Peak Oil: Saudi Arabien mal sechs

Mythos George Monbiot sagt, die Höchstfördermenge sei noch nicht erreicht, doch die Krise ist nicht zu leugnen
In Kalifornien wird noch eifrig gebohrt, doch der Boom in der Ölforderung ist wohl bald vorbei
In Kalifornien wird noch eifrig gebohrt, doch der Boom in der Ölforderung ist wohl bald vorbei

Foto: Getty Images

Im Vorfeld der Kreditkrise von 2007 wurde vereinzelt davor gewarnt, dass der Finanzsektor seine Anlagen völlig falsch eingeschätzt habe. Doch die Mehrheit der Branche hatte für so etwas nur Hohn und Spott übrig. Viele erklärten, sie hätten eine ganz neue Art von Anlagen erfunden – hypothekarisch gesicherte Wertpapiere und mit diesen verwandte komplexe Derivate – diese stünden für eine vollständig neue Methode der Wertschöpfung.

Heute gibt es Warnungen, der Öl- und Gassektor habe seine Anlagen völlig falsch eingeschätzt. Die Branche spottet darüber und behauptet, sie hätte eine neue Art von Vorkommen erschlossen – unkonventionelles Öl und Gas – die neue, unvorhergesehene Straße zum Reichtum. Einige gehen so weit zu behaupten, Nordamerika sei auf dem Weg, seinen Bedarf an Kohlenwasserstoff selbst decken zu können.

Die erste Illusion hat sich als gefährliche Blase erwiesen, die noch fünf Jahre später die Weltwirtschaft bedroht. Was es mit der zweiten auf sich hat, werden wir in ein paar Jahren erfahren. Die von mir einberufene Taskforce der britischen Wirtschaft zu Peak Oil und Energiesicherheit ist eine von vielen, die spätestens 2015 einen weltweiten Rückgang der Ölproduktion vorhersagt.

"Peak Oil Mythos"

Im Vorfeld der Kreditkrise haben die Kommentatoren das von der Branche vorgegebene Mantra in allen Medien nachgebetet. Im Vorfeld der Ölkrise geschieht das gleiche. Sie brauchen nur einmal bei Google das Stichwort "Peak Oil Mythos" einzugeben. Vor kurzem trat George Monbiot dieser Gruppe mit einem Artikel bei, der den Titel trug We were wrong about peak oil. There's enough to fry us all – wörtlich übersetzt so viel wie: Wir haben uns über peak oil getäuscht.

Schon im Titel steckt ein Missverständnis: Es gibt mehr als genug potenzielle Ölreserven unter der Erde, um die Klimakatastrophe hervorzubringen, von der er spricht. Bei Peak Oil geht es um etwas anderes. Der Begriff bezeichnet den Zeitpunkt, von dem ab die weltweite Fördermenge nie wieder das Niveau früherer Zeiten erreichen wird: eine Katastrophe, wenn der Rückgang eine ölabhängige Weltwirtschaft trifft. Dieser Rückgang hängt von den Fördermengen auf den Ölfeldern ab, nicht von der Menge des verbleibenden Öls. Jene, die Peak Oil für unvermeidlich halten, sorgen sich wegen des erwiesenen Umstands, dass die Ölindustrie nicht mehr lange in der Lage sein wird, für wachsende Fördermengen zu sorgen.

Meldeten im Vorfeld der Kreditkrise einige volkswirtschaftliche Querdenker und weitsichtige Finanzjournalisten Bedenken an, so verhält sich mit Peak Oil anders. Viele aus der Branche selbst klingen alarmiert. Jedes Jahr, wenn sich die Association for the Study of Peak Oil (ASPO) trifft, stehen jüngst in Rente gegangene Ölmänner Schlange, um die neueste Einschätzung über die falschen Berechnungen der Ölvorkommen abzugeben. Die jüngste Veranstaltung des ASPO fand erst vor ein wenigen Wochen in Wien statt.

Weniger Öl in wenigen Jahren

Es habe jüngst einen „Boom in der Ölförderung“ gegeben. Falsch. Die weltweite Förderung bewegt sich den Aussagen des Ex-Exxon-Beraters des amerikanischen Energieministeriums, Bob Hirsch, seit 2004 auf gleichbleibendem Niveau. Hirsch erwartet, dass der Rückgang in den nächsten ein bis vier Jahren einsetzen wird . Monbiot hat Recht, wenn er sagt, die Ölförderung sei in den Vereinigten Staaten in den vergangenen Jahren leicht angestiegen. Aber kann das so weitergehen, wie er unterstellt? Art Berman beschreibt, wie der Schieferöl-Goldrausch der vergangenen Jahre, der sich nun auf Ölschiefer ausweitet, sich gut und gerne als gewaltiges Schneeballsystem erweisen könnte: Die Fördermengen gehen unerwartet schnell zurück, was zur Folge hat, dass immer mehr zu immer höheren Kosten gebohrt werden und dafür immer mehr Geld geliehen werden muss und die Erträge dadurch immer weiter zurückgehen.
In Hinblick auf die hieraus resultierenden Katastrophen in den Bilanzen der Öl- und Gasunternehmen erwartet er, dass jeden Augenblick die ersten Unternehmen der Branche pleite gehen werden. Auch John Dizard hat schon in der Financial Times vor dieser Blase gewarnt.

Selbst wenn die Ölförderung in den Vereinigten Staaten wieder so weit ansteigen würde, dass das Land sich selbst versorgen könnte – was ist dann mit der weltweiten Situation, wenn das konventionelle Öl 2006 gepeakt hat? Es bräuchte sechs Saudi Arabiens, um die Förderung bis 2030 auf 100 Barrel pro Tag anzuheben. Die IEA hält dies offensichtlich nicht für realisierbar. Andere Insider tun dies ebenso wenig, auch nicht Totals Explorationschef, der erst vor kurzem davor warnte, Peak Oil stehe kurz bevor.

Die Gesellschaft ignoriert derartige Warnungen und hört stattdessen auf potenzielle Blasen-Unterstützer wie Monbiot. Wie schon bei seiner Konversion zum Kernkraft-Unterstützer während der Katastrophe von Fukushima hat er sich auch hier einen interessanten Zeitpunkt für seinen Gesinnungswandel ausgesucht.

Übersetzung: Holger Hutt

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Geschrieben von

Jeremy Leggett | The Guardian

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