Ich bin mir sicher, dass ich der Einzige in der Edinburgher Meadow Bar bin, der weiß, dass gleich der Komiker Tony Cowards die Bühne betreten wird. Ungewöhnlich ist das nicht: Eine Menge Stand-Up-Komiker sind in der Vergangenheit beim Fringe Festival in verwaisten Pubs vor einer Handvoll Betrunkener aufgetreten, die sie kaum wahrgenommen haben.
Der Unterschied ist, dass Coward sich überhaupt nicht in der schottischen Hauptstadt befindet, sondern im Gästezimmer seines Hauses in Swindon im Südwesten Englands, und dass sein Publikum aus rund 500 Follower auf Twitter besteht. An jedem Werktag um zwei Uhr nachmittags postet er dort live unter @noticketshow eine Folge von Einzeilern, wie etwa: „Ich wollte schon immer Web-Designer werden, oder wie man das damals nannte, eine Spinne“.
Geld nimmt er mit seiner Show zwar nicht ein, doch abgesehen davon zählt seine 34-Minuten-Performance zu den Kassenschlagern des Festivals. Wo sonst kann ein Komiker bei diesem Festival mit einer Show dreistellige Besucherzahlen anziehen? Auch nach der Show waren am Freitag immer noch 644 Personen auf seiner Seite – mehr als in so manchen schicken Veranstaltungssaal des Festivals passen. Einige Festivalbesucher, die sich noch auf dem Weg nach Edinburgh befanden, verfolgten den Auftritt auf ihren Mobiltelefonen, doch der Rest des Publikums bestand offensichtlich aus arbeitsscheuen Büroangestellten aus dem ganzen Vereinigten Königreich. @potterandy twitterte: „Nicht schlecht, hat mir echt gefallen. Hat die Arbeit 40 Minuten besser gemacht. Kann ich eine Beleidigung für meinen unbrauchbaren Boss am Montag haben?“ @Saaedsmsadiq witzelte: „Ich rühre mich bis Montag nicht vom Fleck, um meinen Platz freizuhalten.“
Es dauert eine Weile, bis ich im Pub mit meinem Laptop und diversen Apps zu Potte komme, aber dann finde ich über die Suche nach @noticketshow auf Tweetdeck eine relativ passable Möglichkeit um Cowards, seinen Fans und gelegentlichen kritischen Einwänden zu folgen (@glentorran99 meint: „@noticketshow ist Müll und deshalb bin ich raus.“). Ich glaube nicht, dass ich unbedingt den besten Platz im Publikum habe, aber das muss jetzt ausreichen.
Bist Du wirklich Tony?
Mir kommt der Gedanke, dass Coward ja auch ein automatisierter Witzroboter sein könnte, den eine heimtückische Firma erschaffen hat, um Knallbonbons oder Fruchtlollis zu vermarkten. Also tippe ich: „Hey @noticketshow. Woher wissen wir, dass du wirklich Tony bist nicht eine sorgfältig programmierte Tweet-Maschine? Und ich hab’s mit deiner Mutter getrieben. #twitterheckle.“ Seine Antwort war nicht unbedingt poetisch, aber sie überzeugte mich von seiner Echtheit: „@jayrichardson: Meine Mum sagt, du warst grottenschlecht im Bett und hast einen winzigen Pimmel.“
Auch wenn keiner davon ausgeht, dass Twitter-Gigs physische Live-Auftritte irgendwann ersetzen werden, so könnte ihr Publikum doch bald gewaltig sein. Der Twitter Comedy Club, den der Komiker Tiernan Douieb im Juni 2009 mit Kollegen wir Gary Delaney, Mark Watson, Mitch Benn, Pappy’s und Matt Kirshen Backstage im Rahmen eines tatsächlichen Auftritts von hinter der Bühne aus über Twitter betrieb, zog 6500 Follower an. Die meisten britischen Komiker haben einen Twitter-Account – wenn auch viele ihn bislang nur dazu nutzen, um die Termine ihrer Auftritte zu twittern. Die meisten von ihnen wissen es zu schätzen, dass sie über Twitter mit ihren Fans kommunizieren, Witze testen – und ungewollt Gags für den Fernsehmoderator Keith Chegwin schreiben können.
Doch es gibt auch ehrgeizigere Komiker: Am 26. Juni versuchte sich Matt Crosby an einer Neuauflage von George Cockcrofts Buch Diceman („Der Würfler“). Cockcroft hatte in seinem Buch unter dem Pseudonym Luke Rhinehart beschrieben, wie er sich sämtliche Lebensentscheidungen vom Urteil der Würfel abnehmen ließ. Crosby versuchte sich an Twitterman, und lud die Follower seines #twitterman-Hashtags ein, seine Handlungen im Verlauf des Tages zu bestimmen. Am Ende ließ er in einem Buchladen die Hosen herunter, sah sich in einer Kinovorführung von Sex and the City 2 den ersten Teil des Films auf seinem Laptop an und schließlich traf er noch einen Follower, nachdem er in einen willkürlich ausgewählten Zug nach Birmingham gestiegen war. Der schottische Komiker Bruce Fummey flog für seinen Cheapflighttuesday mit den billigsten Ryanair-Flügen, die zu bekommen war, verschiedene europäische Ziele an, wo er von seinen Followern Aufgaben gestellt bekam, wie etwa eine rotblonde Italienierin auf Sizilien zu finden oder den Dänen die Haggis-Zubereitung beizubringen.
Show mit iPhone-App
Twitter ist nicht die einzige Plattform, die Komiker verwenden um mit weit entfernten Zuschauern in Kontakt zu treten. YouTube wird zwar normalerweise nicht unbedingt als soziales Netzwerk wahrgenommen, doch Holly Walsh und Jon Petrie nutzen es für ihre Popcorn Comedy als solches. Popcorn Comedy ist sowohl eine regelmäßig Live-Show als auch eine Webseite, auf der Videos gepostet werden – von etablierten Komikern und von jedem, der seinen Film beisteuern möchte, sofern ihn die Macher lustig genug finden. In Edinburgh wird das Team aus London ein Best-of seiner Arbeiten präsentieren. Mittels eines iPhone-Apps zur Show und einem starken Community-Gefühl vermischt die Show die Grenzen zwischen Künstler, Publikum und Talentsucher.
Doch die spannendste neue Entwicklung in Sachen Fern-Comedy geschieht derzeit im irischen Galway, wo der Neuseeländer Danny Dowling und der Ire John Donnellan im Club Roisin Dubh monatlich ihre Comedy-Comedy-Gigs abhalten, bei denen Stand-Up-Comedians aus Großbritannien, den USA und Australien live via Skype „auftreten“ und auf eine Leinwand neben ihre Gastgeber projiziert werden.
Im Rahmen des Galway Kunstfestivals im Oktober will Dowling zwei Leinwände aufstellen, so dass sich Komiker aus drei Kontinenten gegenseitig simultan auf die Schippe nehmen können. Sollte Skype bald – wie aktuell gemunkelt wird – einen offenen Kanal als zusätzliches Feature anbieten, dann könnten solche Auftritte von einer beinahe unbegrenzten Online-Zuschauerschaft gesehen werden. Dowlings Ambitionen reichen jedoch weiter. 2011 will er sich selbst im Rahmen des Fringe an ein Gebäude in Edinburgh projizieren.
Das alles ist schön und gut, doch solange man via Internet nicht nachempfinden kann, wie es sich anfühlt, wenn man auf einem vollbesetzten Dachboden langsam in der Hitze zerfließt oder das Bier eines Nachzüglers, der in den Raum stolpert abbekommt – ganz zu Schweigen von dem Angsthauch, der zu spüren ist, wenn ein nervöser junger Komiker versucht, ein starkes 20-Minuten-Set auf über eine Stunde auszudehnen – solange werde ich nostalgisch an der Live-Comedy hängen, die hautnah und eben doch persönlicher ist. Und die höchstens ein Stromausfall in unmittelbarer Nachbarschaft stören kann.
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