Neue Wut, alte Fehler

Protest In Nordafrika gehen wieder Menschen auf die Straße. Stehen große Umbrüche bevor?
Ausgabe 08/2019
Das Bild zeigt President Omar al-Bashir mit der Aufschrift „weg, und das wäre alles“
Das Bild zeigt President Omar al-Bashir mit der Aufschrift „weg, und das wäre alles“

Foto: AFP/Getty Images

Sudan hat den Arabischen Frühling verpasst. Nun aber kommt es fast täglich zu Protesten gegen den international als Kriegsverbrecher angeklagten Staatspräsidenten Umar al-Baschir, der das Land seit 29 Jahren beherrscht. Steigende Brot- und Benzinpreise lösten im Dezember Straßenunruhen aus, die sich schnell ausweiteten. Lehrer, Rechtsanwälte und Ärzte schlossen sich den Demonstranten an, und der Fokus der Proteste richtete sich zunehmend gegen den Präsidenten al-Baschir.

Der reagiert mit Repressionen. Und wie in der Vergangenheit, so könnte er es auch diesmal schaffen, seine Kritiker mit Gewalt zum Schweigen zu bringen. Die Ursachen für die Unruhen lassen sich jedoch nicht mit dem Knüppel beseitigen: eine Wirtschaftskrise, hohe Arbeitslosigkeit und Korruption. In dieser Hinsicht hat Sudan viel mit anderen arabischen Ländern gemeinsam. Zuletzt kam es zu Protesten in Algerien, Irak, Jordanien, Libanon, Libyen und Marokko. Wieder heizt sich die politische Situation auf. Wieder lässt das Versagen der Regierungen, die Hoffnungen der Bürger zu erfüllen, die Lage kritisch werden. Es drängt sich die Frage auf, ob die Proteste eine neue Phase einläuten.

Auch Tunesien, Ausgangsort des ersten Arabischen Frühlings im Jahr 2010, wurde Ende Dezember von Ausschreitungen erschüttert. Wieder wurden die Unruhen von einem Einzelnen ausgelöst, der sich aus Protest gegen die Lebensbedingungen und den politischen Stillstand verbrannte. Auch die Präsidentschafts- und Parlamentswahlen in diesem Jahr könnten wieder Proteste und Gewalt entflammen lassen.

Über eine demokratische Erneuerung in Syrien und im Jemen zu sprechen, ist aber verfrüht. Der Versuch von Bürgern dieser Länder, Regime aus dem Sattel zu heben, hat Bürgerkriege ausgelöst. Auch Libyen hat nach dem Fall des Despoten Muammar al-Gaddafi keine Stabilität erreicht. In Ägypten, dem bevölkerungsreichsten arabischen Staat, wurde die Diktatur von Hosni Mubarak durch eine noch schlimmere abgelöst: Nach einem Putsch unter seiner Führung herrscht General Abdel Fattah al-Sisi seit 2014 als Präsident über das Land.

Trotz dieser Tragödien (oder vielleicht deswegen) wächst der Druck in der arabischen Welt wohl weiter – parallel zum Wachstum der Bevölkerung und der sozialen Ungerechtigkeit. Am 25. Januar jährte sich der Tag der Revolution auf dem Tahrir-Platz in Kairo, die zu Mubaraks Sturz führte, zum achten Mal. Im Schatten von Präsident al-Sisi ging er stillschweigend vorüber. Demonstrationen im öffentlichen Raum sind untersagt und die Medien stark kontrolliert.

Laut Human Rights Watch hat Ägypten unter Berufung auf seit 2013 eingeführte Bestimmungen wie die Anti-Terror-Gesetze Zehntausende Aktivisten der Opposition, Schriftsteller, Intellektuelle, säkulare Linke und Unterstützer der Muslimbrüder inhaftiert.

Auch westliche Regierungen wiederholen Fehler, die vor dem ersten Arabischen Frühling gemacht wurden. Sie unterstützen Diktaturen, die ihren Interessen nützlich erscheinen. Frankreichs Präsident Emmanuel Macron weilte kürzlich in Kairo, um Kampfjets zu verkaufen, und US-Außenminister Mike Pompeo vermied es, bei seinem Besuch in Ägypten die Verletzung der Menschenrechte anzusprechen. Unterdessen ist US-Präsident Trump zum Chef-Apologeten saudiarabischer Verstöße gegen die Menschenrechte geworden – seien es das Mordkomplott in Istanbul, Riads Kriegsverbrechen im Jemen oder die Verfolgung von Frauenrechtsaktivisten.

Simon Tisdall schreibt für den Guardian

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Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

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