Nur noch ohne Filter

China Google will nicht länger mit den chinesischen Zensurbehörden kooperieren. Geht es dem Suchmaschinen-Riesen dabei ums Prinzip, ums Image – oder doch mal wieder nur ums Geld?

Während chinesische Internetnutzer gestern Kränze vor der Google-Zentrale in Beijing niederlegten, dürften beim größten chinesischen Suchmaschinenbetreiber Baidu hingegen die Sektkorken geknallt haben. Googles Entscheidung, nach der Enthüllung von Hacker-Attacken auf die E-Mail-Konten chinesischer Menschenrechtsaktivisten seine Suchergebnisse nicht mehr zu filtern bzw. zu zensieren, wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit Baidus Kontrolle über den weltweit am schnellsten wachsenden Internet-Markt zementieren. Wer diesen beherrscht, muss mit den staatlichen Behörden zusammenarbeiten. Die chinesische Regierung hatte den Launch von Google.cn 2006 an die Bedingung geknüpft, dass bestimmte Seiten – wie etwa die bestimmter Menschenrechtsgruppen oder Hintergründe zum Massaker auf dem Platz des himmlischen Friedens – herausgefiltert werden.

Während der Schritt von Gruppen begrüßt wurde, die für Meinungs- und Redefreiheit eintreten, warfen geschäftsorientierte Kritiker dem Unternehmen vor, einen schweren strategischen Fehler begangen zu haben. „Das ist der dümmste Fehler in ihrer Firmengeschichte“, äußerte sich Tang Jun, der frühere Geschäftsführer von Microsoft China, gegenüber Eastday.com. „China aufzugeben bedeutet, die halbe Welt aufzugeben.“

Der Aufkündigung des „Paktes mit dem Teufel“, den viele Unternehmen eingehen, die in China Geschäfte machen wollen, dürfte aber bestimmt eine Analyse der Kosten zugrunde gelegen haben, bei der sowohl der Markenwert als auch der Profit berücksichtigt wurden.

Finanziell hat sich das Herausfiltern politisch sensibler Themen für Google.cn nicht bezahlt gemacht. Während der chinesische Internetmarkt sich auf 338 Millionen Menschen vergrößert hat, wurde das Geschäft für Google in China durch Konflikte mit den Zensurbehörden und unfaire Wettbewerbsbedingungen behindert. Über Guge, wie das Unternehmen im Land selbst genannt wird, laufen 12 bis 17 Prozent der Anfragen und es erzielt 33 Prozent der Gesamteinnahmen des chinesischen Suchmarktes. Auf Baidu entfällt nahezu der gesamte Rest.

Rückzugsgerüchte kursieren bereits seit September

Während die 800 Google-Beschäftigten in China nun wohl ihre Arbeitsplätze verlieren werden, dürften die Auswirkungen auf die Gesamteinnahmen des Unternehmens mit ein oder zwei Prozent wohl eher gering ausfallen, was bei manchen zu Zweifeln führte, ob die Gründe für den Rückzug des Unternehmens wirklich im Kampf für die Redefreiheit liegen. Gerüchte über den Rückzug kursierten bereits seit September, als der Chef von Google-China, Kai-Fu Lee, das Unternehmen verließ, um sich selbstständig zu machen.

Mehrere weitere amerikanische Internet-Unternehmen, einschließlich Ebay und Yahoo, haben sich bereits aus dem Staub gemacht oder ihre Strategien geändert, nachdem die Versuche, ihre chinesischen Rivalen herauszufordern, gescheitert waren. Wenn Google nun aufgrund seines konfrontativen Kurses aus dem Markt gedrängt wird, könnte es verlorene Glaubwürdigkeit wiedergewinnen.

Kaiser Kuo, Berater bei der Video-Tauschbörse Youku sagte über Googles Entscheidung: „Zunächst wirkt es wie eine scheinheilige Nebelkerze, die von den wahren Gründen des schmählichen Rückzugs ablenken soll. Aber ich glaube, da steckt mehr dahinter. Google mag zwar nur einen geringen Marktanteil haben, aber auch der ist nicht zu verachten.“ Analysten gehen davon aus, dass der Rückzug langfristig auch dem Binnenmarkt schaden wird. „Wenn Google geht, wird Baidu der einzige Gigant auf dem Suchmaschinenmarkt bleiben und ein monopolisierter Markt kann nicht gesund sein“, sagte Cao Junbo, Chefanalyst bei I-Research.

Googles Schritt wirft auch ein schlechtes Licht auf diejenigen Unternehmen, die mit den Zensurbehörden zusammenarbeiten. „Auch wenn der Marktanteil von Google nicht besonders groß ist, wäre der Weggang des Unternehmens nicht gut für China, denn er beschädigt das Image und die Glaubwürdigkeit der Internet-Industrie“, meint der Medienwissenschaftler Hu Yong.

Kein Kommentar vom Konkurrenten Baidu

Baidu wollte das Schicksal seines Konkurrenten nicht kommentieren und ließ lediglich wissen, man beabsichtige nicht, Googles Beispiel zu folgen und sich mit den Zensurbehörden anzulegen. „Baidu wird sich stets am chinesischen Recht orientieren“, erklärte ein Sprecher. Das machen auch Yahoo, Microsoft und Cisco. Menschenrechtsorganisationen hoffen aber, die Hacker-Enthüllungen Googles und seine Konfrontation mit der Zensur könnten ein Zeichen setzen.

„Dies ist ein Weckruf für die internationale Gemeinschaft. Jetzt kann jeder sehen, welche Risiken es birgt, Geschäfte in China zu machen, insbesondere im Telekommunikationssektor, der für den Schutz von Meinungsfreiheit und Datenschutz von zentraler Bedeutung ist“, sagte die Geschäftsführerin von Human Rights Watch in China, Sharon Hom.

Der digitale Freitag

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Übersetzung: Holger Hutt
Geschrieben von

Jonathan Watts, The Guardian | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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