In der Mitte des Areals, auf dem früher das World Trade Center stand, drücken sich nun Touristen die Nasen an den verspiegelten Scheiben des 9/11 Memorial Museumplatt. Zwischen ihren Fingertapsern sieht man gespenstergleich zwei rostige, angekohlte Pfeiler aufragen, die aus den Trümmern der Twin Towers geborgen wurden. „Das Museum ist ein beliebter Ort für Selfies geworden“, kommentiert Architekt Craig Dykers die Versuche der Touristen, ihr Spiegelbild so zu fotografieren, dass es mit den Pfeilern verschmilzt. „Wenn wir Leute dazu bringen, an diesem Ort zu lächeln, dann haben wir etwas richtig gemacht.“
Fast 13 Jahre nach dem Terroranschlag vom 11. September 2001, dessen Bilder live um die Welt gingen, hat Ground Zero nichts von seiner grauenhaften Anziehungskraft verloren. Über zwölf Millionen Menschen waren hier, seit 2011 am zehnten Jahrestag der Memorial Plaza eröffnet wurde. Wo die Türme standen, klaffen nun Schluchten, in die sich imposante Wasserfälle ergießen, umgeben von einem kleinen Wald aus 400 Eichen. Ihre Ruhe schafft einen angenehmen Kontrast zu dem Baulärm rundum, wo ein Ring aus Bürotürmen wächst, um die fast 100 Hektar große Gewerbefläche zu ersetzen, die sich hier befand.
700 Millionen Dollar wurden in die Erinnerungsarbeit an diesem Ort gesteckt. Die Eröffnung des 9/11 Memorial Museum ist nun der finale Akt. Es führt den Besucher auch emotional tief hinunter ins Fundament von Ground Zero. Das Tor dorthin hat Craig Dykers Büro Snøhetta aus Norwegen entworfen: Mit seinen glänzenden Flanken wirkt es wie ein Keil, der in die nordöstliche Ecke des Platzes gestoßen wurde. Die Struktur der gefalteten Außenhaut aus Metall und Glas lässt das Gebäude auf gespenstische Art wie einen gefallenen Twin Tower aussehen – eine silbern glänzende Säule, die abgeknickt und verdreht zwischen den Wasserbecken liegt.
Libeskind light
Die verwinkelte Form ist eines der wenigen Überbleibsel der Bildsprache, die Daniel Libeskinds Masterplan von 2003 vorsah. Ihm schwebte ein Ensemble unterschiedlich hoher Wolkenkratzer vor, die spiralförmig um den seinerseits spiralförmigen Freedom Tower in ihrer Mitte anwachsen sollten. Die Entwürfe waren symbolisch überfrachtet, angefangen bei der Höhe der Turmspitze – 1.776 Fuß, angelehnt an das Jahr der amerikanischen Unabhängigkeit – bis hin zu dem Lichtstrahl, der jedes Jahr am 11. September zur gleichen Zeit hier aufleuchten sollte. Libeskind gewann das Herz der Nation, nicht aber das des Grundstückspächters, Larry Silverstein. Inzwischen haben auch die ökonomischen Gegebenheiten dafür gesorgt, dass Libeskinds gläserne Felsformation in wesentlich firmenfreundlichere Büroblocks übersetzt wurde, die eine Handvoll Pritzker-Preisträger zu verantworten haben, unter ihnen Norman Foster und Richard Rogers.
Snøhettas Memorial Museum ist so etwas wie ein „Libeskind light“. Die für Libeskind typische Ästhetik von Trauma und Tragödie ist durch einen milderen, skandinavischen Einschlag gefiltert. „Wir wollten dem Eindruck des Masterplans treu bleiben“, sagt Dykers, „aber das Gebäude soll nicht ängstigen.“ Im Inneren herrschen helles Holz und warme Naturtöne vor, „um einen Augenblick der Entspannung zu erzeugen, bevor man sich der Herausforderung stellt“. Das Auditorium und der kleine Raum, der den Familien der Opfer vorbehalten ist, sind handwerklich einwandfrei gemacht, aber sie versprühen nun die sanfte Atmosphäre einer Flughafen-Lounge.
Snøhettas Gebäude ist auch ein Opfer der juristischen und politischen Streitigkeiten geworden, die seit 2001 auf diesem Grundstück ausgetragen werden. Ursprünglich sollte es zehn Mal so groß sein und zusätzlich ein Museum für Menschenrechte und ein Zentrum für bildende Künste beherbergen. Im Grunde ist es nun eine bessere Eingangslobby für das, was tief darunter liegt: das eigentliche Memorial Museum der US-Firma Davis Brody Bond. Über eine Wendeltreppe geht es von Snøhettas lichtdurchfluteter Glaskonstruktion hinab in die ätherische Düsternis, vorbei an den verkrüppelten Sockeln der zwei Pfeiler, die man von außen bereits sieht. Eine lange, gewundene Rampe führt die Besucher 20 Meter unter die Erde. Der Weg ist mit Bedeutung aufgeladen: Er wird von den Wasserfällen gesäumt, die in einer Aluminiumhaut wie geisterhafte Kadaver der Twin Towers durch die Decke in die Tiefe stürzen, wo der Hauptteil der Ausstellung ist.
Auf diesem dunklen Holzpfad – der an die 200 Meter lange Rampe erinnern soll, auf der die Trümmer nach oben geschafft wurden – passiert man Stahlsäulen, die durch den Aufprall der Flugzeuge zu monströsen Klauen verdreht wurden, und einen gewaltigen Klumpen des Antennenmastes. Wohin man schaut, sieht man massivste Stahlplatten, aus denen sich Splitter mühelos wie Bleistiftspäne winden. Wie sie präsentiert werden, hinterlässt ein flaues Gefühl: An den Wänden und auf Sockeln, effektvoll ausgeleuchtet, sind sie zu schaurigen Kunstobjekten geadelt, ja fetischisiert. Diese Form architektonischer Bergung macht mehr Sinn, wo sie mit dem Weg der Besucher klug verwoben ist, etwa wenn die bröseligen Betonstufen, auf denen Überlebende in Sicherheit flüchteten, parallel zur Treppe verlaufen, auf der man nun in die Tiefe geht. Im Untergeschoss wiederum wurden subtil starke Akzente gesetzt, etwa indem die tragenden Pfeiler freigelegt wurden, die nun in einer stummen Linie den einstigen Grundriss der Türme markieren und als Schwelle zwischen dem Eingangsbereich und dem gravitätischen Ausstellungsbereich stehen.
Die letzte Säule
In den Ausstellungsräumen selbst werden dicht an dicht Dinge, die aus den Trümmern geborgen wurden, gezeigt. Es ist eine Auswahl der 10.000 Teile starken Sammlung: die verkohlten Reste der Axt eines Feuerwehrmannes, von der Hitze verbogene Autotüren, Schuhe, Hüte, Flaggen, Spielzeug und die Plakate, die während der neunmonatigen Bergung den Helfern Mut zusprachen. Aus ihnen ragt die „letzte Säule“ hervor, die ganz am Ende der Räumungsarbeiten entfernt wurde: Mit guten Wünschen bemalt und beklebt steht sie dort als Totempfahl der Hoffnung und Trauer. Persönliche Geschichten sind außerdem als Audio- und Videobeiträge zu sehen, dazu Berichte aus den Medien. Der Besucher, so formulieren es die Ausstellungsmacher, soll durch eine „Vielzahl subjektiver Stimmen“ navigieren, da eine endgültige Sicht auf die Ereignisse verfrüht und nicht angemessen wäre.
In mehr als einer Hinsicht ist das eine passende Metapher für die Situation über der Erde. Jedes Gebäude in diesem Block trägt nicht nur die Narben des emotionalen Traumas, sondern auch die der Kämpfe, die seit dem 11. September 2001 darum gefochten wurden, ob überhaupt, und wenn ja, was, dort gebaut werden darf. Das Gebäude des 9/11 Memorial Museum ist nicht nur vom Schmerz gezeichnet, für den dieser Tag steht, sondern auch von Kompromissen zwischen konkurrierenden Interessen, die Ground Zero seither beherrschen.
Oliver Wainwright ist Architekturkritiker des Guardian
Das 9/11 Memorial Museum wurde am vergangenen Donnerstag auf Ground Zero von US-Präsident Barack Obama mit einem Festakt eingeweiht. Danach blieb der Besuch eine Woche lang den Überlebenden der Terroranschläge und den Hinterbliebenen vorbehalten.
Alle Opfer der Anschläge werden in der Ausstellung des Museums vorgestellt, dazu werden mehrere Tausend Fundstücke aus den Trümmern gezeigt. Das Museum soll aber nicht nur der Erinnerung an den 11. September 2001 dienen, sondern auch die Folgen fortlaufend erforschen und dokumentieren.
Vertreter von Muslim-verbänden hatten im Vorfeld kritisiert, dass insbesondere in einem Film über den Aufstieg von al-Qaida am Ende der Ausstellung nicht deutlich genug zwischen der Terrororganisation und dem Islam unterschieden werde.
Proteste gab es auch von Angehörigen, die sich dagegen verwahrten, dass nicht identifizierbare sterbliche Überreste in das Museum überführt wurden. New Yorks früherer Bürger- meister Michael Bloomberg erklärte dazu: „Etwa 3.000 Hinterbliebene halten das für eine gute Idee, und nur rund ein Dutzend sind dagegen.“
Seit dem 21. Mai 2014 ist das 9/11 Memorial Museum der Öffentlichkeit zugänglich. Der Eintritt kostet 24 Dollar.
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