Musik ist unser Leben

Musik Trotz rigider Überwachung blüht im Iran eine unbotmäßige Musikkultur. Ein Streifzug durch die Teheraner Musikszene

In dem Hochhauskomplex im gutbürgerlichen Westen Teherans, in dessen Lobby ein Portier Stellung hält, vermutet man nicht unbedingt einen Entstehungsort für Untergrundmusik. Doch in einer der Wohnungen probt die Sängerin und Bassistin Mahal mit ihrer Band The Plastic Wave. Die Tür des kleinen Übungsraums ist mit einer dicken Decke verhängt, um den Lärm zu dämpfen, beleuchtet wird der Raum nur von einer kleinen Lampe und einem Computerbildschirm. Mahal singt ein Lied über den Frust, den es auslöst, wenn anderen Menschen Möglichkeiten erhalten, die einem selbst nie offen standen. Der Keyboardspieler Said hat die Musik des Stückes mit dem Titel My Clothes on other Bodies komponiert, Mahal hat den englischen Text verfasst. „Ich singe lieber auf Englisch,“ erzählt die 23-jährige. „Ich finde Farsi passt nicht so gut zum Rock n’ Roll-Sound.“ Ihre Musik beschreibt die junge Iranerin als „elektronischen Psychedelic-Rock“, es ist aber auch eine grungige Gitarre zu hören. Die Band ist unter mehreren tausend Bewerbern ausgewählt worden, im März auf dem SXSW-Festival in Austin, Texas zu spielen, also proben sie was das Zeug hält. An Mahals Songs ist nichts Politisches oder Aufrührerisches, doch in einem Land, in dem Frauen ihre Köpfe bedecken müssen und als Solistinnen keine Bühne betreten dürfen, kann die Band nur auf Missbilligung bei den Behörden stoßen. Sogar im Gefängnis haben die Sängerin und zwei ihrer Bandkollegen schon gesessen, weil sie in einem Park der Hauptstadt auf einem Festival gespielt hatten, das keine behördliche Erlaubnis hatte. „Für manche Leute ist Musik ein Hobby“, sagt Mehal. “Für mich hingegen ist es nicht einfach, tun zu können, was ich tue. Es ist mein Leben.“

Im Westen wird oftmals vergessen, dass hinter der Iranische Revolution von 1979, die den westlich orientierten Schah entmachtete, nicht nur Islamisten, sondern auch Linke und Kommunisten standen. Zudem gehörten viele der berühmtesten Musiker des Iran der revolutionären Chavosh-Bewegung an, die sich angesichts des Verwestlichungskurses des Schahs die Wiederbelebung der persischen Musiktradition auf die Fahnen geschrieben hatte. Mohammad-Reza Shajarian, Mohammad-Reza Lotfi, Hossein Alizadeh - Fast alle Musiker, die sich an der Spitze der iranischen Musikszene fanden, traten kurz nach der Revolution bei einem umjubelten Konzert auf dem Teheraner Freiheits-Platz auf. Doch was dort besungen und erhofft wurde, war nur von kurzer Dauer. Innerhalb weniger Jahre zog die konservative Islamische Republik unter Ayatollah Khomeini den Griff fester. Bald war jegliche Musik verboten. Das Komplett-Verbot hielt sich nicht lang, aber Musik aus dem Westen und iranische Musik im westlichen Stil blieben den Wächtern ein Dorn im Auge. Der Film Persepolis der iranischen Regisseurin Marjame Satrapis erzählt von dieser Zeit. Wenn die Hauptfigur, die junge Marjane, nach dem verbotenen gierend, Metallica hört, ist das ein Akt der Rebellion.

Doch es hat sich viel verändert seit diesen Tagen. In der liberalen Phase von 1997 bis 2005 sind unter der Präsidentschaft Khatamis die Beschränkungen gelockert worden, denen der iranische Pop unterlag. Rock und Rap allerdings sind weiterhin verboten, genau wie allein auftretende Sängerinnen – es sei denn, sie spielen vor einer rein weiblichen Zuhörerschaft. Die schwarzen Tschadors, die Marjane und ihre Freundinnen in Persepolis tragen, sind inzwischen Kopftüchern mit eindeutig individualistischerem Charakter gewichen. Im vergangenen Dezember war Teheran zum inzwischen vierundzwanzigsten Mal Schauplatz des internationalen Fadjr-Musikfestivals. In seinen frühen Jahren war das Festival, das den Sieg der Revolution feiert, religiöser und traditioneller Musik vorbehalten. Ab Mitte der neunziger Jahre wurden dann auch bekannte internationale Künstler wie Nusrath Fateh Ali Khan aus Pakistan oder Bismillah Khan aus Indien eingeladen. 2007 war mit Arian, der erfolgreichsten Popband des Landes, die unlängst auch mit Chris de Burgh zusammengearbeitet hat, erstmals auch iranischer Pop vertreten.

Fadjr-Babak Rezayi kann kein Paradox darin erkennen, ein Musikfestival abzuhalten, das eine Revolution feiert, obwohl eben diese Revolution der Musik Restriktionen auferlegt. „Das Festival bietet eine Antwort auf dieses Paradox,“ sagt er. „Die Musik hat großen Anteil am Sieg der Revolution. Die Chavosh-Lieder spiegelten die Gefühle, mit denen die Menschen der Revolution gegenüberstanden.“

Rund siebzig Konzerte an mehr als acht Teheraner Veranstaltungsorten fanden während des einwöchigen Festivals statt. In der Grand Hall trug Ehsan Khajeh Amiri in silbernem Anzug sanften nahöstlichen Pop vor. Seine ungefähr 3.000 Zuhörer durften sich nicht aus ihren Sitzen erheben und konnten, vom strengen Blick der Portraits von Ayatollah Khomeinis und des derzeitigen Obersten Führers Khameini bewacht, ihrer Begeisterung nur durch Klatschen Ausdruck verleihen. Andernorts treten weibliche Musikgruppen vor einem nur aus Frauen bestehendem Publikum auf. Es gab Vorführungen vom Teheraner Symphonie-Orchester, das Tschaikowsky spielte, dem Iraner Nationalorchester, sowie Gruppen aus Estland, Italien, Frankreich und den Niederlanden. Auch der virtuose Geiger Johannes Leertouwer gab sein Können zum Besten. Leertouwer hat sich auf historische Aufführungspraktiken spezialisiert und entspricht damit einem im Iran weit verbreiteten Bedürfnis nach „authentischen“ Darbietungen. Vergangenes Jahr gründete sich das erste barocke Streichorchester des Iran, das sich der authentischen Spielweise verschrieben hat und Leertouwers Meisterklasse war überfüllt mit Studenten vom Konservatorium.

Die musikalischen Höhepunkte des diesjährigen Fadjr-Festivals waren allerdings die Folklorekünstler der verschiedenen Regionen und ein Konzert des Sitharspielers Massoud Shaari. In Teheran ließ Shaari sein Instrument, dem er eine beeindruckende Bandbreite an Tönen zu entlocken vermag, in einem ergreifenden Solo erklingen. Anschließend stimmten eine Tomak-Trommel, sieben weitere Sithar-Spieler und zwei Sängerinnen mit ein. Letztere wurden, den Vorschriften entsprechend, auf der Bühne von einem männlichen Sithar-Spieler begleitet.

Die größte Aufmerksamkeit erregte ein Konzert des Chavosh-Veteranen Mohammad-Reza Lotfi. Weißhaarig und bärtig wie ein Prophet aus dem Alten Testament gaben Lotfi und seine Musiker Chavosh 6 zum Besten, eine Komposition, die aus den Tagen kurz vor der Revolution im Februar 1979 stammt. Lotfi verließ den Iran in den frühen Achtzigern, nachdem revolutionäre Garden ihm ein Gewehr an den Kopf gehalten und befohlen hatten, mit dem Spielen aufzuhören. Erst vor drei Jahren ist er aus dem Exil zurückgekehrt, was seine Teilnahme an einem von der Regierung veranstalteten Festival umso erstaunlicher erscheinen lässt. Aber ohnehin ist abgesehen von der Wiederbelebung der persischen Musik, schwer zu erkennen, welche von den Chavosh-Musikern in die Revolution gesetzten Hoffnungen sich tatsächlich erfüllt haben.

Musik und Politik lassen sich im Iran kaum trennen. Konzerte, sogar solche von zugelassenen Musikern, müssen vom Ministerium für Kultur und islamische Führung autorisiert werden. Seit Ahmedinejad im Amt ist, wird härter gegen die „Untergrund“-Szene vorgegangen. Inoffizielle Konzerte werden von Revolutionären Garden beendet, Musiker verhaftet. Anfang diesen Jahres verglich eine TV-Sendung Underground-Musiker mit Drogensüchtigen und Satanisten. „Es war grauenhaft, wie wir dargestellt wurden“, schaudert Mahal, deren Vater ein anerkannter traditioneller Sänger ist. „Aber ich bleibe trotzdem lieber „Underground“-Sängerin. Andernfalls müsste ich kitschige Konzerte spielen, wie Arian. In einem anderen Land wäre ich schon längst bei einem guten Label unter Vertrag.“

Einige weibliche Musikerinnen umgehen die strikten Restriktionen, indem sie nur noch im Ausland arbeiten. Mahsa Vahdat, die zusammen mit ihrer Schwester Marjan Musik macht, findet einerseits: „Für Frauen ist es besser vor einem rein weiblichen Publikum aufzutreten, als gar nicht.“ Fügen mag sie sich trotzdem nicht, „denn so hilft man der Regierung, ihr Tun zu rechtfertigen und das will ich nicht. Die gefühlvollen Stimmen der Schwestern ergänzen einander in ihrer Musik auf perfekte Weise. „Die Beschränkungen, die uns auferlegt werden, sind unnatürlich“, erklärt Mahsa weiter. „Es ist als würde man sagen, wir könnten nicht vor Männern lachen oder weinen.“

Der Journalist Ali beschäftigt sich mit den Entwicklungen in der iranischen Underground- Musikszene. Er hat beobachtet, dass diese in den zurückliegenden zwei Jahren an Stärke gewonnen hat. „Die meisten jungen Leute hier leben eine Lüge. Du darfst nicht sagen ‚Ich habe einen Freund oder eine Freundin.’ Du kannst nicht sagen: ‚Ich trinke Alkohol’ oder Ich war auf einer Party’ oder ‚Ich habe Satellitenfernsehen geschaut.’ Die Untergrund –Musik aber ist ein Spiegel der Gesellschaft. (Diese jungen Leute) sind ehrlich und übertragen diese Aufrichtigkeit auch auf ihre Musik.“

Bestes Beispiel ist die Sängerin Sahra. Mit nur sechzehn Jahren nahm sie ein Lied mit dem Titel The Level of my Hotness auf, dessen erotische Anspielungen es mit Serge Gainsbourgs und Jane Birkins Klassiker Je t’aime aufnehmen können. „Come and hug me. Why are you looking at me?“ singt sie unter orgastischem Stöhnen. „Come and fuck me. I’m giving you permission.“

Der Track ist das heutige Äquivalent zu Marjanes Metallica-Kassette. The Level of my Hotness wurde mit einem Computer aufgenommen, in das Internet gestellt, massenhaft heruntergeladen und auf CD gebrannt. Teherans Jugend bringt sich auf Parties zu den Klängen des Hits in Stimmung. Das Verbotene ist eben immer noch auch das Verlockendste.


Übersetzung: Zilla Hofman

Der digitale Freitag

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Geschrieben von

Simon Broughton, The Guardian | The Guardian

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