Nicht ohne mein Karnickel

Artenschutz Noch vor zehn Jahren sah es schlecht aus für den iberischen Luchs. Kriegt Spaniens bedrohte Katze jetzt die Kurve?

Dactil braucht nicht lange, um sein Mittagessen vorzubereiten. Das iberische Luchs-Männchen packt ein Kaninchen an der Gurgel, lässt es ein paar Mal mit den Läufen zappeln – und fertig. Wenige Minuten später ist die Beute verspeist. Dann macht Dactil sich wieder auf, seinem Kumpel Castanuela im Gehege der Aufzuchtfarm „La Olivilla“ Gesellschaft zu leisten, in der Nähe des andalusischen Santa Elena.

In der freien Wildbahn lässt sich ein derartiges Verhalten nur sehr selten beobachten. Lynx pardinus ist ein zurückgezogen lebender Jäger. Zudem ist er äußerst selten. Bereits vor 1900 hatte sich sein Lebensraum in Spanien und Portugal verkleinert, bevor die Population im 20. Jahrhundert drastisch zurückging. Vor zehn Jahren gab es schließlich nur noch rund 100 Exemplare, Damit war der iberische Luchs die am stärksten bedrohten Katzenart der Welt.

Luchs-TV rund um die Uhr

In La Olivilla startete man deshalb den sehr ambitionierten Versuch, dem Schicksal der Tiere eine andere Wendung zu geben: Hier wird 32 Luchsen Schutz geboten. Das Verhalten der Katzen wird per Video überwacht. „Wir können mitansehen, was sie machen. Alles. Das ist vor allem dann entscheidend, wenn die Tiere im März mit der Paarung beginnen“, sagt die Direktorin von La Olivilla, María José Pérez. „So können wir zum Beispiel helfen, wenn eine Mutter in Schwierigkeiten gerät.“

Die hoch technisierte Überwachung und gewissenhafte Pflege in La Olivilla sind entscheidend für die Arbeit des 2003 ins Leben gerufenen „Life Lince“ Projekts, durch dessen Arbeit die Zahl der Tiere mittlerweile wieder auf mehr als 300 Exemplare gewachsen ist. Zoologen denken bereits darüber nach, Lynx pardinus nach den Regeln des International Union For Conservation of Nature (IUCN) von „besonders gefährdet“ auf „gefährdet“ zurückzustufen.

Mit aller gebotenen Vorsicht kann man das Projekt zum Erhalt des iberischen Luchses bislang als Erfolg bezeichnen. Der Luchs ist ein unverwechselbares Tier, das in Andalusien den Status einer Ikone genießt. Um sie dem Abgrund des Vergessens zu entreißen, bedurfte es einer gewaltigen Anstrengung, Dutzender engagierter Ökologen und Tierärzte. Zudem erforderte die Rettung des Luchses politische Initiative: Der Großteil der 33 Millionen Euro zur Erhaltung der Spezies wurde von der andalusischen Regionalregierung bereitgestellt. Weitere 50 Millionen müssen für die Ansiedlung des Luchses in anderen Regionen Spaniens und Portugals investiert werden.

Wenn uns seine Geschichte etwas lehrt, dann, dass es unglaublich schwierig und kostspielig ist, einen bedrohten Säuger und Räuber vor dem Aussterben zu retten. Kaninchen sind für den Fortbestand des Luchses unablässig. Zwar ernähren Fleischfresser sich meistens von verschiedensten Tieren und Aas, der Luchs hingegen frisst fast ausschließlich Kaninchen. Eine Vorliebe, die eng mit seiner Physiognomie verbunden ist. Verglichen mit anderen Luchsarten ist lynx pardinus klein. Ausgewachsene Tiere sind etwa zweimal so groß wie ein Hauskater. Dennoch handelt es sich um hocheffiziente Räuber. Ihr Gehör ist achtmal feiner als das eines Menschen und mit ihren großen Augen können sie auch bei tiefer Dunkelheit sehen. Das macht sie in Kombination mit ihrem kräftigen Kiefer und ihrem zur Tarnung extrem gut geeigneten Fell zu den effizientesten Kaninchenjägern auf dem Planeten. Wird ein Kaninchen von einem Luchs gefangen, ist es innerhalb von Sekunden tot und innerhalb weniger Minuten verspeist. Kriegen die Luchs Weibchen nicht täglich ein Kaninchen auf den Teller, fehlt ihnen Zoologen zufolge die ausreichende Kraft, um sich fortzupflanzen.

Mit der Liebe klappt es gut

Diese Spezialisierung auf die Kaninchenjagd kann zu Problemen führen. Im 20. Jahr­hundert dezimierten zwei große Krankheitswellen die Kaninchendichte Spaniens radikal. Nur in der Sierra Morena überlebten einige Populationen, hier fanden sich entsprechend auch die letzte Luchse der iberischen Halbinsel. Mit dem Schlingen-Fang-Verbot begann sich auch der Luchs wieder leicht zu erholen. Überzählige Tiere werden wieder in anderen Regionen angesiedelt. Das ist Teil einer Doppelstrategie des „Life Lince“ Projekts: Mitarbeiter begannen, Tiere einzufangen. Sie wurden zur Gründung neuer Familien in andere Regionen gebracht, in denen ausreichend Kaninchenfutter existierte.

Bevor man ein Luchspärchen in seiner neuen Umgebung aussetzt, steckt man es zusammen in ein Gehege, um zu sehen, wie die Tiere miteinander auskommen. (Meistens klappt es.) Der zweite Teil ist schwieriger: In Gefangenschaft geborene Jungtiere werden in freier Wildbahn ausgesetzt. Diese jungen Luchse haben nie gelernt, wie man jagt – in Freiheit ist das sonst ein elementarer Teil der familiären Erziehung. Dennoch sind erste Ergebnisse Erfolg versprechend. Vergangenen Monat wurden die ersten in Gefangenschaft geborenen Luchse in die ­­­­­­­­­Wildnis entlassen, und nach ihrem Bewegungsradius zu urteilen (ermittelt durch Funksender an ihren Halsbändern), gedeihen sie gut.

Bis zu diesem ersten Erfolg war es ein langwieriges Unterfangen, bei dem nicht alles nach Plan verlief. Der Ausbruch einer Nierenkrankheit auf einer Aufzuchtfarm im vergangenen Jahr kostete viele Tiere das Leben und schürte Befürchtungen, die Wiederansiedelung müsse gestoppt werden. Doch das Problem wurde gelöst. In diesem Monat haben die Weibchen geworfen. Eine neue Generation iberischer Luchse wird für die Auswilderung herangezogen.

Die Arbeit des Projekts zeigt unterdessen auch schon Wirkung auf die Menschen. Im Berghotel Los Pintos, dort, wo die Mitarbeiter des Projekts jeden Morgen frühstücken, sind zu dieser Jahreszeit viele Jäger und Wanderer unterwegs. In diesem Jahr gesellen sich erstmals mit Feldstechern bewaffnete Touristen zu ihnen. Sie haben die berechtigte Hoffnung, einen iberischen Luchs zu Gesicht zu bekommen.

Robin McKie ist Autor des ObserverÜbersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Robin McKie | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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