Neues Klimagesetz könnte die CO2-Emissionen der USA um 40 Prozent reduzieren
Klimapolitik Die historische Zustimmung des US-Senats für Präsident Joe Bidens Klima- und Sozialpaket in Milliardenhöhe bringt eine Wende in der Klimapolitik des Landes in greifbare Nähe
Ihre Stimme machte den Unterschied, der das Klimagesetz im US-Senat durchbrachte: Vizepräsidentin Kamala Harris
Foto: Drew Angerer/Getty Images
Nach Jahrzehnten des politischen Zwists und der Verschleierung durch die fossile Brennstoffindustrie unternehmen die USA ziemlich sicher den ersten bedeutenden Versuch, die Klimakrise anzugehen. Laut Experten könnte das neue Klima- und Sozialpaket Inflation Reduction Act (IRA) dazu beitragen, die amerikanische Wirtschaft neu aufzustellen und ein wichtiger Schritt zur Abwendung einer katastrophalen globalen Erwärmung sein.
Die amerikanischen Treibhausgasemissionen könnten bis zum Ende des Jahrzehnts um etwa 40 Prozent gegenüber dem Stand von 2005 gesenkt werden. Diese Reduzierung könnte die USA ganz in Wurfweite des von Joe Biden gesetzten Ziels bringen, die Emissionen bis 2030 zu halbieren. Dieses Ziel müsste laut Wissenschaftler*innen weltweit erreicht werden,
it erreicht werden, wenn eine katastrophale globale Erwärmung mit eskalierenden Hitzewellen, Dürren sowie Überflutungen verhindert werden sollen.Am Sonntag schaffte es der Gesetzesentwurf mit knapper Mehrheit durch den US-Senat, die Zustimmung des Repräsentantenhauses am Freitag gilt als gesichert.„Das ist ein enormer Wendepunkt“, erklärte Klimapolitik-Expertin Leah Stokes von der Universität von Kalifornien in Santa Barbara. „Das Gesetz enthält so viel, es umfasst fast 370 Milliarden US-Dollar Investitionen in das Klima und saubere Energien. Das ist wirklich historisch. Insgesamt ist der IRA eine enorme Chance, die Klimakrise anzugehen.”Ein großer Schritt zur Reduzierung von Emissionen Im Vergleich zu Bidens ursprünglichem Ziel wurden die Klimainvestitionen auf insgesamt 369 Milliarden Dollar abgespeckt, ein Kompromiss nach mühsamen Verhandlungen mit Joe Manchin, einem Senator aus West-Virginia, der Kohleunternehmen besitzt, aber auch eine entscheidende Stimme für das Gesetz.Der demokratische Senator Brian Schatz stufte das Gesetzpaket als „bei weitem die größte Klimaaktion in der menschlichen Geschichte“ ein. Biden bezeichnete es als einen „großen Schritt nach vorn”.Die Demokraten warfen ihre gesamten 50 Stimmen in die Waage plus Vizepräsidentin Kamala Harris’ ausschlaggebende Stimme in Fall eines Gleichstands, während die Republikaner geschlossen gegen die Maßnahmen gegen die Klimakrise stimmten. Milliarden Dollars werden damit in erneuerbare Energien wie Wind- und Solarenergie, Rabatte für Verbraucher, die Elektroautos kaufen und Unterstützung für Haushalte fließen, die saubere Energie nutzen und energieeffizienter werden.Insgesamt wird das Klimaschutzpaket laut der unabhängigen Rhosium Group die US-amerikanischen Emissionen um zwischen 31 und 44 Prozent unter das Niveau von 2005 senken. Eine andere Analyse durch das Forschungsinstitut Energy Innovation kam auf eine ähnliche Senkung zwischen 37 und 41 Prozent in diesem Jahrzehnt. Insgesamt würden in diesem Zeitrahmen rund eine Milliarde Tonnen Treibhausgas vermieden, was mehr als zweimal den jährlichen Emissionen Großbritanniens entspricht.Die fossilen Energien aus dem Stromnetz drängenDie Bandbreite der möglichen Einsparungen hängt von Faktoren wie den zukünftigen Wirtschaftsbedingungen ab. Experten gehen aber davon aus, dass das Gesetzpaket eine Lawine von positiven Auswirkungen auslöst, indem es die fossilen Energien aus dem Stromnetz drängt, Amerikas Durst nach Öl dämpft sowie Wind- und Solarenergie, die in den vergangenen Jahren bereits günstiger wurden, noch preiswerter macht.„Dieses Gesetz wird den Übergang zu sauberer Energie stark antreiben. Es wird Märkte transformieren, in denen Solarstrom, Windkraft und Batterien in vielen Fällen schon günstiger sind als etablierte fossile Brennstoffe“, erklärte Anand Gopal, Exekutivdirektor für Politik bei Energy Innovation.„Es handelt sich um ein enorm großes Klimaschutzgesetz, das größte der US-amerikanischen Geschichte, wenn es verabschiedet wird. Es bedeutet nicht, dass die USA nichts weiter tun müssen, um ihre Emissionsziele zu erreichen, aber es ist ein deutlicher Unterschied.”Der Großteil des Gesetzentwurfs besteht aus Steuergutschriften, die einen Boom bei der Nutzung sauberer Energien auslösen sollen, sowie aus Zahlungen, um alternde Kernkraftwerke und andere kohlenstoffarme Energiequellen am Netz zu halten. Ein neues Abgabensystem wird eingeführt, um das Austreten des Treibhausgases Methan bei Öl- und Gasbohrungen einzudämmen. Zudem soll die riesige Lastwagen-Flotte der US-Post auf Elektrofahrzeuge umgestellt werden.Das Klimagesetzt soll 1,5 Millionen Jobs schaffenKonsumenten können Rabatte für bis zu 7.500 US-Dollar für ein neues Elektrofahrzeug oder bis zu 4.000 US-Dollar für einen Gebrauchtwagen erhalten. Mit bis zu 8.000 US-Dollar soll der Einbau einer modernen elektrischen Wärmepumpe gefördert werden, die Gebäude heizen und kühlen kann. Unter anderem soll es außerdem 1.600 US-Dollar dafür geben, die Energieeffizienz eines Hauses durch Isolierung und Versiegelung zu verbessern.Neben der Reduzierung der Emissionen hätten diese Schritte weitere deutliche Vorteile. Laut Energy Innovations würden im Bereich Saubere Energie ganze 1.5 Millionen Arbeitsplätze geschaffen. Nach Berechnungen des Forschungsunternehmen Rewiring America könnten zudem Haushalte, die eine Wärmepumpe und Solaranlagen auf dem Dach installieren sowie ein Elektroauto benutzen, ihre Energiekostenrechnung jährlich um 1.800 US-Dollar reduzieren.Auch würden tausende Todesfälle vermieden, vor allem von People of Colour, die derzeit unter der Luftverschmutzung durch nahegelegene fossile Treibstoff-Infrastruktur leiden. „Wenn man neben einem Kraftwerk lebt, das Giftstoffe herauspumpt, ist das die primäre Sorge, nicht der Klimawandel“, erklärte Gopal.Die neue Gesetzgebung ist auch ein Versuch, Chinas derzeitigen Vorsprung aufzuholen, das zum weltweit führenden Hersteller von Sonnenkollektoren, Batterien und anderem Material für die Herstellung sauberer Energie geworden ist. Anreize in Milliardenhöhe sollen die Produktion von Windturbinen, Solarpanelen, Batterien, CO2-Abscheidung und -Speicherung und andere Technologien in den USA ankurbeln.Klimaaktivist*innen kritisieren das GesetzDas würde auch dazu beitragen, diese Technologien in den USA zu verbreiten, und es den Bundesbehörden erleichtern, strengere Verschmutzungsregeln für Autos, Laster und Kraftwerke zu erlassen. Gleichzeitig würde die internationale Anstrengung einen starken Anschub erhalten, die Erderwärmung bei 1,5 Grad Celsius zu halten, die bisher von einer lückenhaften amerikanischen Reaktion auf die Klimakrise behindert wurde. „Es ergeben sich eine Menge positiver wechselseitiger Auswirkungen“, sagte Gopal. „Es verändert, wie die USA auf der globalen Bühne gesehen werden. Es könnte höhere Zusagen durch andere große Treibhausemittenten wie China und Indien ermutigen. Zunehmend sehe ich es optimistischer, dass es möglich ist, den Temperaturanstieg unter 2 Grad Celsius zu halten. 1,5 Grad ist zu diesem Zeitpunkt ein Etappenziel.”Klimaaktivist*innen haben Teile des Gesetzentwurfs kritisiert. Manchin bestand erfolgreich darauf, dass Öl- und Gaspachten in Alaska und im Golf von Mexiko festgeschrieben sind, mit der Bedingung, dass Millionen Hektar Bundesland und Wasser auch für fossile Brennstoffe erschlossen werden sollen, wenn sie von Solar- und Windkraftentwicklern genutzt werden.Der Klimaaktivist Brett Hartl vom Center für Biological Diversity sieht daher darin einen „Klima-Selbstmordpakt“. Die Forscher:innen von Energy Innovation argumentieren dagegen, dass die Vorteile aus der sauberen Energie, die das neue Gesetz bringt, problemlos alle zusätzlichen Emissionen aus neuen Bohrungen aufwiegen. Jede Tonne neuer Emissionen werde durch mindestens 24 Tonnen vermiedener Emissionen durch andere Maßnahmen ausgeglichen. Wenn auch viel später als die meisten anderen großen Ökonomien hätten die USA endlich einen langfristigen Klima-Fahrplan.„Ich hätte diese Pachten nicht in das Gesetz hineingeschrieben, aber die Klimaseite wiegt schwerer“, urteilt Gopal. „Reicht diese Gesetzgebung dafür aus, was wir für das Klima brauchen? Nein. Ist sie außergewöhnlich angesichts der Politik und des Senats, den wir haben? Ja, unglaublich. Die verlorene Zeit durch das Nichthandeln der USA lässt sich nicht wiedergutmachen und wir können den Preis sehen, den die Welt dafür zahlt. Aber es ist nicht zu spät. Die neue Gesetzgebung kann wirklich sehr viel bringen.”
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