Nicht mein Tag

Weltnichtrauchertag Obwohl wir wissen, dass jeder Zug uns dem Grab einen Schritt näher bringt, befinden wir Raucher uns fest im nikotinbefleckten Griff der Tabakindustrie. Allen voran die Autorin

Heute ist Weltnichtrauchertag, und während ich gerade auf der Website von Ash (Action on Smoking and Health) Material gegen die Tabakindustrie sammle, halte ich eine Zigarette in der Hand – es dürfte meine 146.000ste sein. In meinem Brustkorb rattert es, als würde ein Hitradio direkt aus meinen Lungenflügeln übertragen. Ich bin mir der Ironie wohl bewusst, aber wer bitte schön soll den Job machen, wenn nicht jemand, der seit 20 Jahren raucht? Schließlich bin ich das Opfer der Tabakindustrie und nicht Sie. Anstatt über die Kosten für die Krankenkassen zu lamentieren, für die ich mit meiner Tabaksteuer wohl aufkommen dürfte, und sich über den Rauch zu beschweren, haben Nichtraucher eigentlich nichts weiter zu tun, als uns beim Sterben zuzusehen.

Als mein Blick während meiner Recherche irgendwann einmal auf meine Kippe fällt – ich denke, es ist meine 146.001ste –, stelle ich fest, dass ich der Tabakindustrie überhaupt nicht böse bin. Viel mehr ärgere ich mich über die Frau auf der Straße, die ihre Kinder beim Anblick meiner Zigarette dazu aufforderte, mich zu beschimpfen, obwohl ich Bedauern heuchelte und sie wahrscheinlich ein Auto von den Ausmaßen eines mittelgroßen Elefanten besitzt. Es ist mir klar, dass ich wie eine Frontfrau der Tabakindustrie klinge, aber das ist mir gleich: Manchmal kann man sich seine Verbündeten eben nicht aussuchen, und manchmal verhalten sich Menschen eben selbstzerstörerisch.

Ganz offensichtlich ist die Tabakindustrie böse, und es ist das Verdienst der Nichtraucherlobby, dass Raucher dies nicht länger leugnen können. Mein Dealer, Philip Morris, ist in meinen Augen ein Comic-Monster, eine Art raffgierige Cartoon-Figur, die durch die Nichtrauchergesetze in Bedrängnis geraten ist, aber nach wie vor versucht, eine mörderische Droge verantwortungsvoll unter die Leute zu bringen. Selbst neben all den anderen Monstern tut sie sich durch besondere Monstrosität hervor: Verglichen mit British American Tobacco (BAT) wirkt der Mineralölkonzern Exxon geradezu harmlos, denn die Zerstörung ist bei ihm nur eine Nebenwirkung des eigentlichen Geschäfts, nicht das Geschäft selbst.

Wenn die Tabakindustrie ihre Arbeit ordentlich macht, bedeutet dies für ihre Kundschaft den Tod. Und jedes Mal, wenn ein Raucher stirbt, muss er durch einen anderen ersetzt werden. Sie hat sogar die britische Schriftstellerin und Schauspielerin Beryl Bainbridge getötet. Wenn ich an die Tabakindustrie denke, stelle ich mir für gewöhnlich Ned Beatty vor, wie er in dem 1976er Meisterwerk Network als Sprachrohr des Kapitals über die Herrschaft des Geldes doziert:

„Es gibt keine Nationen, es gibt keine Völker (...), es gibt keine Dritte Welt, es gibt keinen Westen. ES GIBT NUR EIN EINZIGES, GROSSES, HOLISTISCHES SYSTEM DER SYSTEME – EIN RIESIGES, UNGEHEUER MÄCHTIGES, VERFLOCHTENES, SICH GEGENSEITIG BEEINFLUSSENDES, MULTIVARIABLES, MULTINATIONALES DOMINION", also eine Herrschaft, "VON DOLLARS“ – eine Herrschaft, die eine linke Schriftstellerin in ihrer Wohnung in Camden erdrosselt, um sich als nächstes Dich zu schnappen.

Überwältigender Konsens

Die Tabakindustrie hat jahrelang über die wahren Auswirkungen ihres Produkts gelogen, selbst dann noch, als ihre Manager sich hysterische Nachrichten zukommen ließen: „Die Kunden sterben!“ Ich glaube nicht, dass sie darüber glücklich waren, dass ihnen die Leute wegsterben, sie waren nur einfach nicht so unglücklich darüber, dass sie den Handel mit dem Zeug eingestellt hätten. Die Tabakindustrie hat noch jeder Bedrohung ihrer Profite in der Geschichte widerstanden und tut dies auch weiterhin. In Großbritannien rankt die Schlacht gegenwärtig um sogenannte neutrale Zigarettenschachteln ohne Markenlogo und Farben. Dies beunruhigt die Tabakindustrie, also hat sie ein Sperrfeuer sich widersprechender Argumente eröffnet, um die Einführung dieser Verpackungen zu verhindern: Neutrale Verpackungen änderten nichts, sagen sie. Oder vielleicht doch – sie sind sich nicht sicher.

Jedenfalls wollen sie diese neutralen Schachteln nicht und hören sich dabei an wie Abhängige, die wirres Zeug von sich geben, nur um an ihren Stoff zu kommen bzw. daran zu verdienen. Ihre Pressearbeit ist erbärmlich: British American Tobacco hat einen Kurzfilm mit dem Titel Who's in Control? herstellen lassen, in dem ein osteuropäischer Gangster sich ob der Aussicht auf neutrale Zigarettenschachteln ins Fäustchen lacht, weil diese leichter zu kopieren seien. Man sollte sie wegen Rassismus belangen.

Wahrscheinlich tauge ich nicht zum Sprachrohr für BAT. Was aber die Anti-Tabak-Lobby nicht begreifen will, ist meiner Meinung nach, dass es Leute gibt, die gerne rauchen. Sie haben ihre Aufgabe gut erledigt. Jeder, der lesen kann, weiß heute, dass Rauchen tödliche Folgen hat. Ich weiß es, die Tabakindustrie weiß es, selbst die Zigarettenpackung weiß es, so unglaublich selbstbewusst ist sie. Man kann nicht viel deutlicher werden, als den Satz „ Rauchen fügt Ihnen und den Menschen in Ihrer Umgebung erheblichen Schaden zu“ in einen schwarzen Kasten, der an ein viktorianisches Beileidsschreiben erinnert, das ein wenig zu früh abgeschickt wurde, auf die Packungen zu drucken. Und die Tabakindustrie gibt es mittlerweile sogar zu.

„Phillip Morris teilt den überwältigenden medizinischen und wissenschaftlichen Konsens darüber, dass das Zigaretten-Rauchen Lungenkrebs, Herzkrankheiten und verschiedene andere tödliche Krankheiten verursacht“, sagt Phillip Morris. „Rauchen ist die Ursache für verschiedene ernsthafte und tödliche Krankheiten“, heißt es seitens BAT. Natürlich war es die Nichtraucher-Lobby, die sie dazu gebracht hat, dies zuzugeben, und ich bin ihr dankbar dafür, während ich meine 146.002te Zigarette heraushole. Selbst am Weltnichtrauchertag, liebe Nichtraucher, gibt es Leute, die nicht gerettet werden wollen.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Tanya Gold | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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