Näuste Nachrichden

Fake News Im US-Wahlkampf streuten Seiten wie „Breitbart“ gezielt falsche Meldungen. Das Phänomen greift längst weltweit um sich
Ausgabe 51/2016
Ein Geldschein, sie alle zu überwachen? Indien war in heller Aufregung
Ein Geldschein, sie alle zu überwachen? Indien war in heller Aufregung

Foto: Noah Seelam/AFP/Getty Images

Noch sind viele Fake News erstaunlich stümperhaft gemacht. Der Tweet, mit dem eine (nicht existierende) Grünen-Politikerin namens Petra Klamm-Rothberger um Verständnis für den Vergewaltiger und Mörder der Freiburger Studentin geworben haben soll, enthielt 164 anstelle der bei Twitter zulässigen 140 Zeichen. Ein falsches Zitat von Renate Künast, als dessen Quelle die Süddeutsche Zeitung angegeben wurde, strotzte nur so vor orthografischen Fehlern. Denoch wächst die Nervosität, dass mit gezielten Desinformationen versucht werden wird, auf den Ausgang der Bundestagswahl im kommenden Jahr Einfluss zu nehmen. Korrespondenten des Guardian beobachten, wie auch in anderen Ländern gezielt versucht wird, mit Falschnachrichten Politik zu machen.

Frankreich

In den vergangenen zehn Jahren ist in Frankreich die Zahl der Leser rechtsextremer Seiten und Blogs stark angestiegen, die allgemein als Fachosphère bezeichnet werden. Propagiert werden dort einwanderungsfeindliche, nativistische und ultranationalistische Positionen. Betrieben werden sie eher von Privatpersonen als von Parteien. Zwar gebe es in Frankreich anders als in den USA bisher kaum werbefinanzierte Fake-News-Seiten mit komplett erfundenen Nachrichten, sagt Samuel Laurent, der bei der Tageszeitung Le Monde das Fakten-Check-Ressort Les Décodeurs leitet. In Zeiten des Wahlkampfs häuften sich jedoch Fälle von Manipulation und Verzerrung.

Bei den jüngsten Vorwahlen der Republikaner gab es in der Fachosphère unter anderem eine Kampagne, die Alain Juppé Verbindungen zur Muslimbruderschaft unterstellte und ihn als „Ali Juppé“ diffamieren wollte. Les Décodeurs wird deshalb im Januar, wenn die Vorbereitungen für den Präsidentschaftswahlkampf beginne, eine Datenbank mit fragwürdigen Seiten online stellen, die sich selbst als Nachrichtenseiten sehen und darstellen.

In Frankreich gibt es zudem eine Kontroverse um Internetseiten, die Falschinformationen zum Thema Abtreibung verbreiten. Sie tarnen sich als neutrale, offizielle Portale mit kostenlosen Telefon-Hotlines, betreiben aber tatsächlich Propaganda gegen Abtreibung und setzen die Frauen, die sich an sie wenden, unter Druck, keinen Schwangerschaftsabbruch vornehmen zu lassen. Das Unterhaus des französischen Parlaments hat den Plänen der Regierung zugestimmt, diese Seiten verbieten zu lassen.

China

Anlässlich der Berichte über den Einfluss von Fake News auf den amerikanischen Wahlkampf, lobte die chinesische Führung ihr System des „Internet-Managements“. Das Prinzip der freien Meinungsäußerung sei gescheitert, wenn sich dadurch der Ausgang einer Wahl manipulieren lasse. „China beschreitet seinen eigenen Weg zur Stärkung des Internet-Managements“, hieß es in einem Editorial der Global Times – einer Boulevardzeitung, die eng mit People’s Daily verbunden ist, dem Sprachrohr der Kommunistischen Partei. Das demokratische System des Westens scheine unfähig, die Probleme und Konflikte anzugehen, die durch das Internet verursacht werden.

Die Fake News aus den USA griffen jedoch auch auf China über. Artikel, die ursprünglich auf Pro-Trump-Seiten wie Breitbart gepostet worden waren, wurden direkt ins Chinesische übersetzt und auf den Social-Media-Plattformen des Landes geteilt.

Probleme mit Falschmeldungen und betrügerischen Reportern gibt es in China bereits seit über zehn Jahren. Oft geben sich Leute als Journalisten aus und drohen Unternehmen mit negativer Berichterstattung, um so Geld zu erpressen. In einem prominenten Fall wurden einem Journalisten 70.000 US-Dollar gezahlt, damit er negativ über einen Baugerätehersteller berichtete, dessen Aktien daraufhin rapide an Wert verloren. Die Behörden nahmen das Phänomen zum Anlass für umfassende Zensurmaßnahmen. 2013 sagte die Regierung der „Gerüchteküche” im Internet den Kampf an und nahm einflussreiche User auf der Twitter-ähnlichen Seite Sina Weibo ins Visier. Die meisten Beobachter werten das Vorgehen als Versuch, Kritik an der kommunistischen Partei zu unterdrücken.

In jüngster Zeit gingen die Behörden auch verstärkt gegen „Fake News“ vor, die ihrer Meinung nach den sozialen Zusammenhalt gefährden, wie etwa „Gerüchte“, die Immobilienpreise in Schanghai beeinflussten, oder Geschichten, die die Führung für geeignet hielt, die Gegensätze zwischen Stadt- und Landbewohnern zu verstärken.

Zu Beginn des Jahres gab die zuständige Behörde neue Regeln heraus, um die Zahl der Berichte zu reduzieren, die Informationen aus den sozialen Medien verwenden. Dort heißt es: „Es ist verboten, Nachrichten aus dem Hörensagen zu erstellen oder Fakten durch Vermutungen und Fantasie zu verzerren.“ De facto bedeutet das: Nachrichtenkanäle dürfen Informationen aus den sozialen Medien nun nicht mehr ohne vorherige Genehmigung verwenden. Erst kürzlich schlug ein leitender Regierungsvertreter vor, eine Datenbank zur Ermittlung der wahren Identität von Internetnutzern einzurichten, damit diese „belohnt und bestraft“ werden können.

Indien

Als Indiens Premierminister im November die Einführung der neuen 2.000-Rupien-Note bekanntgab, glühten im ganzen Land die Telefone. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht, der Geldschein enthalte einen mit einem Satelliten verbundenen Überwachungschip, der selbst 120 Meter unter der Erde noch zu orten sei.

Obwohl die indische Zentralbank diese Behauptung zurückwies, verbreitete sie sich in rasender Geschwindigkeit über Whatsapp, das in Indien über 50 Millionen User hat, und schaffte es so als Nachricht in die etablierten Medien. Indien sei stärker vom Phänomen der Fake News betroffen als andere Länder, kritisiert Prabhakar Kumar von der Medienforschungsagentur CMS. „Es existieren keine Standards, an die sich Fernsehsender und Zeitungen bei der Recherche und Publikation ihrer Geschichten zu halten haben.“

Die indische Polizei hat bereits Personen wegen falscher Nachrichten verhaftet, die das Potenzial hatten, Spannungen in der Bevölkerung auszulösen. Die Administratoren von Whatsapp-Gruppen werden gewarnt, dass sie für die Nachrichten innerhalb der Gruppe zur Verantwortung gezogen werden können.

Doch die sozialen Medien verstärken nur einen Hang, Gerüchte unhinterfragt für bare Münze zu nehmen, der insbesondere auf dem Land schon immer existiert hat. In dem Dorf Dadri in der Nähe von Delhi gelang es im vergangenen Jahr zwei Jungen ganz ohne Whatsapp, das Gerücht zu verbreiten, ein Mann aus dem Ort habe in seinem Eisfach Rindfleisch gelagert – was für Hindus ein Sakrileg darstellt. Sie verbreiteten die Behauptung einfach über den Lautsprecher des örtlichen Tempels. Mohammed Akhlak, der 50-jährige Arbeiter, den die Kinder beschuldigten, wurde gelyncht.

Angelique Chrisafis, Benjamin Haas und Michael Safi sind Auslandskorrespondenten des Guardian

Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

A. Chrisafis, B. Haas, M. Safi | The Guardian

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