Nur noch eine Schachfigur?

Syrien Auch in seiner jüngsten Rede hat Staatschef Bashar al-Assad die für ihn typische passiv-aggressive Haltung gezeigt und erneut vage Reformen versprochen

Verbohrtheit, Verachtung, Selbstmitleid, eine Neigung, chaotische Zustände herbeizuführen. Seit die Demonstrationen in Syrien begannen, hat Bashar al-Assad, der das Amt nie wollte und sich in ihm als äußerst unfähig erwiesen hat, all diese charakterlichen Schwächen an den Tag gelegt. Seine geistige Verfassung gewinnt mit der Verschärfung der nunmehr neunmonatigen Krise immer mehr an Bedeutung. Kritiker sprechen davon, der Präsident sei isoliert und habe den Kontakt zur Wirklichkeit verloren. Andere sagen, er sei nur noch Schachfigur oder sogar lediglich die Geisel mächtiger Verwandter und einflussreicher Militärs. Auf jeden Fall macht er nicht den Eindruck, als würde er sich in seinem Job wohl fühlen.

Wie die Wahrheit auch immer aussehen möge – angesichts von 5.000 Toten, die ihm zur Last gelegt werden, der mittlerweile nicht nur von den USA und Europa, sondern auch von arabischen Führern gestellten Forderung nach seinem Rücktritt und der nicht mehr unwahrscheinlichen Möglichkeit eines Zusammenbruchs des Systems muss der Druck, der auf Assad lastet, nahezu unerträglich groß sein. Doch welche Möglichkeiten stehen ihm offen?

Eine Flucht

Sollte die Lage für ihn unbeherrschbar werden, könnte er sich aus dem Staub machen wie vor ihm schon das erste „Opfer“ des Arabischen Frühlings, Tunesiens Ex-Präsident Ben Ali. Jener machte sich auf nach Saudi Arabien – ein beliebter Zufluchtsort für vertriebene Diktatoren wie Jemens Ali Abdullah Saleh. Würde Assad nach Riad fliehen, wäre das für die Saudis (die ihn nicht mögen) zwar recht unangenehm. Wenn es aber zu einer Stabilisierung der Region beitragen würde, könnte es ihnen das wert sein.

Als Alternative stünden Assad noch sein langjähriger Verbündeter Iran und vielleicht sogar Russland zur Verfügung, das sein Regime beharrlich gegen internationale Kritik abgeschirmt und in einem Akt der Solidarität Kriegsschiffe in den syrischen Hafen von Tartus entsandt hat. Sollte er das Weite suchen, wird er sich auch Gedanken über seine in Großbritannien geborene Frau Asma und die drei Kinder machen müssen. Wenn Asma zu ihrer Familie nach Acton, West London, zurückkehren will, könnte dies in Großbritannien für interessante Kopfschmerzen diplomatischer und sicherheitspolitischer Natur sorgen.

In seiner Rede betonte Assad allerdings, dass er nirgendwo hingehen werde. „Ich bin keiner, der vor seiner Verantwortung davonläuft. Ich bekleide diese Position, weil das Volk mich unterstützt. Wenn ich gehen sollte – dann, weil das Volk dies verlangt.“

Weiter kämpfen

Der gegenwärtige Umgang mit der Krise folgt streng dem Vorbild von Assads verstorbenem Vater Hafez. Als der 1982 einen Aufstand in Hama niederschlagen ließ, sollen nahezu 10.000 Menschen zu Tode gekommen sein. Der entscheidende Unterschied besteht – zumindest bislang – darin, dass die brutale Repression keine Wirkung zeigt und der Aufstand sich nicht nur auf eine Stadt beschränkt. Unterstützt von Deserteuren gehen die Oppositionellen im ganzen Land zunehmend zum bewaffneten Widerstand über. Assads Behauptung, sie erhielten Unterstützung aus dem Ausland, lässt sich nur schwer beweisen.

„Die Situation in Syrien bewegt sich auf einen Krieg entlang religiöser und ethnischer Linien zu. Dies muss verhindert werden“, warnte der türkische Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan diese Woche und sprach damit eine Befürchtung aus, die in der ganzen Region wie auch im Westen geteilt wird. Sollte die Tötung von Zivilisten unvermindert anhalten und Assad die Situation nicht unter Kontrolle bringen, gerät die Beobachtermission der Arabischen Liga in Misskredit und wird möglicherweise zurückgezogen. Dies wiederum würde unmittelbar Schritte des UN-Sicherheitsrates nach sich ziehen, die in eine Intervention nach libyschem Vorbild münden könnten.

Obwohl sein brutales Vorgehen bislang keinen erkennbaren Erfolg gezeitigt hat, gab Assad in seiner Rede zu verstehen, dass er seine Taktik nicht ändern werde, und zeigte auch dabei gewisse Anzeichen der Verdrängung der Realität: „Niemand wird gedeckt und es gibt keine Befehle an irgendjemanden, das Feuer auf Zivilisten zu eröffnen“, sagte er. Sein Ziel bestehe darin, die Ordnung wieder herzustellen und dies könnte nur dadurch erreicht werden, „dass die Terroristen mit eiserner Faust getroffen werden …. es gibt keine Toleranz für den Terrorismus und jene, die Waffen in die Hand nehmen, um zu töten …

Eine Verhandlungslösung?

Assad machte zum wiederholten Mal Versprechungen, er werde Reformen einleiten, die auch ein Verfassungsreferendum über ein Mehrparteiensystem im März umfassen. Nachdem er es aber über Jahre hinweg versäumt hat, ähnlich lautende Versprechungen einzuhalten, ist es um seine Glaubwürdigkeit bei den meisten, wenn nicht allen Syrern nicht besonders gut bestellt. Sollte er die Einleitung eines wirklichen Wandels versuchen, könnte er von anderen Mitgliedern des Regimes abserviert werden, besonders von seinem hartgesottenen Bruder Maher, dem mächtigsten Mann in Syriens Sicherheitsapparat, dem eine Hauptverantwortung für die Toten der letzten Monate zugeschrieben wird.

Assad hat auch die Brücken zu den führenden arabischen und westlichen Staaten abgebrochen, einschließlich der USA und Großbritanniens. Die hatten, als er im Jahr 2000 die Regierungsgeschäfte von seinem Vater übernahm, einmal große Hoffnungen in ihn gesetzt . Jetzt sehen sie genau wie der große Nachbar Türkei keine andere Alternative mehr für ihn als zurückzutreten. Ironischerweise könnte ausgerechnet Israel eines der wenigen Länder sein, die es um der Stabilität willen vorziehen, dass er im Amt bleibt. Sollte die Alternative zu Assad in einer antiwestlichen, sunnitischen Regierung bestehen, könnten auch die USA und der Irak insgeheim hoffen, dass es Assad gelingt, sich an der Regierung zu halten.

Möglicherweise könnte alles nach ägyptischen Vorbild ablaufen: Assad wird wie Mubarak gestürzt und symbolisch vor Gericht gestellt, während das Regime selbst in Gestalt von Armee und anderen mächtigen Insider-Gruppen weitgehend intakt bleibt. Die Revolution scheint von Erfolg gekrönt, die Gewalt geht zurück und es gibt eine große Feier, auch wenn sich eigentlich nicht wirklich viel geändert hat.


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Geschrieben von

Simon Tisdall | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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