelang nachwirken.

Elizabeth war so viele Jahre auf dem Thron, dass sie diesen Prozess ohne eigenes Verschulden erschwert hat. Sie regierte länger als jeder andere Monarch in der britischen Geschichte, und zwar mit beträchtlichem Abstand. Sie ist die einzige, die mehr als 70 Jahre regiert hat, eine Zeitspanne, die sich in absehbarer Zeit wohl nicht wiederholen wird. Bis gestern war sie der einzige Monarch, den die große Mehrheit von uns je gekannt hat – man muss mindestens 75 Jahre alt sein, um sich noch an die Regierungszeit von George VI. erinnern zu können. Dies ist ein großes, großes Ereignis für Großbritannien.

Elizabeth II. prägte ein eigenes Modell der Monarchie

Sie stand einem System der Monarchie vor, das zeitlos erschien, aber in Wirklichkeit anpassungsfähig und unverwechselbar war. Ihr Durchhaltevermögen und ihre Fähigkeit, Distanz zu wahren, haben ein Modell der Monarchie hinterlassen, das für Charles III. nicht leicht zu kopieren sein wird. Insbesondere wenn es ihm, was durchaus möglich ist, nicht gelingt, sich den Respekt zu verdienen, den Elizabeth genoss.

Die Anzeichen waren gestern plötzlich bedrohlich. Es ist ungewöhnlich, dass der Buckingham-Palast, der sonst so wortkarg und unkommunikativ ist, sich so offen zu den gesundheitlichen Problemen der Monarchin äußert. Noch ungewöhnlicher ist es, dass die verstreuten und manchmal zerstrittenen Mitglieder der königlichen Familie in Massen zum Bett der Königin in Balmoral strömen.

Dennoch ist dies der Moment, auf den sich der neue Monarch lange vorbereitet hat, und er wird mindestens ebenso sehr von Veränderungen geprägt sein wie von Kontinuität. Aber es ist ein Prozess des Wandels, bei dem die vielen Institutionen der britischen Gesellschaft, nicht nur der Palast, ein Mitspracherecht haben.

Parlament und Monarchie blieben getrennt

Auch die Monarchie entwickelt sich weiter, wenn auch langsam. Sie hat sich unter Elizabeth weiterentwickelt, ebenso wie unter George VI. Sie wird sich sicherlich auch unter Charles weiterentwickeln, der entschlossen ist, die Zahl der arbeitenden Royals zu verringern, und der mit Sicherheit auch nicht mehr das Staatsoberhaupt vieler Commonwealth-Länder sein wird. Doch außerhalb der Palastmauern scheint sich ein kollektives Tabu entwickelt zu haben, wenn es darum geht, die Zukunft des britischen Lebens ohne Elizabeth zu diskutieren.

Erst im Januar gab es ein ungeheuerliches, aber aufschlussreiches Beispiel für diese Gewohnheit. Im Zuge der Partygate-Affäre erhob sich Keir Starmer im Unterhaus und zog einen Vergleich zwischen der laxen Einhaltung der Covid-Regeln in Boris Johnsons Downing Street und der peinlich genauen und ergreifenden Einhaltung dieser Regeln durch die verwitwete Königin bei der Beerdigung von Prinz Philip während der Pandemie im Jahr 2021.

Es war ein Kontrast, den Millionen von Menschen für sich begriffen hatten, aber es zog eine sofortige Rüge des Sprechers des Unterhauses, Lindsay Hoyle, nach sich, der Starmer darauf hinwies: „Normalerweise würden wir die königliche Familie nicht erwähnen, und das ist auch richtig so. Wir lassen uns nicht auf Diskussionen über die königliche Familie ein“.

Dies ist eine infantile Haltung für einen hochrangigen Parlamentarier. Das Parlament sollte sich vielleicht nicht in Diskussionen über die königliche Familie einmischen, aber alle anderen im Land tun es. So natürlich auch die Presse, die weiß, dass sich die Royals – ob in Form der vorbildlichen Cambridges, der unruhigen Sussexes, des in Ungnade gefallenen Andrew oder der anhaltenden Anziehungskraft von Diana – gut verkaufen. Es ist unbegreiflich, dass das Parlament das System der konstitutionellen Monarchie, auf dem seine eigene Vormachtstellung beruht, so sinnlos und selbstverleugnend verordnet hat.

Die Monarchie muss diskutiert werden

Die Vorstellung, dass die britische Art der Monarchie das einzig mögliche Modell ist, ist Unsinn. Unsere ist die einzige europäische Monarchie, die auch das Oberhaupt einer etablierten Kirche ist. Auch aus diesem Grund ist unsere Monarchie die einzige, die eine aufwendige Krönungszeremonie durchführt, um eine neue Regentschaft zu feiern. Wäre Liz Truss eine schwedische Politikerin gewesen, wäre sie diese Woche zum Sprecher des Riksdag gereist, um sich zur Ministerpräsidentin ernennen zu lassen, nicht zum Monarchen. Der schwedische König hat weder die Möglichkeit, das Parlament einzuberufen oder aufzulösen, noch gibt er seine königliche Zustimmung zu Gesetzen.

Dies sind nur einige der vielen Bedingungen der konstitutionellen Monarchie, über die ein erwachsenes Land vernünftigerweise diskutieren könnte, insbesondere am Ende einer langen Regierungszeit wie der von Elizabeth. Die Liste würde sicherlich auch die vielen Formen der königlichen Vorrechte einschließen, die vom britischen Premierminister ausgeübt werden, die aber in der Ära Johnson zu einer Kontroverse geführt haben.

Die Umwälzungen im britischen Leben, die dieser dynastische Moment auslösen wird, darf nicht unterschätzt werden. Elizabeth II. war 70 Jahre lang eine unauffällige, aber äußerst wirksame einigende Kraft in einer Nation, die sich zusehends selbst auseinanderreißt. Mit ihrem Tod fällt diese Kraft weg, und ihre Erben können nicht davon ausgehen, dass sie in der Lage sein werden, sie zu wiederholen. Auf ihre Weise wird diese Nachfolge eine der größten Prüfungen sein, die das moderne Großbritannien zu bestehen hat. Die Politik muss sich einmischen.

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Übersetzung: Alina Saha
Geschrieben von

Martin Kettle | The Guardian

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