Ohne sie kein Leben

Bienen Genmanipulierte Arten? Open Source? Konzerne und Imker streiten über die Zukunft der Insekten
Ausgabe 49/2018

Der Frühling 2008 hat Europas Honigbienen hart getroffen. Während der Maisaussaat mussten bestürzte Imker im süddeutschen Oberrheintal mit ansehen, wie ganze Bienenvölker umkamen. Millionen Bienen starben. Frankreich, die Niederlande und Italien berichteten von hohen Verlusten, aber in Deutschland erhielt der Vorfall die Dringlichkeit einer nationalen Krise. „Es war eine Katastrophe“, erinnerte sich Walter Haefeker, der deutsche Präsident des Europäischen Berufsimkerverbands. „Die Regierung musste Container entlang der Autobahn aufstellen, in die Imker die Bienenkörbe entsorgen konnten.“

Eine Untersuchung im Juli des gleichen Jahres kam zu dem Schluss, dass die Bienen in Deutschland an einer Massenvergiftung durch das Pestizid Clothianidin gestorben waren. Das von Bayer CropScience entwickelte Clothianidin gehört zu den Neonikotinoiden, den auch Neonics genannten Nervengiften, die besonders bei Insekten wirksam sind. In den Monaten vor der Bienen-Krise war es rheinauf und rheinab eingesetzt worden, um den Mais vor dem Maiswurzelbohrer zu schützen. Um das Nervensystem von Schädlingen wie diesem Blattkäfer zu zerstören, wurde Clothianidin entwickelt. Studien haben jedoch gezeigt, dass es auch Insekten wie die Europäische Honigbiene beeinträchtigt. Es stört den Orientierungssinn der Bienen und bringt ihre Fressgewohnheiten durcheinander. Zudem kann es die Fortpflanzungsanatomie der Königin verändern und Drohnen sterilisieren. Als die vergifteten Bienenkörbe sich häuften, zahlte Bayer zwei Millionen Euro in einen Entschädigungsfonds für die Imker in der betroffenen Region; ein Schuldbekenntnis aber blieb aus.

Das Bienensterben zwang die europäischen Landwirte zum Nachdenken. Viele Studien untersuchten die Sicherheit von Neonics und die Verbindung zum „Bienenvolk-Kollaps“, der Colony Collapse Disorder (CCD). Bei dieser Störung finden die Bienen-Arbeiterinnen nicht wieder in ihren Stock. Die Königin und deren jüngster Nachwuchs bleiben ungeschützt zurück und müssen sterben. Belege für einen Zusammenhang mit Neonics führten 2013 zu einer bemerkenswerten Entscheidung der Europäischen Kommission. Sie schränkte den Einsatz von Clothianidin, zwei weiteren wichtigen Neonics und damit den Einsatz der beliebtesten Pestizide der Welt ein. Im April dieses Jahres ging Europa noch einen Schritt weiter. Die EU-Kommission untersagte den Einsatz der drei Pestizide praktisch überall, außer in Gewächshäusern. Sie begründete das mit Belegen dafür, dass die Pestizide die Bestäubung von Erntepflanzen im Wert von 15 Milliarden Euro jährlich beeinträchtigen. Umweltschützer jubelten. Außerhalb Europas will manche Regierung dem Beispiel der EU folgen.

Ein süßer, aber kurzer Sieg

Walter Haefeker vom Imkerverband hat sich jahrelang gegen Neonics eingesetzt. So süß dieser Sieg war – die Freude währte kurz: Angesichts der vielfältigen Bedrohungen durch die Methoden der modernen Landwirtschaft ist den Imkern klar, dass ein Insektizid-Verbot allein nicht ausreicht, um die Bienen zu retten.

Honigbienen stammen aus Eurasien, es gibt sie seit rund 35 Millionen Jahren. Solange sie kontinuierlichen Zugang zu blühenden Pflanzen hatten, gediehen sie gut. Doch in der modernen Welt drohen ihnen diverse Gefahren. Der „Bienenvolk-Kollaps“ ist keine isolierte Störung; eher scheint es sich um eine Mischung aus verschiedenen Problemen zu handeln. Neben der Gefahr durch Pestizide können auch Krankheiten dem Immunsystem der Bienen gefährlich werden. Dazu bringt die industrielle Landwirtschaft ihre eigenen Bedrohungen mit sich: Der zwanghafte Anbau von Monokulturen lässt die Räume für die Nahrungssuche schrumpfen. Dazu kommt die Nutzung von Bienen für die kommerzielle Bestäubung. Wenn Bienenstöcke auf Lastwagen geladen durchs Land gefahren werden, um etwa Mandelbäume zu bestäuben, bedeutet das laut US-Umweltschutzbehörde EPA großen Stress für die Tiere. Das wiederum wirkt sich negativ auf ihre Widerstandskraft und ihre Essgewohnheiten aus.

Seit die EU den Einsatz von Neonics zu beschränken begann, haben sich die Bienen nicht so stark erholt wie erhofft. Neonics sind also wohl nicht der größte Faktor für das Bienensterben. Aber sie lassen sich am leichtesten verbieten. Die Landwirte halten das für eine große Ungerechtigkeit. Unter Berufung auf eine von der Industrie finanzierte Studie argumentieren sie, das Verbot koste den EU-Agrarsektor jährlich 880 Milliarden Euro an Ernteeinbußen.

Es gibt eine weitere – sehr umstrittene – Strategie gegen den Rückgang der Bienenpopulationen: der Plan, eine widerstandsfähige Honigbiene zu züchten – also eine genetisch veränderte Superbiene. Die Technologie steckt noch in den Kinderschuhen und ist bisher aufs Labor beschränkt. Würde sie erfolgreich weiterentwickelt, könnte eine zähere Bienenart entstehen, resistenter gegenüber den natürlichen und menschengemachten Bedrohungen, seien es Viren, Bienenbrutmilben oder Pestizide. Die Denke dahinter: Wenn wir die moderne Landwirtschaft nicht ändern können, dann sollten wir die Bienen ändern.

Für viele Bienenhalter, von Berufsimkern wie Haefeker bis zu passionierten Amateuren, ist das eine Horrorvorstellung. Sie betrachten die Labor-Superbienen als direkte Bedrohung für die kleineren, ums Überleben kämpfenden Arten. Die Angst und das Misstrauen traditioneller Züchter spiegelt sich in ihrem Namen für die genmanipulierten Honigproduzenten: Frankenbienen.

Wie viele Imker ist Haefeker Aktivist und Naturschützer. Einen Großteil der vergangenen 20 Jahre über hat er die Alarmglocken geläutet. Er vertrat die Sache der Bienen vor Abgeordneten in Brüssel, Berlin und München, vor Richtern am Europäischen Gerichtshof in Luxemburg, vor Investoren in London, bei Imkerkonferenzen in Istanbul, Österreich und Rom, bei Versammlungen der Agrochemie-Industrie.

Eine Woche nachdem die EU ihr Neonics-Verbot ausgeweitet hatte, war ich mit Walter Haefeker in Bayern, in einem Gasthof bei München, verabredet; ich ging davon aus, dass er in Feierlaune sein würde. Doch er sagte, er halte die Entwicklung genmanipulierter Bienen für eine noch größere Bedrohung in der Zukunft: „Ich gehe nicht davon aus, dass sie nächste Woche in den Verkauf gehen. Andererseits will ich nichts dem Zufall überlassen. Die Öffentlichkeit hat auf eine ganze Reihe schlechter Ideen ziemlich spät reagiert. Das soll in diesem Fall nicht passieren.“

Angenommen, es gelingt der Agrarindustrie, eine milbenfreie und gegen Pestizide immune Superbiene zu züchten, die zum Kassenschlager wird – dann könnten nicht nur etwa deren Stiche neue Allergierisiken bergen. Imker fürchten, nicht mehr in der Lage zu sein, den Genpool traditioneller Arten wie den der Europäischen Honigbiene gegen eine pestizidresistente, im Labor geschaffene Version zu schützen.

Ein ebensolches Laboratorium findet sich an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf – hier ist es stets wie in einem Bienenstock: 30 Grad warm und feucht. An einem Tag im Juni haben drei mit T-Shirt bekleidete Studierende die Morgenschicht übernommen. Schweigend untersuchen zwei von ihnen Honigwaben-Scheiben aus Plastik. Jede Scheibe enthält 140 winzige Einstecklöcher, in denen jeweils ein Honigbienen-Embryo heranwächst. Diese Scheiben geben sie an eine dritte Studentin weiter, die mit bemerkenswertem Geschick in jedes Ei eine Genmanipulationslösung spritzt, einen der Hauptbestandteile der revolutionären neuen CRISPR/Cas9-Methode zum Editieren von Genen.

Der Leiter des hiesigen Laboratoriums, Martin Beye, ist eine Größe im Bereich der Evolutionsgenetik. 2003 entdeckten er und seine Kollegen als Erste die Genvarianten, die das Geschlecht der Honigbiene bestimmen. Drei Jahre später decodierten Beye und ein internationales Biologenteam das Apis-mellifera-Honigbienen-Genom, ein Durchbruch, der das Feld der Bienenbiologie transformierte. Wissenschaftler haben nun Zugriff auf die Bienengesundheit bis zur Ebene der Chromosomen, was es ihnen etwa ermöglicht, genau zu analysieren, wie Krankheitserreger und Parasiten auf ihre Bienen-Wirte wirken. Genomik kann auch die Züchtung einfacher machen, weil sie die Markergene aufdeckt, die Bienenvölker gegen Stressfaktoren und Krankheit widerstandsfähiger machen. Als das Genom geknackt war, war es nur noch eine Frage der Zeit, bis die Wissenschaft eine Designer-Biene entwickeln würde. 2014 beanspruchte Beyes Laboratorium diesen Durchbruch für sich.

Die Injektionsmethode, mit der Beyes Team Pionierarbeit geleistet hat, ist mühevoll und risikoreich. Um das zu demonstrieren, winkt mich eine Studentin heran und lässt mich durch ihr Mikroskop sehen. Die schwache Kontur einer winzigen Nadel und die ihres Ziels, des Eis, treten in den Fokus. Vergrößert sieht das Ei aus wie ein glatter grauer Ballon, so ähnlich wie die Ballons, die Schausteller bei Kinderfesten gern zu Pudeln und Giraffen verknoten.

Pikst man im falschen Winkel, mit zu viel Druck oder einer unpräzisen Dosis in das Ei, zerplatzt es. Zudem muss die Injektion so erfolgen, dass sie keine Spuren hinterlässt. Wenn die Arbeiterbienen, penible Haushälterinnen des Stocks, auch nur im Entferntesten spüren, dass eine Puppe nicht perfekt ist, werfen sie sie aus dem Nest. Nur die Makellosen überleben.

Um die Erfolgswahrscheinlichkeit zu erhöhen, trennt Beyes Team die Embryos am Anfang von den Arbeitsbienen und brütet sie in einem künstlichen Stock aus. Erst 72 Stunden später werden die fittesten der modifizierten Larven in eine Königinnen-Aufzucht-Kolonie gebracht. Was dann folgt, entspricht der konventionellen Methode zur Aufzucht einer Königin. Die Forscher setzen die Larven in Zellen, gefüllt mit Gelée royale, der nährstoffreichen Mischung, die Larven zu sich nehmen, um Königinnen zu werden. Trotz aller Vorsichtsmaßnahmen lehnten die Arbeiterbienen im Schnitt drei von vier veränderten Larven ab. Doch die Überlebensrate war groß genug, um 2014 die Geburt der ersten genmanipulierten Honigbienen-Königin zu sichern.

Magenta auf den Flügeln

Mir wurden auch die genveränderten Königinnen gezeigt. Aus nächster Nähe wirkten sie kraftstrotzend, aber unauffällig. Die Forscher hatten die Königin auf dem Rücken, zwischen den Flügeln, mit einem magentafarbenen Zeichen markiert. In einem kleinen Bienenstock aus Holz, dessen Seiten für eine bessere Sicht aus Plexiglas gemacht waren, mischte sie sich unter die Arbeiterbienen. Laut Forschungsteam verhalten sich die Gen-Bienen nicht anders als andere Europäische Honigbienen. Die Königin und die Arbeiterinnen drängten sich auf jedem Zentimeter ihrer überfüllten Behausung zusammen; ab und zu statteten sie einem kleinen, mit Wasser gefüllten Becken einen kurzen Besuch ab. Nach etwa einer Woche sollte die Königin in einen Flugkäfig umquartiert werden.

Beyes Forschungsteam ist überzeugt, dass die Manipulation der Genome der Europäischen Honigbiene neue Erkenntnisse darüber bringt, was diese Spezies einzigartig macht. Sie versprechen sich Antworten auf viele Fragen: Welche Gene machen die Arbeiterinnen zu perfekten Pflegerinnen oder programmieren sie darauf, sich mit äußerster Gewissenhaftigkeit um den Nachwuchs zu kümmern? Warum sind die Bienen so gut zueinander? Ist dieser Instinkt, unermüdlich für das Wohl des Stocks zu arbeiten, erlernt oder genetisch?

Derweil hegen viele Imker den Verdacht, Beyes Labor werde von der Agrarindustrie finanziert.

„Ja, die Imkervereinigungen ...“, sagt Beye und schüttelt den Kopf, als könne er es immer noch nicht glauben. „Sie dachten, wir arbeiten mit Bayer zusammen. Ich meine, Bayer sitzt ganz in der Nähe, vielleicht 20 Kilometer von hier.“ Es gebe aber keinerlei Verbindung zu dem Chemiekonzern – er weist den Verdacht weit von sich.

Laut Beye und seiner Forschungskollegin Marianne Otte ist der Zweck ihrer Arbeit allein, die genetischen Grundlagen für das Verhalten und die Gesundheit der Bienen zu verstehen. Eine gegen Pestizide resistente Biene zu entwickeln, sei niemals das Ziel gewesen. Es sei auch „eine dumme Idee“, sagt Beye. Die Welt brauche keine Chemikalien-resistenten Bienen, sondern Landwirtschaftspraktiken, die den Bienen nicht schaden. „Daran sollten sie arbeiten. Nicht daran, Bienen zu verändern.“

Die Wahrheit ist aber, dass Beyes äußerst detaillierte Publikation quasi als Blaupause für den Bau einer Biene dient. Dank wissenschaftlicher Forschung wie dieser und der Entwicklung von Instrumenten wie CRISPR war es noch nie so günstig und einfach für einen Chemiekonzern, eine Superbiene zu entwickeln. Takeo Kubo, Professor für Molekularbiologie an der Universität von Tokio, war der zweite Wissenschaftler weltweit, der in seinem Labor eine genetisch veränderte Biene schuf. Er sagt, dass auch er sich auf Grundlagenforschung konzentriere und keine Verbindungen zur Agrarindustrie unterhalte. Anders als Beye begrüßt er jedoch die Aussicht auf genetisch veränderte Bienen, die über Felder und Wiesen fliegen. Künstlich hergestellte, pestizidresistente Arten könnten für Imker und Bauern die Lösung bringen, sagt er, die Forschung sei davon nur noch drei Jahre entfernt. „Ich bin 57“, schreibt er mir in einer E-Mail, „und völlig optimistisch, dass ich noch erleben werde, wie solche transgenen Bienen auf den Markt kommen!“

Noch ist es nicht erlaubt, genetisch veränderte Bienen auszuwildern, aber der private Sektor beobachtet die Entwicklung sehr genau. Ein US-Start-up hat Beyes Labor kontaktiert und ihm angeboten, bei der Kommerzialisierung seiner bahnbrechenden Forschungsergebnisse zu helfen. Beye lehnte ab.

Jene Welt, in die Gen-Bienen noch nicht ausgewildert werden dürfen, betrachten Imker durch die Augen ihrer Bienen. Nach ein paar Stunden mit ihnen zusammen fängt man selbst an, seine Umgebung neu zu bewerten: Die eintönige Gleichförmigkeit der Äcker und Wiesen – dieses enorme, akkurate Schachbrett aus Grün und Braun, das uns Säugetiere so gut ernährt, kann sich für nahrungssuchende Pollenspender als Wüste darstellen; der gelb glänzende Raps, der im Frühjahr in Blüte steht, kann sich als Reservoir von Pestiziden erweisen. Imker haben gelernt, Risiken abzuschwächen und sich anzupassen, in erster Linie, indem sie ihre Stöcke in die Nähe eines der immer weniger werdenden Gebiete bringen, in denen sie noch sicher sind.

Zur Imkerei kam Walter Haefeker erst um seinen 40. Geburtstag herum, vorher war er Tech-Unternehmer, kehrte 2001 nach 20 Jahren im Silicon Valley mit seiner Frau und ihren zwei Söhnen nach Bayern zurück, wo sich die Familie in einem malerischen Dorf am Starnberger See niederließ, auf halber Strecke zwischen München und den Alpen. Was als Hobby begann, entwickelte sich schnell zu einer Obsession und schließlich zu einem immer weiter expandierenden Unternehmen.

Haefeker eignete sich alles über Bienen an, von der Stockpflege bis zur Ernährung. Später entwickelte er eine App namens iQueen, startete den Podcast Bienenpolitik. Als einer der wenigen technikaffinen Imker im ländlichen Oberbayern rekrutierte ihn 2003 die lokale Imkervereinigung, in der für gewöhnlich Imker der zweiten und dritten Generation über die Praktiken der modernen Feldbewirtschaftung schimpfen, weil diese immer mehr Freiflächen verschlingt. Haefekers erster Auftrag bestand darin, ein Thema zu recherchieren, von dem niemand in seinem Verband Ahnung hatte: genetisch veränderte Feldfrüchte. „Ich hatte da keine Meinung“, erinnert er sich. „Doch mir als Neuling kam die Aufgabe zu, herauszufinden, ob das Auswirkungen auf uns haben würde.“

Bestäubung per Roboter

Was als lokale Angelegenheit eines bayrischen Imkers begann, wuchs sich zu einer epischen Schlacht der europäischen Imker gegen zwei Konzerne aus: Monsanto, der Biotech-Gigant, der den schädlingsresistenten, genetisch modifizierten Mais MON810 vertreibt, und die Welthandelsorganisation WTO, die damals Druck auf die EU ausübte, genetisch veränderten Feldfrüchten eine Chance zu geben. 2011 errangen die Imker einen großen Sieg vor dem Europäischen Gerichtshof – sie sorgten dafür, dass europäischer Honig einstweilen Gentechnik-frei bleibt.

Das Geschäftsmodell der Argochemie-Unternehmen besteht darin, beide Enden des Marktes zu beherrschen. Zuerst verkaufen sie den Landwirten die Chemikalien, die die Schädlinge vernichten, dann ihre patentierten und genetisch veränderten Samen, die gegen genau diese Chemikalien resistent sind. Die Konzerne haben Landwirte in Verträge eingesperrt, die sie daran hindern, die Samen zu verändern, um ihre eignen Kreuzungen zu entwickeln.

Imker fürchten, die genetische Veränderung von Honigbienen werde in einer der letzten Bastionen der Landwirtschaft, die kollektiv verwaltet wird und niemandem gehört, Patenten und Privatisierungen zum Durchbruch verhelfen. „Denken Sie nur“, sagt Haefeker, „das einzige Feld, das die großen Agrarkonzerne noch nicht kontrollieren, ist die Bestäubung“ – ein gewaltiger Markt: Die Food and Agriculture Organization (FAO) der Vereinten Nationen schätzt, dass Landwirte mithilfe von Bestäubern Feldfrüchte im Wert von bis zu 577 Milliarden Dollar pro Jahr anbauen.

Sollten Bienen eines Tages verschwinden, werden Nahrungspflanzen, Futtermittel, ganz zu schweigen von Rohstoffen wie Raps und Palmöl für Biotreibstoff, Textilien (Baumwolle) und Medikamente, schlichtweg von einem Großteil der Erdoberfläche verschwinden. In manchen Gegenden Chinas ist es bereits so schlimm geworden, dass Menschen manche Pflanzen schon von Hand bestäuben. In Harvard arbeiten Wissenschaftler an der sogenannten RoboBee, einem fliegenden Bestäubungsroboter, der halb so groß ist wie eine Büroklammer und weniger als ein Zehntelgramm wiegt. Der US-Einzelhandelskonzern Walmart hat zuletzt Patente für seine eigenen kleinen Roboter-Bestäuber angemeldet.

Imker und Umweltschützer glauben, dass es den Bienen überlassen bleiben sollte, sich weiterzuentwickeln, und dass man ihnen dabei nur mittels des Schutzes freier Flächen helfen sollte. Die konventionelle Bienenzucht setzt in den letzten Jahren immer mehr auf Technik – Apps, Tracking-Software und „Veredelungs“-Inkubatoren mit Temperaturkontrolle. Doch ansonsten hat sich an den Methoden seit dem Altertum wenig geändert. Über das Jahr hinweg teilen die Imker den Bienenstock auf, trennen einen Teil des Volkes Wabe um Wabe ab und setzen die Waben in neue Stöcke mit neuen Bewohnern ein. Das kann den Genpool beleben, indem widerstandsfähige Neuankömmlinge eingeführt werden.

„Vor der Einführung von Neonikotinoiden vor ungefähr 15 Jahren“, sagt Haefeker, „öffnete man den Stock, und er barst fast – vor lauter gesunden Bienen. Dieses Maß an reproduktiver Energie ist von entscheidender Bedeutung.“

2008, im Jahr des großen Völkersterbens in Deutschland, türmten sich tote Bienen unter den Stöcken auf dem Boden. „In den vergangenen Jahren, seitdem die Verbote in Kraft sind, ist es besser geworden. Aber wir sind noch nicht wieder da, wo wir vor Einführung der Neonikotinoide waren. Das wird Jahre dauern“, sagt er, während er den Frühjahrspollen auf Spuren von Neonikotinoiden und anderen Chemikalien prüft. Das Niveau der Kontamination habe sich stark verbessert.

Ende Juli waren Schlupflöcher im neuen Neonikotinoide-Gesetz aufgetaucht. Über ein Dutzend EU-Mitgliedsstaaten hatten nach solchen gesucht, um das Verbot aushebeln zu können; Bayer kündigte einen Einspruch an und warnte davor, das Verbot werde die Fähigkeit einschränken, die Mengen an „sicheren und bezahlbaren“ Nahrungsmitteln anzubauen, die nötig sei.

Haefeker bleibt kämpferisch. „Ihr Geschäftsmodell ist überholt“, sagte er mir im Juli am Telefon. „Die sechs großen Agrarkonzerne sind gerade dabei, zu fusionieren, sodass nur noch drei übrig bleiben werden: Bayer-Monsanto, DowDuPont und Syngenta-ChemChina.“ Diese historischen, eine Viertelbillion Dollar schweren Übernahmen sind seiner Ansicht nach kein Zeichen der Stärke, sondern eines der Unsicherheit. Die Zukunft gehöre Big Data: Sensor- und computergestützte Pflege, digitaler Pflanzenschutz, bei dem winzige Roboter und Drohnen die Pflanzenreihen rund um die Uhr hegen und pflegen, Schädlinge herauspicken und supergenaue Bewässerungsmengen entlassen – das werde die Milliarden Menschen auf dem Planeten ernähren, keine Chemikalien. „Ich sage denen das seit Jahren.“

Menschen konsumieren Honig seit den Tagen, in denen sie als Jäger und Sammler unterwegs waren. Nicht lange nachdem wir begonnen haben, Ackerbau zu betreiben, fingen wir an, Bienen zu halten. Vor circa 10.000 Jahren stellten Künstler im heutigen Spanien die Bienenzucht auf Höhlenwänden dar, Jahrhunderte danach förderte die Nachfrage nach Bienenwachs und Honig den Handel quer durch die Reiche der alten Griechen und Römer. Im 20. Jahrhundert nahm die Bienenkunde, das Studium der Bienen, ihren Ausgang – Honigbienen sind höchst soziale Wesen, was sie zu den mit am häufigsten untersuchten Insekten des Planeten macht. Wissenschaftler untersuchen die Art, um zu verstehen, wie das menschliche Gehirn funktioniert, und um das Design von Supercomputern zu verbessern. Es zeigt sich, dass Bienen sogar zu abstrakter Mathematik in der Lage sind.

So ungebrochen das wissenschaftliche Interesse an den Bienen ist, so sehr wächst die Zahl der Imker: Auf 22 Millionen in 146 Ländern schätzt die Organisation Apimondia ihre Zahl. Apimondia ist 123 Jahre alt, schützt die Lebensgrundlage von Bienenhaltern, fördert Imker – und verzeichnet in jüngster Zeit einen bemerkenswerten Anstieg der Mitgliederzahlen. „Wenn es in einem Land wirtschaftlich bergab geht, nimmt die Zahl neuer Mitglieder zu“, sagte mir der irische Imker Philip McCabe, der Apimondia bis zu seinem kürzlichen Tod, im Oktober 2018, als Präsident vorstand. Die Medienaufmerksamkeit um das Sterben und den Gesundheitszustand der Bienen sorge zusätzlich für neue Mitglieder.

Die Lösung: Open Source

Es gibt eine Strategie, mit der Apimondia der Frankenbienen-Gefahr begegnen will – Walter Haefeker hat sie 2017 bei einem Kongress in Istanbul vorgestellt: eine Open-Source-Lizenz für Honigbienen. Als Software-Ingenieur lässt sich Haefeker von der Free-Software-Bewegung der 1980er und 90er und deren Open-Source-Konzept inspirieren. Er sieht dies als das perfekte Modell, um die Imker vor einem Alptraum-Szenario zu beschützen – mächtige Konzerne entwickeln eine genetisch veränderte Biene, die sie dann kommerzialisieren und mit Patenten und Trademarks belegen.

„Die große Frage lautet“, so sprach er in Istanbul, „hat uns irgendjemand um Erlaubnis gefragt, als sie unsere Bienen nahmen, um sie zu modifizieren? Die Bienen, mit denen wir gearbeitet, die wir innerhalb von Apomondia gezüchtet haben?“ Natürlich nicht. Bis zu jenem Augenblick hatte niemand, noch nicht einmal die Imker selbst, einen Eigentumsanspruch auf den genetischen Code der Bienen erhoben. Jeder kann mit der Imkerei anfangen, was erklären könnte, warum man Imker im jemenitischen Kriegsgebiet ebenso antrifft wie auf dem Dach des Pariser Opernhauses oder in tansanischen Flüchtlingslagern. Der freie Austausch von Zuchtmaterialien – angefangen bei den Königinnen und ihren Eiern bis hin zu dem Samen der Drohnen – wird schon seit langem gefördert, um die Völker genetisch divers zu halten. Dieser freie Austausch bewahrt eine öffentliche Ressource, von der alle profitieren. Die Imker erhalten durch dieses Arrangement gesündere Völker, die Allgemeinheit bekommt Blumen, Nahrung und Honig.

Um jeden Versuch der Agrarindustrie zu verhindern, Superbienen zu verteilen und zu lizenzieren, versucht Apimondia, diese Freiheit als Recht in Form eines Open-Source-Vertrages festzuschreiben und die Zucht somit als öffentliches Gut zu etablieren, das niemand direkt besitzen kann.

„Dies ist der wirkungsvollste Weg, um unsere Bienen rechtlich vor einer Patentierung und Privatisierung durch kommerzielle Interessen zu schützen“, ist Haefeker überzeugt. „Wir wollen nicht hereingelegt werden, so wie das den Landwirten mit den genetisch veränderten und patentierten Samen passiert ist.“

Apimondia stehen nur minimale Ressourcen für die Lobbyarbeit zur Verfügung, doch die Organisation hat einflussreiche Verbündete versammelt, einschließlich der FAO, NGOs aus dem Bereich Umweltschutz und wissenschaftlicher Berater. Sie drängen auf internationale Abkommen zum Schutz von Lebendbestäubern.

Radikale Bienenzucht-Experimente gingen nicht immer gut aus, erinnerte mich Philip McCabe. Imkern steht die Geschichte der „Afrikanisierten Biene“ vor Augen: eine Kreuzung zwischen der Afrikanischen Biene und europäischen Stämmen, die in den 1950ern in Südafrika eingeführt wurde, aus der Quarantäne entkam, sich mit einheimischen Arten paarte und sich dann immer stärker vermehrte, Tausende von Meilen nach Norden in die USA vorstieß, sich dort wiederum mit einheimischen Arten paarte und bald deren Genpool dominierte. Das Resultat erhielt den Namen „Afrikanische Killerbiene“, für ihre aggressive Art der Nestverteidigung.

Haefeker und sein Geschäftspartner, Arno Bruder, führen ihre Imkerei auf einem Feld in Oberbayern, das an zwei Biohöfe angrenzt. Ihre Völker hätten sich etwas erholt, seit das Verbot von Neonikotinoiden in Kraft sei, aber sie würden Maßnahmen ergreifen, um ihre Stöcke auch in Zukunft zu schützen. Viele Imker packen ihre Stöcke auf einen Anhänger und stellen sie in der Nähe von Naturschutzgebieten auf. „Im Laufe der Zeit lernt man, wo man allem, was den Bienen schadet, am schlimmsten ausgesetzt ist“, sagt Haefeker.

Er zieht eine Wabe heraus, um eine Königin ans Licht zu bringen. Wie ein unbeholfener Pendler in der U-Bahn stößt sie gegen jeden Bewohner in ihrer Nähe, während sie von einem Ende der Wabe zum anderen läuft. Die Rempelei verfolgt einen Zweck, sie beruhigt die umherspringenden Massen. „Die Pheromone der Königin machen sie entspannt und produktiv. Die Pheromone beeinflussen auch uns Imker.“ Er sagt, er plane, diese Anti-Stress-Essenz nutzbar zu machen und auf dem zwei Hektar großen Grundstück eine Art bienenbetriebenes Wellness-Center aufzubauen. Ich stelle mir vor, wie die Münchner Schickeria in einer Lodge in den Bergen um den Starnberger See die Pheromone von Bienenköniginnen einsaugt. Im nächsten Augenblick steckt Haefeker die Wabe zurück, schließt den Deckel und betrachtet seine Schützlinge mit Genugtuung. Dann diskutiert er mit Bruder darüber, was als Nächstes zu tun sei.

Bienen vor Pestiziden zu beschützen, ist arbeitsintensiv und erfordert besondere Ortskenntnisse. Arno Bruder ist dafür, am nächsten Morgen vor Sonnenaufgang aufzustehen, einige der Stöcke in einen Anhänger zu packen und die Bienen in eine höhere Lage zu fahren. Sie haben sich für eine Region am Fuße der Alpen entschieden, etwa eine Stunde Fahrzeit entfernt, nahe der Wieskirche aus dem 18. Jahrhundert, die auf der Liste der UNESCO-Weltkulturerbe-Stätten steht. Da oben gibt es gerade frischen Löwenzahn. Die Bienen seien dort weiter von der intensiven Landwirtschaft entfernt, erklärt Haefeker. „Wir haben die Stellen ausgekundschaftet.“

Derweil werden andernorts Experimente noch extremeren Ausmaßes wahrscheinlich: Anfang Oktober schickt mir Haefeker eine Nachricht, in der er mich auf Insect Allies aufmerksam macht, ein 45 Millionen Dollar schweres Forschungsprojekt, das das militärische Forschungszentrum des US-Verteidigungsministeriums, DARPA, finanziert. Es schlägt vor, Insekten zu nutzen, um Mutationen zur Stärkung des Immunsystems zu transportieren – Mutationen, die Feldfrüchte vor Dürre, Überschwemmungen, Krankheitserregern und Biowaffen schützen sollen. Im Wesentlichen würden Insekten so den genetischen Aufbau von Pflanzen verändern. Eine Gruppe von Wissenschaftlern aus Universitäten in Deutschland und Frankreich erklärte, die Existenz des Programms sei alarmierend: Es verwandle Insekten in Biowaffen.

Die DARPA-Forscher sagen nicht, welche Art von Insekten sie einzusetzen planen. Aber für Haefeker klingt das nach nichts Gutem. „Wir müssen diesen Wahnsinn im Auge behalten“, schreibt er mir, „für den Fall, dass sie Bienen verwenden wollen, um ihre genetisch veränderten Viren zu den Pflanzen zu transportieren.“

Bernhard Warner schreibt unter anderem für Wired, The Guardian und The Boston Globe. Zudem veröffentlichte er Podcasts und Dokumentarfilme

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Geschrieben von

Bernhard Warner | The Guardian

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