Co-Housing Keine Kommune – und trotzdem eine Gemeinschaft. Im britischen Springhill experimentieren Familien, Paare und Alleinstehende mit einer neuen Form des Zusammenlebens
Die Spätnachmittagssonne leuchtet über einer autofreien Straße, die von Fachwerkhäusern gesäumt wird. Eine Gruppe von Müttern sitzt draußen auf Bänken. Die Frauen unterhalten sich und sehen ihren Kindern beim Spielen auf dem angrenzenden Rasen zu. Hin und wieder kommt jemand von der Arbeit nach Hause und stellt sich auf einen kurzen Schwatz dazu. Später wird in einem der Häuser eine Glocke läuten, der alle folgen werden, um gemeinsam zu Abend zu essen.
Dieser Ort scheint weit entfernt vom Großbritannien des Jahres 2010. Er wirkt eher wie ein skandinavisches Dorf oder ein Überbleibsel des Landlebens im 19. Jahrhundert. Tatsächlich handelt es sich aber um Großbritanniens erfolgreichstes gemeinschaftliches Wohnprojekt:
nprojekt: Springhill in Stroud, in der Grafschaft Gloucestershire, Heimat für 85 Bewohner, vom Säugling bis zum Rentner. Springhill ist weder ein Kibbuz noch eine Kommune, sondern eine Anlage mit 35 Wohnungen, die von Häusern mit fünf Schlafzimmern bis zu Ein-Raumwohnungen reichen und von einer Reihe von Familien, Paaren und Alleinstehenden bewohnt werden. Neben der eigenen Wohnung und dem eigenen Gärtchen gibt es für alle das sogenannte Gemeinschaftshaus, in dem die gemeinsamen Mahlzeiten eingenommen werden und einen großen Garten mit einem großartigen dreistöckigen Baumhaus, einem Hühner-Gehege und einem Gemüsebeet.„Eigentlich ist das hier nichts weiter als eine Nachbarschaftsgemeinschaft, wie es sie früher einmal gab, ohne Autos, dafür aber mit einem Gemeinschaftssaal, in dem wir uns regelmäßig zusammenfinden“, sagt die 40-jährige Jo Bryden, deren Söhne Ciaran, 10 Jahre, Sean, 7 Jahre, und Malachy, 16 Monate, draußen den Sonnenschein genießen.„Mein Mann und ich sind vor sechs Jahren hierher gezogen. Wir haben uns sofort wohl gefühlt, obwohl wir vorher noch nie in einer Kommune gelebt haben. Hier hat man seine Privatsphäre, wenn man für sich sein will und immer auch andere Leute um sich, falls man das gerade lieber möchte. Vor allem für die Kinder ist es großartig. Sie können einfach auf die Straße und in den Garten raus und dort sind immer andere Kinder, mit denen sie spielen können. Im Sommer sind sie die ganze Zeit über draußen, aber auch im Winter ist es hier toll, denn dann können sie im Gemeinschaftshaus spielen oder sich dort einen Film ansehen.“Die Siedlung sei großartig, wenn man kleine Kinder habe, meint auch die 45-jährige Sarah Lunnon. Ihre sind vier, 12 und 13 Jahre alt. Es seien immer auch andere Eltern da, mit denen man sich unterhalten kann, sagt sie. Die älteren Kinder könnten sich im Gemeindehaus treffen, wenn sie Abstand von den Eltern brauchen. „Vor allem aber sind die gemeinsamen Mahlzeiten eine großartige Sache: An vier Abenden in der Woche braucht man nicht selbst zu kochen, wenn man nicht möchte. Die Regel lautet, dass jeder einem Plan folgend mindestens einmal im Monat kochen muss. Es ist aber kein schlechtes Geschäft, für jedes Mal, das man selber kocht, 15 Mal bekocht zu werden.“Sarah kam 2003 aus einem walisischen Reihenhaus nach Springhill. „Mir gefiel besonders, dass es hier keine Autos gibt. Viele Leute, die hier wohnen, haben zwar eins, stellen es aber im Parkhaus hinter dem Gemeinschaftshaus ab, nicht vor ihrem eigenen. Ich finde es auch großartig, dass man hier seine Nachbarn so gut kennenlernt. Mit manchen Leuten entwickelt sich ein sehr enges Verhältnis, zu anderen wahrt man mehr Abstand, unterhält sich aber hin und wieder gern mit ihnen. Wir alle teilen diese Vorstellung davon, wie wir zusammenleben wollen. Ich glaube, das ist entscheidend.“Nie einsamDie 73-jährige Felicity Warden kam vor ungefähr fünf Jahren nach Springhill. Sie lebt allein, ist aber nie einsam. „Die gemeinsamen Mahlzeiten sind etwas Wundervolles für einen alleinstehenden, pensionierten Menschen wie mich. Ich muss nicht für mich allein kochen und habe interessante Menschen, mit denen ich mich unterhalten kann. Das ist eine wesentlich natürlichere Art zu leben als allein in einer Straße, in der man niemanden kennt.“Die Idee, Springhill zu gründen, hatte David Michael, ein Grundstücksentwickler, der nun selbst mit seiner Frau Helen in einem der Häuser mit fünf Schlafzimmern wohnt. Vor kurzem sind die beiden erwachsenen Töchter ausgezogen und die Gemeinschaft hilft den Eltern, mit der neuen Lebenssituation zurecht zu kommen. Helen sagt, sie habe nicht gedacht, welch großen Verlust es für sie bedeuten würde, ohne die Mädchen zu leben und dass ihr die vielen Nachbarskinder, die oft ihre Küche bevölkern, sehr helfen, über den Verlust hinwegzukommen.David wurde bei seiner Vision für Springhill durch die beiden kalifornischen Architekten Katie McCamant und Chuck Durrett inspiriert, die sich selbst als die Begründer der Co-Housing-Bewegung bezeichnen. Die beiden stießen vor 25 Jahren in Dänemark auf diese Form des Wohnens, dort gibt es inzwischen 450 solcher Projekte. Sie waren erst vor Kurzem in Großbritannien, um Werbung für ihre Idee zu machen und sind der festen Überzeugung, dass das Springhill-Modell in ganz Großbritannien Anklang finden könnte. Dreißig kleine Co-Housing-Initiativen kamen kürzlich zu einem Erfahrungsaustausch zusammen.Privatssphäre und GemeinschaftWenn es stimmt, dass 84 Prozent aller Briten ihre Nachbarn nicht kennen und mittlerweile jeder dritte allein lebt, könnte das Modell Schule machen. „Das ist die Zukunft, und immer mehr Menschen beginnen dies zu verstehen“, sagt Chuck. „Immer mehr Leuten wird klar, dass Familien seltener zusammenleben, dass Kinder kilometerweit mit dem Auto zu einem Spielkameraden gefahren werden, dass die einzelnen Familieneinheiten zu isoliert voneinander sind. Die Lösung besteht für uns stets in der Gewährleistung, dass die Bewohner sowohl Privatsphäre als auch die Gelegenheit zur Gemeinschaft haben. In Wahrheit geht das leichter als viele Menschen glauben wollen. Wenn eine neue Gruppe sich zusammentut, liegt es an ihr, ihre Vision in die Tat umzusetzen. Co-Housing kann alles sein, was man selbst möchte, vorausgesetzt man findet einen Konsens und die Finanzierung ist gesichert.“In Stroud kaufte David Michael das Grundstück mit Hanglage, zehn Minuten zu Fuß vom Stadtzentrum entfernt, und verkaufte die einzelnen Häuser noch vor Baubeginn zum Selbstkostenpreis. Häuser mit drei Schlafzimmern kosteten ursprünglich 145.000 Pfund. Wenn sie heute auf den Markt kommen, bringen sie 300-400.000 Pfund ein, aber das passiert nicht häufig. Es habe von Anfang an großes Interesse gegeben, erzählt David.Die Bewohner bezahlen je nach Größe ihrer Wohnung eine monatliche Gebühr zwischen 10 und 50 Pfund für das Gemeindehaus und den gemeinsamen Garten. Wenn jemand sein Haus verkaufen möchte, wird den neuen Interessenten die Philosophie von Springhill zuvor ausführlich erläutert. „Wir laden sie ein, mit uns zusammen zu essen, so dass sie sich ein Bild machen können, wie es bei uns zugeht.“ Neuankömmlinge sind auch dazu verpflichtet, 0,5 Prozent des Kaufpreises in einen Fonds einzuzahlen, der dem Erhalt des Geländes dient und sie müssen eine Vertragsurkunde unterzeichnen, um zu bestätigen, dass sie mit den Prinzipien des Co-Housing übereinstimmen.Chuck sagt, seine mittlerweile 18-jährige Tochter Jessie habe sehr davon profitiert, in dem Co-Housing-Projekt aufgewachsen zu sein: „Sie ist so umgänglich und kommt mit allen möglichen Leuten klar, weil sie in einer so großen Gemeinschaft groß geworden ist.“"Manchmal treiben sie einen in den Wahnsinn"Tatsächlich seien es aber die gestressten Berufstätigen – jene Menschen, die glauben, nie wirklich fünf Minuten für einen ältern Nachbarn entbehren zu können – die am meisten von dem Miteinander profitieren können. „Neulich machte ich mich auf den Weg zur Arbeit. Ich hatte viel zu tun und war bereits gestresst, als ich losging, weil ich meine Schlüssel nicht finden konnte. Als ich losging, blickte ich über die Straße und sah meine alte Nachbarin auf der Terrasse sitzen. Ich konnte nicht einfach so vorbeigehen, also plauderte ich ein wenig mit ihr, obwohl mir eigentlich überhaupt nicht danach war. Die fünf Minuten, die ich mit ihr verbrachte, haben meinem Tag wieder ins Gleichgewicht gebracht, nicht ihren. Als ich mich von ihr verabschiedete, hatte unsere kleine Unterhaltung uns beiden gut getan, und das ist es, worum es beim generationenübergreifenden Zusammenleben geht.“Gibt es denn auch Nachteile? „Oh ja, selbstverständlich“, sagt Katie und lacht. „Das ist nicht das Paradies. Manchmal treiben dich die Leute in den Wahnsinn. Sie kommen in die Anwohnerversammlungen und wollen deine genialen Ideen einfach nicht verstehen. Man hat das Gefühl, alles alleine machen zu müssen, währen die anderen keinen Finger krumm machen. Aber das ist das echte Leben! Mir ist das hier trotz aller Unvollkommenheiten allemal lieber als die Alternative, wo man kaum weiß, mit wem man Tür an Tür wohnt.“
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