Oase der fehlenden Moral

Paradise Papers Die „Panama Papers“ waren nur eine bedauerliche Ausnahmeerscheinung? Wohl kaum. Der neue Leak wirft erneut Zweifel an der Finanzwelt auf
Hamilton – ein sicherer Hafen für die Superreichen, in dem es reichlich zwielichtig zugeht
Hamilton – ein sicherer Hafen für die Superreichen, in dem es reichlich zwielichtig zugeht

Foto: imago/Nature Picture Library

Die meisten Leute verstehen nichts von Offshore-Steuersparmodellen. Das brauchen sie auch nicht, weil sie nicht genug Geld haben, um diese Steueroasen zu nutzen. „Normale“ und Offshore-Welt haben jahrzehntelang nebeneinander her existiert, schön getrennt von der Geheimhaltung, die weiter eine wichtige Attraktion der Branche ausmacht.

Geheimhaltung– und inkonsequente Kontrolle – haben dem Sektor gute Dienste geleistet. In den vergangenen 40 Jahren ist die Zahl der ausländischen Steuerparadiese exponentiell angewachsen; in den 70ern boten sie Einzelnen die Möglichkeit, ihr Geld vor korrupten und verbrecherischen Regierungen in instabilen Ländern zu verstecken, oder ermöglichten es Banken, Geld zu verschieben, um Währungsfluktuationen zu vermeiden.

Später wurden die Offshore-Finanzplätze bevorzugter Investitionsort für die Reichen und Berühmten, die legale, aber Steuern sparende Investitionsmöglichkeiten für ihren Reichtum suchten. Die Branche wuchs und es gab wenig politischen Ehrgeiz zu untersuchen, was dort vor sich ging.

Legalität ist nicht der Punkt

Das änderte sich mit der Veröffentlichung der Panama Papers im April vergangenen Jahres. Die Papiere bewiesen, dass einige der reichsten Menschen und Unternehmen der Welt ihr Geld in Firmen retten konnten, die nicht ihren Namen trugen, Luxusgüter und Immobilien erwerben oder in „Mittel“ investieren konnten, die ihre Steuerlast auf ein Minimum reduzierten. Das Meiste davon war komplett legal, aber das ist nicht der Punkt. Wie der damalige US-Präsident Barack Obama befand: „Das Problem ist, dass ein Großteil dieser Dinge legal ist, nicht illegal.“

Die Panama Papers warfen die grundlegende ethische Frage auf: Ist das fair? Mehr als elf Millionen Dokumente waren durch ein Leak aus der Offshore-Kanzlei Mossack Fonseca gesickert. Das panamaische Offshore-Unternehmen holte das Bestmögliche für seine Kunden heraus und vernachlässigte gleichzeitig seine vorschriftsmäßigen Pflichten, die Geldwäscher und korrupte Politiker daran hindern soll, ihr Geld beiseite zu schaffen.

Nach der Veröffentlichung der Informationen aus den Panama Papers in internationalen Medien begannen Politiker, Akademiker und die Finanzwelt die moralische Legitimität von ausländischen Steueroasen und ihre Überwachung ernsthafter zu diskutieren. Quer durch das politische Spektrum wurde größere Transparenz gefordert, letztlich aber nur kompromisshafte Regelungen erreicht. Vertreter der Branche versicherten, Mossack Fonseca sei eher die Ausnahme als die Regel. So argumentierte etwa der Branchenverband „International Financial Centres Forum“ (IFC), dass die britischen Überseeterritorien und Kronbesitze den „höchsten Regelungsstandards“ unterstünden. Mehr Transparenz würde nur zu mehr Geldwäsche führen und allein Kriminellen, NGOs und investigativen Journalisten etwas bringen, hieß es weiter.

Ein wichtiges Mitglied des IFC ist die Offshore-Kanzlei Appleby, die jetzt durch das Paradise Papers-Leak in der Kritik steht.

Appleby hat einen Ruf als renommiertes Unternehmen. Mit Büros weltweit gehört es zum „magischen Zirkel“ von Offshore-Kanzleien und wurde mehrfach als „Offshore-Firma des Jahres“ ausgezeichnet. Zu seinem Blue-Chip-Klientel gehören einige der reichsten Unternehmen und Privatkunden der Welt. Im vergangenen Jahr bezeichnete einer der Kanzlei-Partner Kritik an der Branche als unfair: „Nur weil Harold Shipman seine Patienten ermordet hat, würde man auch nicht alle Ärzte ins Gefängnis werfen.“ Dieser Vergleich muss sich jetzt daran messen, was das Datenleck zutage gebracht hat, das führenden internationalen Medien – darunter unter anderem Süddeutsche Zeitung, New York Times, BBC und Le Monde – Einblick in die Geschäftspraktiken der Kanzlei gewährt.

Die Papiere werfen erneut Zweifel an der Offshore-Industrie und ihren Regulierungsinstanzen auf. Zudem stellt sich die Frage, ob ihnen genug Aufmerksamkeit gewidmet wird. Die Akten zeigen zahllose rechtmäßige Möglichkeiten auf, mit denen die superreichen Kunden des Unternehmens ihre Steuern minimieren können: ungewöhnliche, teils verwirrend komplexe Methoden, die der ursprünglichen Philosophie des Offshore-Branche zuwiderlaufen, von Institutionen wie der Europäischen Kommission und der OECD verurteilt wurden und zunehmend für den Normalbürger inakzeptabel sind.

Zusätzliche politische Dimension

Im Vergleich zu den Panama Papers hat das neue Datenleck eine zusätzliche politische Dimension. In den Dokumenten berichtet der IFC von seiner einflussreichen „Durchdringung“ der britischen Regierung durch die Lobbyarbeit bei Ministern und Staatsbeamten. Der Verband rühmt sich, hinter den Kulissen dazu beigetragen zu haben, dass beim G8-Gipfel 2013 keine weitergehenden Maßnahmen für mehr Transparenz beschlossen wurden.

Appleby wollte sicher nicht mehr Transparenz. Intern hieß es, Veränderungen wären finanziell „extrem schmerzhaft“ für das Geschäft. Das offengelegte Lobbying ist insbesondere von Bedeutung, weil die Akten zeigen, dass Applebys Bermuda-Büro 2013 von der Finanzaufsichtsbehörde Bermuda Monetary Authority (BMA) geprüft wurde. In einem kritischen Bericht verwarnte sie Appleby in neun Bereichen und forderte, „mit hoher Prioriät“ Veränderungen umzusetzen. Bemängelt wurde etwa die Risikobeurteilung zur Vermeidung von Geldwäsche und Finanzierung terroristischer Gruppen.

Die Akten zeigen auch, dass Appleby nicht zum ersten Mal im Konflikt mit den Bestimmungen stand. Das Unternehmen wurde innerhalb von zehn Jahren bei zwölf vertraulichen Prüfungen auf der Isle of Man, den Cayman-Inseln, Bermuda und den British Virgin Islands wegen Nichteinhaltung von Vorschriften kritisiert.

Bestimmte Fragen werden nicht beantwortet

Zur gleichen Zeit also, als Appleby sich gegen größerer Transparenz in Steueroasen einsetzte und sie als unnötig und kontraproduktiv bezeichnete, hielt die Kanzlei ständig Standards nicht ein, die Kritiker sowieso für viel zu lax halten. In einem öffentlichen Statement erklärte Appleby, nach Prüfung aller Vorwürfe sehe die Kanzlei bei sich keine Fehler. Allerdings verweigerte sie die Antwort auf bestimmte Fragen, etwa über Kunden wie den Rohstoffkonzern Glencore und wie es ihm gelang, sich Bergbaurechte in der Demokratischen Republik Kongo zu sichern, einem der korruptesten und ärmsten Staaten der Welt.

Und was wusste Appleby wirklich über ein Unternehmensnetzwerk, das die Kanzlei fürdem angolanischen Präsidenten nahestehende Kunden aufgebaut hat, dem wiederholt Korruption und Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen wurden?

Die Dokumente bringen weitere beunruhigende Fakten ans Licht, darunter einen milliardenschweren Kunden, der als PEP – politisch exponierte Person – eingestuft war und daher besonders sorgfältig hätte geprüft werden müssen. Der betroffene Milliardär wollte ein Geschäft über Applebys Bermuda-Büro abwickeln. Die dortige Aufsichtsbehörde forderte aber eine schärfere Überprüfung ein, weil der Kunde auf einem wichtigen Formular irreführende Angaben gemacht hatte. Appleby schlug offenbar statt einer Überprüfung vor, den Antrag auf einem anderen Weg zu stellen, „wo nicht dieselben Probleme auftauchen“.

Die Dokumente zeigen, dass einige der Appleby-Partner die Sache problematisch sahen: „Das ist merkwürdig“, sagte einer. „Lasst mich aus der Gruppe heraus, für den Fall dass es etwas gibt, was ich nicht wissen sollte.“

Auch ein weiterer PEP, der seit 1984 Jahren Kunde der Firma war, wurde zum Problem. 2013 entdeckte Appleby, dass der Kunde nicht der war, wofür man ihn hielt. Er hatte offenbar Verbindungen zu einem Wissenschaftler, dem vorgeworfen wird, einer der Architekten von Saddam Husseins Nuklearwaffenprogramm zu sein, und sein Unternehmen soll Anfang der 1990er als Fassade für Saddam gedient haben.Als Appleby darauf aufmerksam gemacht wurde, reagierten die Manager mit Panik: „Gibt es irgendeinen Hinweis darauf, dass wir das schon einmal entdeckt haben? Wie kann es sein, dass wir das nicht früher wussten?“

Verstörende Vielfalt

Was aber am stärksten verstört, ist die ans Licht gebrachte Vielfalt und Art der Steuervermeidungsmodelle – zumindest, wenn man nicht zur Elite gehört, die sie nutzen. Von Möglichkeiten, Mehrwertsteuer auf Riesenyachten und Privatflugzeuge zu umgehen, bis hin zu Kopfschmerzen bereitenden, komplexen Strukturen, diemultinationalen Unternehmen dienen – das alles ist in den Akten zu finden.

2012 beschrieb der damalige britische Chancellor George Osborne einige Steuermodelle als „moralisch widerwärtig“. Der damalige Premierminister David Cameron nannte sie „nicht fair und nicht richtig“. In jüngerer Zeit waren sich beim Thema Steueroasen sogar US-Präsident Donald Trump und der Demokrat Bernie Sanders einig. Sanders traf einen Nerv, als er sagte, es sei Zeit, dass die größten Konzerne in den USA „ihren fairen Anteil an den Steuern zahlen, damit unser Land das nötige Einkommen hat, um Amerika wieder aufzubauen“. Trump blies ins gleich Horn und versprach, „Billionen von Dollar aus amerikanischen Unternehmen zurückholen, die im Ausland geparkt sind“. Peinlicherweise scheinen aber einige seiner Unterstützer und Geldgeber selbst an Offshore-Anlagemodellen beteiligt zu sein. Und die Paradise Papers zeigen, dass die amerikanische Geschäftswelt keine Eile hat, das Geld zurück nach Hause zu holen. Das Gegenteil scheint der Fall zu sein.

In Großbritannien kündigte das Wahlkampfprogramm der Konservativen „starkes Durchgreifen gegen Steuervermeidung und Hinterziehung“ an. Bisher ist noch nichts passiert. Labour hat eine öffentliche Untersuchung der Steueroasen-Problematik gefordert. Und Parteiführer Jeremy Corbyn provozierte kürzlich Theresa May: „Hält es die Premierministerin für akzeptabel, dass bei Steuern für die Superreichen andere Regeln gelten als für den Rest von uns?“

Dank des Leaks der Paradise Papers wird nun die Weltöffentlichkeit die Möglichkeit bekommen, das Geflecht an Plänen und Netzwerken zu prüfen und abzuurteilen, das Politiker inakzeptabel und vielegewöhnliche Bürger abstoßend und unfair finden.

Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Carola Torti
Geschrieben von

Nick Hopkins | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

The Guardian

Die Vielfalt feiern – den Freitag schenken. Bewegte Zeiten fordern weise Geschenke. Mit dem Freitag schenken Sie Ihren Liebsten kluge Stimmen, neue Perspektiven und offene Debatten. Und sparen dabei 30%.

Print

Für 6 oder 12 Monate
inkl. hochwertiger Weihnachtsprämie

Jetzt sichern

Digital

Mit Gutscheinen für
1, 6 oder 12 Monate

Jetzt sichern

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden