Irans Führer hatten mit Sicherheit gehofft, der Gala-Gipfel der Blockfreien Staaten würde als Gegengift gegen die diplomatische Isolation wirken, in die die USA und Großbritannien sie gedrängt haben. Aber Ägyptens unberechenbarer neuer Präsident hatte anderes im Sinn, als er sich auf den Weg nach Teheran machte. Mohammed Mursis scharfe Verurteilung des syrischen Regimes, mit dem der Iran engstens verbündet ist, kam wie ein Blitz aus heiterem Himmel.
Die syrische Delegation verließ darauf den Saal. Den Iranern war diese Möglichkeit verwehrt – schließlich konnten sie schlecht ihr eigenes Treffen boykottieren. Und so mussten sie mitanhören, wie Mursi – ein Muslimbruder und Araber, der sein Leben lang die westliche Politik im Nahen Osten kritisiert hatte – eine Rede vom Stapel ließ, die Hilary Clinton nicht kompromissloser hätte formulieren können.
„Wir alle sollten gegenüber denjenigen, die in Syrien nach Freiheit und Gerechtigkeit verlangen, unsere volle Unterstützung zum Ausdruck bringen, und unsere Sympathien in eine klar umrissene Vision überführen, die einen friedlichen Übergang (der Macht) an ein demokratisches System befördert“, so Mursi gegenüber dem Gipfel.
Syrien-Palästina-Vergleich
Die Welt habe eine „moralische Verpflichtung“, die syrische Opposition zu unterstützen, die er in ihrem Kampf „gegen ein unterdrückerisches Regime, das seine Legitimation verloren hat“, provokanterweise mit den Palästinensern verglich. Eine energische Intervention (er sprach nicht von einem Militäreinsatz) sei entscheidend, um ein weiteres Abgleiten in Bürgerkrieg und Gewalt zwischen den verschiedenen Glaubensgruppen zu verhindern, so Mursi weiter. Die zersplitterte syrische Opposition müsse sich unter einem Banner vereinen.
Mursis Rede machte die iranische Isolation fast perfekt. Dass Russland ein wirkungsvolles Vorgehen der Vereinten Nationen nach wie vor blockiert, kann die Tatsache nicht verbergen, dass unter all den – überwiegend arabischen – Ländern der Region, der nicht-arabische Iran das einzige ist, das zu Syrien hält und sich damit in einer ebenso prekären Situation befindet wie in Bezug auf sein Atomprogramm.
Mursis Rede war so mutig, wie man das mittlerweile von ihm kennt. Viele Ägypter erfüllt die Unabhängigkeit, mit der ihr Präsident denkt und handelt, zunehmend mit Stolz. Und auch wenn er die iranische Führung brüskierte, so machte Mursi dennoch unzweifelhaft deutlich, dass auch Ägyptens Unterwürfigkeit gegenüber Washington, die während der Regierung Mubaraks offensichtlich gewesen war, der Vergangenheit angehört. Schon seine Entscheidung, überhaupt nach Teheran zu reisen, war ein Zeichen seiner Unabhängigkeit.
Gleiches gilt für seine offenbare Entschlossenheit, Ägyptens traditionelle Rolle als die Führungsnation des Nahen Ostens wiederherzustellen. Mursis Sprecher Jasser Ali erklärte, Ägypten werde versuchen, seine Verbindungen zu allen seinen islamischen Bruderländern auszubauen. „Wir müssen Beziehungen zu allen Ländern weltweit aufbauen … Wir werden in dieser Hinsicht aktiver werden. Ägypten ist ein wichtiges Land und wir wollen die Rolle spielen, die Ägypten zukommt.“
Sorgenvolle Stimmen aus den USA
Während die Obama-Regierung Mursis Kommentare zu Syrien und den Rüffel an Teheran, den diese indirekt bedeuteten, zweifellos begrüßen wird, wurden in den USA aber auch schon Stimmen laut, die die selbstbewusste Bekräftigung nationaler Interessen mit Sorge betrachten. So beklagte Dennis Ross, Nahost-Gesandter während der Ära Bush, Mursi versuche die Presse durch die Auswechslung von 50 Redakteuren und Journalisten mundtot zu machen und ignoriere andere (von Ross definierte) demokratische „Schlüssel“-Prinzipien. „All das heißt nicht, dass Ägyptens Weg bereits vorbestimmt ist. Es heißt vielmehr, dass der Präsident, der sich weitgehend mit Mitgliedern der Muslimbruderschaft oder deren Sympathisanten umgeben hat, nun alle einflussreichen Institutionen des ägyptischen Staates dominiert.“ Wenn Mursi es zu weit treibe, sollten die USA die Streichung der direkten Finanzhilfen und die Blockade von IWF-Krediten in Erwägung ziehen, schlug Ross vor.
Mohammed Mursis Einlassung wird Saudi Arabien und die Golfstaaten in ihrer aktiven Unterstützung des syrischen Aufstandes bestärken. Sie könnte eine zunehmend auf eine Intervention drängende, vereinigte arabische Front gegen das Regime Baschar al-Assads befördern, wie sie in Libyen zu beobachten war, nachdem die Arabische Liga sich gegen Muammar al-Gaddafi gewendet hatte. In Anbetracht der Vielzahl bereits zuvor existierender Spannungen zwischen den sunnitischen Golfstaaten und dem vorwiegend schiitisch geprägten Iran, würde eine solche Entwicklung die Ambitionen Teherans weiter in die Schranken weisen.
Doch in Bezug auf ein potentielles Ende des Tötens in Syrien und einen friedlichen Machtwechsel ist Mursis Rede nüchtern zu betrachten. So wird sie wohl kaum etwas an den in Syrien herrschenden Bedingungen ändern oder die destruktive Dynamik des Konflikts beeinflussen können.
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