Nur ein Auktionator mag jede Art von Kunst

Kultur Ein britisches Opernhaus versteigert seine Vermögenswerte, um der Krise trotzen zu können. Die Ungleichheit im Betrieb wird so deutlich wie nie
Ausgabe 42/2020
Ginge es nach dem Royal Opera House, soll dieses Porträt Sir David Websters von David Hockney beim Auktionshaus Christies für 18 Millionen Pfund über den Tisch gehen
Ginge es nach dem Royal Opera House, soll dieses Porträt Sir David Websters von David Hockney beim Auktionshaus Christies für 18 Millionen Pfund über den Tisch gehen

Foto: Stuart C. Wilson/Getty Images

Ganz ehrlich, ich hätte nicht gewusst, dass das Royal Opera House in London einen Hockney besitzt. Hockneys Porträt von David Webster, dem Leiter des Hauses von 1945 bis 1970, könnte die Rettung der Institution sein, die Covid-19 an den Rand des Zusammenbruchs gebracht hat. Bald schon wird das Gemälde bei Christie’s versteigert. Das Auktionshaus hofft auf bis zu 18 Millionen Pfund Erlös. „Eine wirklich harte Entscheidung“, sagte Alex Beard, der Geschäftsführer des Royal Opera House gegenüber dem Observer. „Aber wir müssen uns dieser Situation stellen, und wenn wir unsere Existenz sichern und diese Sache durchstehen, können wir in Zukunft wieder Menschen beschäftigen.“

So sieht es nun also aus: Jobs oder Vermögenswerte. In diesem speziellen Fall würde sich wohl jeder frühere Chef des Hauses aus dem Grab erheben und sagen: „Natürlich solltest du das verdammte Porträt verkaufen.“ So traurig es ist, da das Bild Teil der Geschichte des Opernhauses ist: Die schlechten Zeiten sind da, in denen es dazu beitragen kann, die eigentliche Opern- und Ballettarbeit des Hauses und seine Rolle als wichtiger kultureller Arbeitgeber zu sichern.

Was Anlass zur Sorge gibt, ist nicht so sehr dieser spezielle Verkauf, sondern die größere Geschichte dahinter. Erstens die Tatsache, dass das Royal Opera House überhaupt ein solches Werk besitzt. Hier stellt die Pandemie einmal mehr die Ungleichheit zwischen den Kultureinrichtungen in Großbritannien in all ihrer Hässlichkeit bloß. So manche regionale Theaterkompanie würde sich gerade wohl wünschen, sie hätte einen Hockney auf dem Dachboden.

Das zweite Problem ist der Präzedenzfall, den der Verkauf des Hockney in einer Zeit schafft, in der das wirtschaftliche Missverhältnis zwischen dem öffentlichen Raum einerseits und privatem Kapital andererseits so extrem ist. Diese Kluft wird besonders deutlich am oberen Ende des Kunstmarktes, wo nur noch die Superreichen Zugriff auf Kunstwerke haben, die für fantastische Summen verkauft werden. Kein Wunder, dass im Zuge der Finanzkrise 2008 viele Verantwortliche in den Kommunen glänzende Augen bekamen, als ihnen klar wurde, für wie viel Geld sich Kulturgüter verhökern lassen.

Die Royal Academy of Arts in London soll von Mitgliedern kürzlich dazu aufgefordert worden sein, ihren „Michelangelo Tondo“ zu verkaufen – eine bemerkenswerte Skulptur, die der Institution 1829 übergeben wurde. Der Verkauf könnte alle finanziellen Probleme auf einen Schlag lösen, nicht nur die durch Covid-19 verursachten, und 150 Arbeitsplätze retten. Michelangelos Taddei Tondo ist jedoch kein Asset. Es ist Teil des kulturellen Erbes der Institution, und für dieses Erbe trägt sie die Verantwortung.

Wer sind die Gewinner bei all dem? Natürlich die Auktionshäuser und die globalen Superreichen, die jetzt ein frisches Angebot an Werken in Museumsqualität haben, das sie ernten und in ihren Villen oder Banktresoren bunkern können. Als ich Hockney fragte, was er vom Verkauf seiner Werke halte, bot er zwei Zitate von Oscar Wilde an: „Nur oberflächliche Menschen urteilen nicht nach dem äußeren Schein. Das wahre Geheimnis der Welt ist das Sichtbare, nicht das Unsichtbare“, war das erste. Ich habe es als Erinnerung daran verstanden, dass der wahre Wert eines Kunstwerks nicht sein Marktwert ist, sondern die Qualität dessen, was man anschauen und betrachten muss. Der zweite Wildeismus lautete: „Die einzige Person, die jede Art von Kunst mag, ist ein Auktionator“, ein Aperçu, das keiner Erklärung bedarf.

Charlotte Higgins leitet das Kulturressort des Guardian in London

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Geschrieben von

Charlotte Higgins | The Guardian

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