Großbritannien wird von einem beispiellosen Medienskandal erschüttert. Das Land hat sich kaum von dem Spesenskandal erholt, der zu einer Reihe von Politikerrücktritten führte. Diesmal in der Kritik: Die Boulevardblätter von Rupert Murdoch, des australischen Medienmoguls, dessen neuer Bezahl-Sender Sky eben in Deutschland an den Start gegangen ist. Die Vorwürfe sind ungeheuerlich: Tausende von Prominenten sollen Ziel von Abhöraktionen gewesen sein, darunter die Schauspieler Jude Law und Gwyneth Paltrow ebenso wie der Musiker George Michael oder Politikern wie der britische Vizepremier John Prescott. Und um an Klatschgeschichten zu kommen, haben sich Journalisten auch illegal Zugriff zu öffentlichen Datenregistern verschafft, was wiederum ein schlechte
Neugier ohne Grenzen
Yellow Press "News of the World", eine Sonntagszeitung Rupert Murdochs, soll tausende Prominente abgehört haben. Die Polizei ermittelt. Sogar die Politik gerät in den Sog der Affäre
Exklusiv für Abonnent:innen
Nick Davies, The Guardian
|
The Guardian
, was wiederum ein schlechtes Licht auf die Behörden wirft. Wir dokumentieren den Artikel von Nick Davies, Reporter bei unserem Medienpartner des Guardian, in der deutschen Übersetzung. Es sind auch seine Recherchen, die den Skandal ins Rollen gebracht haben – eine erschreckende Geschichte darüber, wie sehr Journalisten ihr eigenes Ethos vergessen können. Und vielleicht der Anfang vom Ende der Yellow Press nach britischer Art. Als der Oberste Gerichtshof Großbritanniens News of the World im vergangenen Sommer zu Schadensersatz an Max Mosley verurteilte, weil die Zeitung den britischen Sportfunktionär und Präsidenten des Welt-Automobilverbands FIA mit Prostituierten gefilmt hatte, gab man sich bei dem Boulevardblatt von Rupert Murdoch empört. Ein wütender Leitartikel bestand darauf, dass Personen des öffentlichen Lebens sich an gewisse Regeln zu halten hätten: „Es steht den Mächtigen und Einflussreichen nicht zu, vor die Gerichte zu rennen, um Zeitungen mundtot zu machen und sie davon abzuhalten, WAHRE Storys zu veröffentlichen,“ war da zu lesen. „Es geht hier um das Recht der Öffentlichkeit an Information.“Während diese Worte veröffentlicht wurden, bereiteten sich Anwälte und leitende Angestellte der News Group, einem Zweigunternehmen der Verlagsgruppe News International vor, Gordon Taylor, den Chef der britischen Fußballergewerkschaft, gerichtlich mundtot zu machen. Taylor hatte News of the World aufgrund ihrer geheim gehaltenen Beteiligung am illegalen Abhören von Nachrichten auf seinem Mobiltelefon verklagt.Die News Group brachte den Obersten Gerichtshof dazu, die Akte zu versiegeln und zahlte Taylor über 400.000 Pfund Schadenersatz im Gegenzug für sein Schweigen. So verhinderte sie, dass die Öffentlichkeit irgendetwas von den hunderten Seiten an Beweismaterial erfuhr, das im Fall Taylor enthüllt worden war und welches möglicherweise kriminelles Verhalten von in Lohn der News Group stehenden Journalisten offen legte. Darüber hinaus wurden hierdurch einige mächtige und einflussreiche Leute vor den Folgen geschützt, die dieses Material eventuell für sie gehabt hätte.Der Name Andy Coulson, Pressechef von Torie-Führer David Cameron, wird in dem unterdrückten Beweismaterial nicht erwähnt. Es geht allerdings daraus hervor, dass Coulson während seiner Zeit als Chefredakteur der News of the World unter seiner Verantwortung stehende Mitarbeiter mit Privatermittlern zusammenarbeiteten, die an gesetzeswidrigen Telefon-Abhör-Aktionen beteiligt waren. Die News Group hatte dies zuvor abgestritten. Außerdem zeigt das Material, dass in Coulsons Zeit als stellvertretender Chefredakteur Reporter und hohe Angestellte mehrfach die Beschaffung vertraulicher Informationen in Auftrag gegeben hatten. Dies ist gesetzeswidrig, wenn es nicht nachgewiesenermaßen im Interesse der Öffentlichkeit geschieht. In den Büros der News of the World war dies kein Geheimnis: Die Buchhaltungsabteilung bezahlte ganz offen dafür, die Abrechnungen führten illegale Handlungen auf. Bei der News Group hat man stets darauf bestanden, dass man gesetzestreu und im Interesse der Öffentlichkeit handele.Der Umfang der Aktivitäten muss Fragen aufwerfen, ob Coulson davon gewusst und sie bewilligt hat. Vom Guardian gefragt, ob er dem Abhören von Telefonen und der illegalen Beschaffung von Informationen durch seine Journalisten zugestimmt habe, äußerte Coulson sich nicht weitergehend, als dass er nichts von Taylors Klage gewusst habe. Bei seinem Rücktritt sagte er, nichts von der Beteiligung des Reporters Clive Goodman am Abhören von Telefonen der königlichen Familie gewusst zu haben.Das gesamte Bild der Verwicklungen der News Group in das Hacken von Mobiltelefonen ist noch nicht klar. Hauptsächlich liegt dies an der umstrittenen Entscheidung der Londoner Polizeibehörde Metropolitan Police, die betroffenen öffentlichen Personen nicht darüber zu informieren, dass der Versuch unternommen worden war, ihre Telefone abzuhören und daran, dass die britische Staatsanwaltschaft sich entschieden hatte, die News-Group-Chefs nicht vor Gericht zu bringen. Scotland Yard wird sich wohl bald mit Fragen konfrontiert sehen, ob hohe Beamte intervenierten, um zu verhindern, dass man es sich mit einer mächtigen Mediengruppe verderben könnte.Scotland Yard hat Taylor nur eine begrenzte Menge des Beweismateriales offen gelegt. Der Guardian hat Kenntnis davon erhalten, dass die vollständige Polizeiakte zeigt, dass mehrere tausend öffentliche Personen sich im Visier der Rechercheure befanden. Allein während eines Monats des Jahres 2006 befanden sich darunter: John Prescott, der damalige Vize-Premierminister; Tessa Jowell, damals als Kulturministerin verantwortlich für die Medien; Boris Johnson, damals Bildungssprecher der britischen Konservativen; Gwyneth Paltrow, nachdem sie ihren Sohn zur Welt gebracht hatte; Pop-Star George Michael und Big Brother-Promi Jade Goody.Als Goodman, bei News of the World zuständiger Redakteur für das Königshaus betreffende Angelegenheiten, für das Einhacken in Mobiltelefone von Palastmitarbeitern inhaftiert wurde, behauptete man bei News International, er habe ohne Wissen des Hauses gehandelt. Einer der für die Zeitung tätigen Rechercheure namens Glenn Mulcaire wurde ebenfalls bezichtigt, sich in die Leitungen des liberaldemokratischen Abgeordneten Simon Hughes, des Promi-PR-Mannes Max Clifford, des Models Elle McPherson, des Fußballagenten Sky Andrews, sowie Taylors eingeklinkt zu haben. Seinerzeit behauptete News of the World, nichts davon zu wissen, dass diese Personen abgehört worden sein sollen. Für den Fall Taylor hat sich dies aber nun als unwahr herausgestellt.Zu den weiteren mutmaßlichen Opfern zählen unter anderem der schottische Politiker Tommy Sheridan, der News of the World schon früher beschuldigt hatte, sein Auto verwanzt zu haben; Jeffrey Archer, der Anfang 2000 wegen eines von der Zeitung enthüllten Meineides zu einer Gefängnisstrafe verurteilt worden war und der Fußballtrainer Sven-Göran Erikkson, dessen Sexleben zu einem gefundenen Fressen für die Boulevardblätter wurde.Laut einer Quelle, die über unmittelbares Wissen über die Scotland Yard vorliegenden Beweise verfügt, bediente News of the World sich systematisch der Arbeit von Privatermittlern, die das Gesetz brachen, um an Informationen zu gelangen, sich in tausende von Mobiltelefonen einhackten und Rohmaterial lieferten, aus dem dann Berichte gemacht wurden, die keine Angaben über die wirklichen Quellen enthielten. Dagegen haben Führungsmitarbeiter von News of the World öffentlich – und in offensichtlichem Widerspruch zu den im Fall Taylor ermittelten und unterdrückten Beweisen – behauptet, Goodman sei die einzige Person bei der Zeitung gewesen, die an den Telefon-Schnüffeleien beteiligt gewesen sei und dass er ohne ihr Wissen gehandelt habe.Als Zeuge vor dem House-of-Commons-Sonderausschuss für Kultur, Medien und Sport wurde Les Hinton, Vorsitzender von News International am 6. März 2007, sieben Monate nach Goodmans Festnahme gefragt, ob er eine „vollständige und rigorose interne Untersuchung“ durchgeführt habe und „absolut überzeugt“ sei, dass Goodman der einzige sei, der von der Telefon-Schnüffelei gewusst habe. Hintons Antwort: „Ja haben wir und ich glaube er war der einzige.“ Hinton fügte hinzu, dass die Untersuchung unter dem neuen Chefredakteur Colin Myler weitergeführt werde. Myler hatte gegenüber der Press Complaints Commission (PCC) allerdings schon zwölf Tage zuvor gesagt, Goodmans Abhör-Aktionen seien „abweichend“ und eine „grobe Ausnahme“ gewesen. Es habe sich dabei um ein „außergewöhnliches und unglückliches Ereignis in der 163-jährigen Geschichte der News of the World“ gehandelt, an der „nur ein Journalist beteiligt“ gewesen sei.Selbiges behauptete später Stuart Kuttner, ranghoher Redakteur bei News of the World. Er sagte im Februar 2008 in der Sendung Today des Radiosenders Radio Four, nur ein Journalist der News of the World sei am illegalen Einhacken in Telefone verwickelt gewesen: „Es ist bei der News of the World ein Mal passiert. Der Reporter wurde gefeuert und ist ins Gefängnis gewandert. Der Redakteur ist zurückgetreten.“ Diese Führungskräfte wussten noch nichts von den Beweisen, die Taylors Anzeige bereits zutage gefördert hatte, als sie diese Aussagen trafen. Am Dienstag erklärte Kuttner seinen Rücktritt.Der damalige Vorsitzende der Presse-Beschwerde-Kommission, Sir Christopher Meyer, hatte eine Untersuchung der „gesamten Zeitungsindustrie Großbritanniens, um ihre Praktiken offenzulegen“ versprochen, entschied sich dann aber gegen eine Befragung des zurückgetretenen Andy Coulson sowie irgendeines anderen Journalisten oder Redakteurs der Zeitung mit Ausnahme Mylers, der nicht unmittelbar wissen konnte, was vor seinem Eintritt bei der Zeitung passiert war. Der darauf folgende Bericht der PCC konnte entsprechend keinerlei Beweise für ein illegales Abhören von Telefonen durch irgendein Medienunternehmen liefern, abgesehen von demjenigen, das in dem Goodman-Verfahren aufgedeckt worden war.Indem sie verhinderte, dass es aufgrund von Taylors Anzeige zu einem Gerichtsverfahren kam, ließ die News Group nicht nur die Beweise von Scotland Yard verschwinden, sondern auch Dokumente, die die für die Veröffentlichung offizieller und den Schutz privater Informationen zuständige Information Commission bei dem Privatdetektiv Steve Whittamore aus Hamshire sichergestellt hatte. Dieser unterhielt ein Netzwerk aus verschiedenen Informanten, die sich auf die illegale Informationsbeschaffung von Rechnern der Polizei, der British Telecom, der Kraftfahrzeugzulassungsstelle, des Finanzamtes und anderer Einrichtungen spezialisiert hatten. Whittamore wurde krimineller Machenschaften für schuldig befunden, während gegen die Zeitungen, die ihn beauftragt hatten, nie strafrechtlich verfolgt wurden.Die Information Commission hat mittlerweile geäußert, dass mit nahezu allen diesen Aktivitäten „sicher oder aber doch sehr wahrscheinlich“ gegen das Datenschutzgesetz verstoßen wurde. Trotzdem sprechen die Dokumente ganz offen über die Suchanfragen von 27 Journalisten der News of the World und vier von der Sun. Ein News of the World-Reporter gab 130 Recherchen in Auftrag, ein weiterer 118. Von einem Nachrichtenmann sind 90 Vorgänge bei Whittamore dokumentiert. Diese umfassten 23 illegale Suchvorgänge bei der Kraftfahrzeugmeldestelle nach Daten zu Autokennzeichen, zwei illegale Suchanfragen bei Polizei-Datenbanken nach Vorstrafenregistern, fünf illegale Suchanfragen bei Telefongesellschaften um die zu einer Mobilfunknummer gehörende Adresse in Erfahrung zu bringen und drei Anfragen nach illegalem Zugang zu Listen mit geheimen Telefonnummern.Ein anderer Journalist hat 70 weitere Vorgänge in Auftrag gegeben, darunter neun illegale Suchen in Dateien der British Telecom, um Festnetznummern mit den dazugehörigen Adressen zu versehen, 13 illegale Suchvorgänge bei der Kraftfahrzeugmeldestelle und zwei illegale Zugriffe auf die Vorstrafenregister auf Polizeicomputern. Ein sehr hoher Vertreter der Zeitung soll persönlich illegale Suchanfragen bei einer Mobilfunkgesellschaft in Auftrag gegeben haben.Unter denjenigen, deren Privatsphäre offenbar illegalerweise verletzt wurde, als ihre bei der British Telecom gespeicherten Adressen weitergeleitet wurden, befinden sich Star-Köchin Nigella Lawson (vier Mal); die Schauspielerinnen Patsy Kensit und Sadie Frost, Jude Law, die Radiomoderatorin Lisa Snowdon (dreimal), die Fernsehjournalistin und –moderatorin Anne Robinson und ihr früherer Partner; Cherie Blairs Stilberaterin Carol Caplin; Entertainer Lenny Henry; die Journalistin Vanessa Feltz; Lord Mountbattens Enkel, sowie Zeugen des Mordes an Jill Dando, was eine mögliche Einflussnahme auf ein laufendes Ermittlungsverfahren der Polizei denkbar macht.Als die Schauspielerin Charlotte Coleman nach einem Asthma-Anfall starb, zahlte News of the World für die illegale Beschaffung der aufgeschlüsselten Liste ihrer Freunde und Familie anhand der Telefonliste ihrer Eltern von der British Telecom. Als die Fernsehmoderatorin Linda Barker umzog, engagierten sie Whittamore, um auf der Datenbank ihrer Sozialversicherung ihre neue Adresse in Erfahrung zu bringen.Auf Geheiß von News of the World verschafften sich Whittamore und sein Netzwerk auch Zugang zu den bei der Polizei gespeicherten Vorstrafenregistern, was ein Verbrechen von besonderer Schwere darstellt. Gleiches gilt für das Finanzamt. Weiter Hacking-Opfer waren ein Taxiunternehmen, dessen Dienste von Ken Livingston in Anspruch genommen wurden, ein Pariser Hotel, das von Jason Donovan besucht wurde, die Schauspieler-Gewerkschaft Equity, um an die Adressen von Schauspielern heranzukommen, Granada TV wegen der Adresse eines Schauspielers von Coronation Street, und in mehreren Fällen die Kraftfahrzeugmeldestelle für die Beschaffung der persönlichen Daten der Halter bestimmter Autokennzeichen. News of the World beharrt allerdings darauf, man würde derlei Mittel nur anwenden, wenn dies im Interesse der Öffentlichkeit liege.Der Vorsitzende der Information Commission widersetzte sich allen Anfragen, sämtliche bei Whittamore konfiszierten Akten zu veröffentlichen. Diese umfassen 13.343 Anfragen von 305 Journalisten, nicht nur von News International, sondern auch von der Mirror Group, dem Observer und Associated Newspapers. Die Daily Mail alleine machte 985 Anfragen, mehr als jede andere Zeitung.Mach der Überführung Whittamores drängte die für die Kontrolle von vertraulichen Dateien verantwortliche Information Commission die Press Complaints Commission dazu, eine „eindeutige öffentliche Stellungnahme herauszugeben, in der Journalisten und Redakteure vor den sehr realen Gefahr gewarnt werden sollten, kriminelle Taten zu begehen.“ Dokumente, die unter dem Freedom of Information Act veröffentlicht wurden, zeigen, dass die von Zeitungen finanzierte PCC dies nicht tat und schließlich Empfehlungen herausgab veröffentlichte, welche die Information Commission öffentlich als „enttäuschend“ bezeichnete.
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken. Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos. Mehr Infos erhalten Sie hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt. Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.