Obamas nobles Wortgefecht

Nobelpreisrede Auf den Pfaden Ciceros. Vieles, der US-Präsident hat in Oslo viel vom "Gerechten Krieg" erzählt. Mit Philosophie lässt sich aber kein politischer Widerspruch wegreden

Seit Obama Anfang Oktober den Friedensnobelpreis verliehen bekam, war er sehr darauf bedacht, seine Demut zu zeigen und zu erklären, ihm sei wohl bewusst, dass dieser Preis vielen anderen eher zustünde als ihm. Den Nobelpreis abzulehnen wäre keine Option gewesen. Und so hat Obama gestern in seiner Rede seine Selbstverteidigung fortgesetzt:

„Ich wäre nachlässig, wenn ich die beachtenswerte Kontroverse, die ihre großzügige Entscheidung hervorgerufen hat, nicht berücksichtigen würde. Zum einen rührt sie daher, dass ich am Anfang und nicht am Ende meiner Tätigkeit auf der Weltbühne stehe ... Doch der vermutlich entscheidende Streitpunkt, der meinen Empfang dieses Preises begleitet, ist die Tatsache, dass ich der Oberbefehlshaber einer Nation bin, die aktuell zwei Kriege führt.“

Das meiste, was er sagte, war erwartungsgemäß erhaben, philosophisch und auf einen menschlichen Unterton gerichtet. Aber Obama – den ich für einen überaus intelligenten Mann halte – wird diese Rede nicht gehalten haben, ohne sich ihrer Makel bewusst zu sein. Vieles was er sagte, entstammte wortwörtlich der Lehre vom „gerechten Krieg“. Sie besagt, dass manche Kriege gerecht sind, andere nicht.

Vor der Lehre vom gerechten Krieg gab es das Gottesgnadentum der Könige, das es diesen erlaubte, wann und wo immer sie wollten Kriege zu führen, denn sie mussten sich allein vor Gott verantworten. Die Lehre vom gerechten Krieg, wie Cicero und später Thomas von Aquin sie beschrieben, geht davon aus, dass der Mensch ein moralisch handelndes und denkendes Wesen ist, und als solches im Falle eines drohenden Krieges zwei Kriterien abwägen kann: „Jus ad bellum“ (Recht zum Krieg), die Frage, ob es hinlänglichen Gründe für den Krieg gibt, deren wichtigster ist, dass die Anwendung von Gewalt das letzte Mittel ist, und „jus in bello“, die Art der Kriegshandlungen in einem einmal begonnen Krieg. Zum Basiswissen der Politikwissenschaften gehört aber auch, dass es in vielen Kriegen durchaus beiden Seiten möglich ist, ihre Ansprüche mit dem Verweis auf die Tradition des gerechten Krieges zu begründen. In einem Zeitalter, in dem wir keine Clausewitzschen Kriege mehr führen, die zwischen den Armeen zweier offizieller Staaten ausgefochten werden, ist das immer häufiger der Fall. Kriege werden zunehmend zwischen inoffiziellen „Armeen“ geführt und Gruppierungen, deren Organisationsform sich dem klassischen militärischen Vokabular entzieht. In Afghanistan und im Irak haben wir es ohne Zweifel mit dieser neuen Sachlage zu tun. Wenn Präsident Obama diese Kriege auf irgendeiner theoretischen Grundlage rechtfertigt, dann muss ihm wohl bewusst sein, dass diese Verteidigung auch der anderen Seite offen steht.

Für Obama ist Amerikas Kampf gegen den Terrorismus ein gerechter Krieg für einen „gerechten Frieden“. Der Krieg hingegen, den die Terroristen im Namen des politischen Islam führen, sei ein Verrat am Glauben und an der Religion, denn „ein Heiliger Krieg kann niemals ein gerechter Krieg sein“ und „eine derart verzerrte Wahrnehmung der Religion ist nicht nur mit der Idee vom Frieden unvereinbar, sie widerspricht auch dem Grundsatz, der jeder Religion zugrunde liegt, dass wir andere so behandeln, wie wir selbst gerne behandelt werden.“ Soweit die zentrale Botschaft des Präsidenten. Er beleidigt damit seine eigene Intelligenz. Oder zumindest unsere.

Das also geschieht, wenn sich ansonsten intelligente Männer in eine schwierige Ecke gedrängt sehen. Letzte Woche veröffentlichte der International Herald Tribune einen Cartoon, der Obama mit der Nobelpreis-Medaille zeigte, wie er Geld und tote Körper in die Flammen Afghanistans schaufelt. Obamas eigentliche Aufgabe gestern war es, die philosophische Enttäuschung über seine Doppelfunktion als Empfänger der Nobelpreis-Medaille und als Feldherr zweier Kriege zu unterdrücken. Bei denen, die sich von der berauschenden Mischung aus kunstvollen und emotionalen Worten leicht beeinflussen lassen, ist er damit wahrscheinlich durchgekommen. Aber es kann kein Zweifel daran bestehen, dass seine Rede darauf abzielte, mittels politischer Philosophie einen Widerspruch wegzureden, den er noch einmal wird überdenken müssen.

In den USA haben viele den Vergleich zwischen Obama und Henry Kissinger gezogen: Beide sind Harvard-Absolventen, beide waren tief in zwei unbeliebte Kriege verwickelt und beide sind, selbstverständlich, Nobelpreisträger. Kissinger bekam ihn 1973 für seine Anstrengungen die USA aus Vietnam zurückzuziehen verliehen – ein Krieg, über den uns die Geschichte lehrt, dass er ganz anders war, als zu jener Zeit behauptet wurde. Es kann sein, dass wir dasselbe einst über Afghanistan sagen werden. Obama muss jeden einzelnen Tag dafür beten, dass dem nicht so sein wird. Eines können wir über Kissinger mit Gewissheit sagen: Die Welt machte sich keinerlei Illusionen über seine Ideologie. Im Falle Obamas kann man das leider nicht sagen.

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Übersetzung: Christine Käppeler
Geschrieben von

Ela Soyemi, The Guardian | The Guardian

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