Nacktscanner fürs Weltall

Alma Das teuerste Observatorium aller Zeiten geht in Betrieb. Es soll Forschern bislang verborgene Seiten des Universums zeigen

Das in den chilenischen Anden gelegene Chajnantor-Plateau zählt mit Sicherheit zu den feindseligsten Orten auf diesem Planeten. Es liegt 5.000 Meter über dem Meeresspiegel. In der dünnen Luft fällt das Atmen schwer, weit und breit ist kein Tropfen Wasser zu entdecken, und die grimmigen Winde drücken die Temperatur meist auf 20 Grad unter den Gefrierpunkt. Und dennoch: Ausgerechnet in dieser trostlosen, dem Mars mutmaßlich sehr ähnlichen Einöde ist gerade das mit Abstand teuerste und anspruchvollste Observatorium der Welt entstanden.

Nach mehr als 20 Jahren Planung und Bau hat das Atacama Large Millimetre/Sub-millimetre Array (kurz Alma genannt) in der vergangenen Woche seine Tore für Wissenschaftler aus der ganzen Welt geöffnet. Alma soll ihnen die Sicht auf jene Hälfte des Universums bieten, die selbst modernen Teleskopen bislang verborgen blieb. Es kann schon jetzt die weit entfernten Staub- und Trümmerwolken durchdringen, in denen die ersten Sterne, Galaxien und Planeten entstanden, und wird nach seiner endgültigen Fertigstellung im Jahr 2013 im Takt weniger Minuten eine zuvor nie erblickte Galaxie ausfindig machen.

„Wenn sich ein Stern bildet, dann geschieht das in diesen kalten, staubigen Gaswolken“, erklärt John Richter von der Universität Cambridge, der an dem Projekt als Wissenschaftler beteiligt ist. „Im Augenblick seiner Entstehung ist er in dieses staubige Material gehüllt, aus dem nur die Hälfte des Lichts eines typischen Sterns hinausdringt. Viele andere Sterne bilden sich in sehr dichten Wolken, ihr Licht wird vom Staub dort vollständig absorbiert.“

Scharf wie Hubble

Diese rußähnlichen Staubwolken, die auch die Geburtsstätte von Planeten wie der Erde sind, verbergen die Sterne vor allen bisherigen modernen optischen und Infrarotausrüstungen, wie zum Beispiel vor dem Hubble-Weltraumteleskop. Dieses umkreist seit mehr als 20 Jahren die Erde auf einer Satellitenumlaufbahn und liefert Bilder, die immer wieder großes Aufsehen erregen – obwohl auf ihnen nur die Hälfte dessen erkennbar ist, was wirklich da ist. Nun wird der Staub allerdings von den Sternen, die er einhüllt, auch auf ein paar Grad über dem absoluten Nullpunkt (-273 Grad Celsius) erwärmt. Deshalb gibt auch der Staub selbst Strahlung ab – im Submillimeter-Wellenbereich, den das Alma-Teleskop künftig von der Erde aus empfangen kann.


Lichtwellen im Submillimeterbereich ähneln der Strahlung von Mikrowellengeräten und sind 1.000 mal länger als das Licht, das wir mit unseren Augen sehen. Die Möglichkeit, diese Strahlung zu messen, wird Astronomen in die Lage versetzen, ein viel umfassenderes Bild des Universums zu entwerfen als bisher. „Vereint man die optischen Bilder mit denen des Alma, wird dadurch die gesamte Aktivität der Sternenbildung sichtbar, es fehlt nicht mehr die eine Hälfte des Bildes“, sagt Richter.

Die Astronomen haben für die Sternwarte den öden Standort in den Anden gewählt, weil dort das ganze Jahr hindurch klare Sicht herrscht und es sich um eine der trockensten Gegenden der Welt handelt. Strahlung im Submillimeterbereich wird von Wasser absorbiert, in einigen Teilen der Atacama-Wüste hat es jedoch seit vielen Hundert Jahren nicht geregnet. Ein weiterer Vorzug der extremen Höhenlage ist, dass dort kaum Störungen durch Luftbewegungen und die Erdatmosphäre zu erwarten sind. Das ermöglicht Bilder, die genauso scharf sind wie die des Hubble-Teleskops. Die verschiedenen Wissenschaftlerteams können die Parabolantennen, mit denen die Wellen empfangen werden, dabei von einer Basis in etwas menschenfreundlicherer Lage aus steuern, gut 1.000 Meter unter der Chajnantor-Ebene.

Fressgewohnheiten eines Monsters

In der Wüstenebene sind bislang 20 identische Radioantennen mit einem Durchmesser von jeweils zwölf Metern errichtet worden. Wenn das eine Milliarde Euro teure Observatorium in zwei Jahren fertig ist, werden dort 66 solcher Kohlefaserantennen stehen, die über eine Entfernung von 16 Kilometern auf unzählbar viele Weisen angeordnet werden können, je nachdem, was für Messungen vorgenommen werden sollen. „Gegenüber vorherigen Submillimeter-Wellen-Teleskopen ist das Alma um so viel empfindlicher, dass wir erwarten, dass es alle drei Minuten, in denen es den Himmel beobachtet, eine ganz neue Galaxie finden wird“, freut sich Richter. Obschon die Bauarbeiten weitergehen, sind die Forscher längst bei der Arbeit.


./resolveuid/f5545ea150f628f14a3e33cfa7165d49Das erste wissenschaftliche Bild, das auf Messungen von 16 der aufgestellten Antennen fußt und rechts zu sehen ist, zeigt die gewaltigen Wirbel der Antennae-Galaxien, zweier Spiralgalaxien, die in 70 Millionen Lichtjahren Entfernung von der Erde miteinander kollidieren. Die blauen Bereiche des Bildes entsprechen dem, was das Hubbleteleskop aufgenommen hat – es waren die bislang besten Aufnahmen einer so weit von der Erde entfernten Region des Weltraums, mit ihrer Hilfe konnten die Emissionsnebel gerade entstehender Sterne ausgemacht werden (helle Knoten). In Rot, Pink und Gelb zeigt das Bild nun aber erstmals auch die riesigen Kohlenmonoxidwolken, die in und zwischen den Galaxien schweben und die nur das Alma sichtbar machen konnte. Diese Wolken enthalten Gase mit einer Gesamtmasse, die die Masse unserer Sonne milliardenfach übertrifft – ein gewaltiges Reservoir für die Entstehung künftiger Sterne.

Im ersten Alma-Betriebsjahr konnte unter anderem das supermassive schwarze Loch Sagittarius A* im Zentrum der Milchstraße untersucht werden, das sich in 26.000 Lichtjahren Entfernung von der Erde befindet und normalerweise von dichten Gas- und Staubwolken vernebelt wird, die das Alma nun durchdringen können wird.

Heino Falcke, Astronom an der niederländischen Radboud Universität Nijmegen meint: „Mit Alma werden wir Lichteruptionen in der Umgebung dieses supermassiven schwarzen Lochs sehen, und wir werden Bilder der Gaswolken machen können, die von seiner immensen Sogkraft angezogen werden. Auf diese Weise lassen sich die chaotischen Fressgewohnheiten dieses Monsters studieren. Wir glauben, dass es einem Teil des Gases gelingen könnte, seinem Zugriff mit beinahe Lichtgeschwindigkeit zu entkommen.“

Blick in die Kinderstube

Die Reichweite des fertigen Observatoriums allerdings wird noch viel größer sein: 13 Milliarden Lichtjahre weit soll das Auge von Alma letztlich blicken. Das Universum selbst wird heute auf ein Alter von rund 13,5 Milliarden Jahren geschätzt – und das bedeutet, dass man mithilfe der 66 Antennen nicht nur Galaxien entblättern und schwarze Löcher beim Fressen beobachten kann.

Alma wird geradewegs in die Kinderstube des Kosmos gucken, in eine Zeit, als die ersten Generationen von Galaxien damit anfingen, schwere Elemente in ihren Sternen zu bilden, um sie später, nach ihrem Kollaps, im Weltall zu verteilen. Erst diese Elemente, wie zum Beispiel Eisen, haben die Entstehung von Planeten ermöglicht, und mithilfe von Almas Instrumenten werden Wissenschaftler daher nicht nur sehen, was bislang im verborgenen existiert, sondern auch rekonstruieren können, wie die Welt entstanden ist. Und vielleicht noch mehr.

„Früher Staub und Sternengeburten sind die Kernziele von Alma“, sagt der Astronom Jon Butterworth vom University College in London. Aber neue Teleskope zeigten immer auch neue Seiten des Universums, die es zu untersuchen gilt. „Du weißt nicht, was du findest – solange, bis du hinguckst“.

Alok Jha ist Autor des britischen Guardian.
Urfassung des Artikels

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Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman, Ergänzungen: Kathrin Zinkant
Geschrieben von

Alok Jha | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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