Sie könnten ein ganz normales Paar sein. Peter Pringle und Sunny Jacobs lieben Yoga, das Landleben und vegetarisches Essen. Sie meditieren zusammen, schwimmen gern. Und doch verbindet sie noch eine andere Erfahrung.
Bevor sie sich kennenlernten, waren Sunny Jacobs und Peter Pringle – unabhängig voneinander – zum Tode verurteilt: Jacobs im Jahr 1976 in Florida wegen des Mordes an zwei Polizisten; Pringle vier Jahre später in Dublin wegen zweifachen Mordes an Beamten der irischen Polizei Garda Síochána. Beide verbrachten einen Großteil ihres Lebens im Gefängnis: Sunny 17, Peter 15 Jahre. Beide waren Opfer von Fehlurteilen – und wären fast für Verbrechen hingerichtet worden, die sie nicht begangen haben. Zusammen haben sie sich inzwischen ein neues Leben aufgebaut.
Sunny Jacobs und Peter Pringle haben sich 1998 kennengelernt. Kurze Zeit nach ihrer Entlassung hat Jacobs angefangen, sich für die Abschaffung der Todesstrafe zu engagieren. Sie kam nach Irland, um bei Veranstaltungen von Amnesty International aufzutreten. Peter Pringle besuchte eine davon in einer Kneipe in Galway. Er saß in der ersten Reihe, hörte sie ihre Geschichte erzählen – und schluchzte leise vor sich hin. „Seit meiner Entlassung hatte ich noch niemanden getroffen, der dieses Trauma ebenfalls durchgemacht hat“, sagt der 74-Jährige bei unserem Treffen in London. 41 Jahre alt war er, als er verurteilt wurde. „Ich war sehr berührt von ihrer Geschichte und musste einfach mit ihr reden. Ich fühlte eine Verbindung.“
Sunny Jacobs war 28, als ihr Leben sich veränderte. Sie befand sich mit ihrem Freund und ihren beiden Kindern, Eric war neun Jahre und Christina gerade einmal zehn Monate alt, auf einer Reise. In Florida blieb ihr Wagen liegen und sie versuchten, zurück nach North Carolina zu kommen. Ein Bekannter ihres Freundes erklärte sich bereit, sie zu fahren. Sunny Jacobs war dieser Mann „unheimlich“, wie sie sagt. Sie saß mit den Kindern hinten im Wagen und schlief irgendwann ein. Als ein Polizist ans Fenster klopfte, schreckte sie auf. Das nächste, an das sie sich erinnern kann, ist Chaos – und eine Schießerei. Sie wurde verhaftet, und man nahm ihr die Kinder weg.
Warten auf die Hinrichtung
Walter Rhodes, so der Name des fremden Freundes, würde später aussagen, Sunny Jacobs und ihr Mann hätten geschossen; er bekam dafür nur lebenslänglich. Sunny Jacobs dagegen steckte man fünf Jahre in Isolationshaft, in der sie auf ihre Hinrichtung wartete. Ihre Zelle war winzig: 1,80 mal 2,70 Meter. Sie verbrachte die Tage damit, auf und ab zu gehen. Und fing mit Yoga an. In ihrem Buch Stolen Time schreibt sie: „Die Hoffnung aufzugeben, war für mich einfach keine Option. Sie können mich hier festhalten, doch ich kann bestimmen, was zwischen diesen Wänden geschieht. Meine Seele können sie nicht einsperren!“
Schließlich wurde ihre Todesstrafe in lebenslänglich umgewandelt. Ihr Mann jedoch wurde unter schrecklichen Umständen hingerichtet: Der elektrische Stuhl funktionierte nicht richtig, und es dauerte 13 Minuten, bis er tot war. Berichten zufolge schossen Flammen aus seinem Kopf. Nach seiner Exekution gestand Rhodes, dass er selbst die Schüsse abgegeben hatte. 1992 kam Sunny frei. Doch es fiel ihr schwer, sich außerhalb der Gefängniswelt zurechtzufinden. Sie war ja mittlerweile 45.
„Ich musste alles noch mal von Neuem lernen: meinen Lebensunterhalt zu verdienen, meine Rolle als Mutter – einfach wieder ein Mensch zu sein“, sagt die heute 65-Jährige, die bei unserem Treffen sehr gebrechlich wirkt. Aber sie wollte so schnell wie möglich das, was geschehen war, hinter sich lassen. „Man kann dann seine Zeit damit verbringen, zurückzublicken, oder man entscheidet sich, weiterzumachen. Ich habe Letzteres getan.“ Selbst wenn immer präsent war, was sie erlebt hat. Während sie im Gefängnis saß, starben ihre Eltern bei einem Flugzeugabsturz. Sie hatten sich um die Kinder gekümmert, die älter geworden waren. Zu ihnen wieder eine Beziehung aufzubauen, das stand für Sunny Jacobs an erster Stelle.
Vergebung und Heilung
Nachdem sie ihren Mann verloren hatte, dachte sie nicht daran, sich neu zu verlieben. Es dauerte drei Jahre, bis sie ihn loslassen konnte. „Ich hing sehr an Jesse, auch noch lange, nachdem er gestorben war. Ich hatte es aufgegeben, andere Männer zu treffen, und mich damit abgefunden, dass nicht jeder dafür bestimmt ist, einen Partner zu haben. Dann traf ich Peter.“
Nachdem sie sich in Galway kennengelernt hatten, ging Sunny Jacobs zurück in die USA. Sie begannen, sich zu schreiben, und telefonierten oft miteinander. „Das war etwas Besonderes“, sagt Sunny Jacobs. „Wir sprachen über Dinge wie Vergebung und Heilung.“ Sie kehrte nach Irland zurück, um mit Peter Pringle zusammen zu sein. Vor sieben Jahren, am kürzesten Tag des Jahres, gingen sie hinunter zur Küste und schworen sich, zusammenzubleiben. 2011 feierten sie Hochzeit in New York.
Der große und kräftige ehemalige Fischer mit dem verhärmten Gesicht, dem weißen Bart und den weißen Haaren war 1980 einer der Letzten, die in Irland zum Tode verurteilt wurden. Die meisten Leute, denen er heute seine Geschichte erzählt, können erst gar nicht glauben, dass es die Todesstrafe hier überhaupt gegeben hat. Peter Pringle wurde verhaftet, nachdem die beiden Polizisten Henry Byrne und John Morley erschossen worden waren. Sie hatten drei bewaffnete und maskierte Bankräuber verfolgt. Der Wagen der Garda prallte mit dem Fluchtwagen zusammen und die Räuber eröffneten das Feuer. Die Morde empörten damals ganz Irland.
Die Staatsanwaltschaft gab an, man habe Fasern des Pullovers, den Pringle bei seiner Verhaftung getragen hatte, im Fluchtwagen der Bankräuber gefunden. Peter Pringle hat behauptet, nichts mit der Sache zu tun zu haben. Zu der Zeit hatte er sich gerade von der Mutter seiner Kinder getrennt und war auf dem Weg zu ihr, um ihr zu erklären, dass er die vier öfter sehen wollte. Er soll, laut Aussagen der Polizei, freiwillig gestanden haben – was Peter Pringle aber stets bestritt. Der Richter verurteilte alle drei Angeklagten, einschließlich Peter Pringle, zum Tode. Sein Anwalt brach in Tränen aus. Ein wichtiger Zeuge identifizierte später einen anderen als dritten Täter, nicht Peter Pringle.
Vorbereitung auf den Tod
Doch Pringle war der Polizei bekannt, seit er als Jugendlicher mit der IRA, der paramilitärischen irischen republikanischen Organisation, zu tun gehabt hatte und mit Anfang 20 verhaftet worden war. Jene Erfahrung sei nichts gewesen im Vergleich mit dem, was er in der Todeszelle erlebt habe, erklärt Pringle. Monatelang saß er dort 23 Stunden am Tag allein im Dunkeln, mit Plastiktopf statt einer Toilette. Er musste mit anhören, wie die Wärter sich erzählten, dass er gehängt werden sollte.
„In der Zelle wurde mir klar, dass ich immer noch ich war. Meinen Verstand, meinen Geist, mein Herz konnten sie nicht einsperren. Das machte es mir etwas leichter und ich schwor mir, ich würde soviel aus dem Gefängnisleben machen wie möglich. Meine größte Angst war nicht der Tod, sondern würdelos zu sterben. Ich wollte mich nicht gehen lassen.“ Pringle fing an, sich auf den Tod vorzubereiten, er meditierte und trainierte, wann immer er konnte. Nur eines konnte er nicht wegtrainieren, den Schmerz, von seinen Kindern getrennt zu sein. „Ich hatte Angst, meine Kinder im Stich zu lassen. Ich machte mir große Sorgen, was es für sie bedeuten würde, wenn ihr Vater am Galgen endete. Jeder ihrer Besuche war herzzerreißend.“
Zwei Wochen vor dem Hinrichtungstermin teilte man ihm mit, seine Strafe sei in 40 Jahre Haft umgewandelt worden. Erst war Pringle erleichtert, dann verzweifelt. „Die Aussicht auf 40 Jahre, ohne eine Chance herauszukommen, war unerträglich. Ich dachte, es wäre einfacher, mich umzubringen. Doch mein Stolz hinderte mich daran. Mir wurde klar: Das Einzige, was ich tun konnte, war, meine Unschuld zu beweisen.“
Er fing im Gefängnis an, Jura zu studieren. 1992 rollte er seinen Fall vor dem Obersten Gerichtshof neu auf. Gegen Kaution kam er frei – und die Staatsanwaltschaft entschloss sich, auf ein Berufungsverfahren zu verzichten. Pringle hatte seine Unschuld bewiesen. Er war ein freier Mann. Die beiden, die mit ihm zusammen verurteilt worden waren, sind noch immer in Haft, 32 Jahre später.
Schwierige Freiheit
Aber die Freiheit war anfangs hart. Peter Pringle hatte kein Geld und fand keinen Job. Bis heute hat ihm der Staat keine Entschädigung angeboten, und er sucht noch nach einem Anwalt, der für ihn die Klage führen will. Die meiste Zeit verwendet er darauf, zu seinen vier erwachsenen Kindern wieder eine Bindung herzustellen. „Da war viel Schmerz. Die ganze Familie hatte gelitten.“ Zunächst zog er bei der Frau ein, mit der er zusammen gewesen war, als er verhaftet wurde. Sie hatte ihm während seiner Zeit im Gefängnis geholfen. Nach kurzer Zeit bat sie ihn, wieder auszuziehen. „Ich habe lange gebraucht, bis ich mich unter Menschen wieder wohlgefühlt habe. Sie sehen dich anders an, wenn du aus dem Gefängnis kommst. Sie fragten mich, wie es war, aber ich wollte nicht darüber reden. Sie hätten es sowieso nicht verstanden.“
Die Welt war eine andere geworden nach 15 Jahren: Irland hatte eine neue Währung, und Pringle war vorher noch nie in einem Supermarkt gewesen. „Ich stand staunend vor einem Geldautomaten. Es gab so viele seltsame Dinge, an die ich mich gewöhnen musste.“ Auch wenn er ungern über seine Zeit im Gefängnis sprach, Sunny Jacobs konnte ihn überreden, seine Geschichte zu erzählen. Er hat ein Buch geschrieben und tritt mit seiner Frau inzwischen häufiger bei Veranstaltungen von NGOs auf. Die beiden haben sich entschlossen, einen Teil ihres Lebens dem Kampf für Menschenrechte zu widmen. Bei unserem Treffen sind sie gerade in der Vorbereitung auf ein Gespräch, das von Amicus organisiert wurde – der Organisation, die sich in den USA um die Belange von zum Tode Verurteilten kümmert. Jacobs und Pringle wollen nun selbst einen Verein gründen, der zu Unrecht Verurteilten und deren Familien hilft. Es sollen Menschen gefunden werden, die ihnen beistehen, um sich wieder an das Leben zu gewöhnen. Einen Namen für das Projekt gibt es schon: Sunny Sanctuary – Sunnys Asyl.
Die beiden haben auch noch eine andere Welt. Sie haben sich dafür entschieden, ein ruhiges Leben auf dem Land zu führen, in einer Hütte mit eineinhalb Hektar Land nahe der irischen Westküste. Sie halten Hühner und Ziegen. Peter Pringle strahlt, wenn er von seinen sieben Enkelkindern redet. Sunny Jacobs gibt im Ort Yogakurse. Die beiden meditieren täglich. „Zu Hause reden wir nicht vom Gefängnis“, sagt Peter Pringle. „Das brauchen wir nicht“, ergänzt seine Frau. Sie sind, trotz der verlorenen Jahre, nicht verbittert. Sie leben von wenig Geld, arbeiten trotzdem viel und blicken nach vorn. „Wir leben im Augenblick“, sagt Pringle. „Wir haben unseren Frieden gefunden.“
Huma Qureshi ist freie Autorin beim Guardian und schreibt vor allem Features
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