Nachtschicht für die Kuh

Schlaflosigkeit Eine Münchener Firma will mit einer speziellen Nachtmilch die Antwort auf viele Schlafprobleme gefunden haben: Kritiker bezweifeln die Wirkung des Produkts

Nie wieder Schäfchen-Zählen: Kühe bei Nacht zu melken soll Menschen, die unter Schlafstörungen leiden, helfen, besser einschlafen zu können. Eine Firma aus München hat vor kurzem ein Patent auf eine sogenannte „Nachtmilch“ angemeldet, die 25 mal mehr von dem Schlafhormon Melatonin enthalten soll als normale Milch. Wissenschaftliche Studien haben den höheren Melatonin-Gehalt der Nachtmilch bestätigt. Der Wirkstoff hilft allen Säugetieren bei der Regulierung ihres Biorhythmus. Nachts gelangt er in den Blutkreislauf und bei den Kühen auch in die Milch. Wenn es hell wird, hört die Melatonin-Produktion wieder auf. Bislang war es aber nicht möglich, solche Milch zu produzieren, in erster Linie, weil die industrialisierte Landwirtschaft darauf ausgerichtet ist, Kühe bei Tage zu melken. Selbst wenn gelegentlich bei Nacht gemolken wird, wird diese Milch später dann wieder mit Tagesmilch vermischt, so dass der Melatoningehalt des Endproduktes wieder stark zurückgeht.

Auch die Kühe profitieren

Die Münchener Firma Milchkristalle GmbH hat nun damit begonnnen, ihre Tiere zwischen zwei und vier Uhr nachts zu melken und behauptet, damit einem von drei Patienten, die in irgendeiner Form an Schlaflosigkeit leiden, helfen zu können. „Die Bedingungen für die Kühe müssen genau stimmen – sie brauchen viel Tageslicht und nachts nur eine sehr matte Beleuchtung“, sagte ein Manager der Firma, Tony Gnann. Denn wenn die Kühe verwirrt seien, wirke sich dies negativ auf den Melatonin-Spiegel aus und dieser sei nur noch äußerst gering. Die besten Resultate seien erzielt worden, wenn die Kühe in warmes, abgetöntes Licht getaucht wurden, das sie beruhigt. Zusätzlich werden große Mengen an Klee an die Tiere verfüttert, der viel Protein sowie die Aminosäure Tryptophan enthält – das unabdingbar ist, damit der Körper Melatonin produzieren kann.

Milchkristalle hat aus der Milch ein Pulver hergestellt, das man nach Angaben des Unternehmens anderen Getränken oder Joghurts beifügen kann und zu sich nehmen soll, bevor man zu Bett geht. Agraringenieur Heiko Dustmann, der an der Untersuchung der Nachtmilch beteiligt war, verteidigt die Melkmethode gegen Vorwürfe, sie würde zu einer weiteren Ausbeutung der Kühe beitragen: „Die Tiere profitieren sogar von dem neuen Produkt, da sie wieder den Nacht-Tag-Unterschied erleben, dadurch besser schlafen können und mehr Milch produzieren.“

Skeptiker des neuen Mittels, das in Apotheken angeboten werden soll, bezweifeln die Behauptungen des Unternehmens. Die unabhängige Verbraucherzeitschrift Gute Pillen – schlechte Pillen, die Versprechen der Pharmaindustrie nachgeht, schreibt, man müsse schon sehr große Mengen des Milchpulvers zu sich nehmen, um eine Wirkung zu spüren und empfiehlt stattdessen den Verzehr eines ganz normalen Glas Milchs. Die Verbraucherschutzseite Esowatch schreibt, das Pulver enthalte weniger Melatonin als viele bereits existierende Melatonin-Pillen gegen Schlaflosigkeit. „Um die gleiche Menge an Melatonin in Form von Pulver zu sich zu nehmen, müsste man an die zwei Millionen Portionen von diesem einnehmen“, heißt es bei den Esoterik-Kritikern.

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Kate Connolly | The Guardian

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