Würdigung Er galt als Vater der britischen Pop Art und hatte für die Orientierung an den Launen der Kunstszene doch nur Verachtung übrig. Richard Hamilton starb nun mit 89 Jahren
1956 sorgte Richard Hamilton mit einer Collage für Aufsehen, die er für die Ausstellung This Is Tomorrow in der Londoner Whitechappel Gallery angefertigt hatte. Das Bild war ziemlich schockierend: Es zeigte eine nackte Frau auf einem Sofa und einen Mann mit Bodybuilding-gestählten Muskeln, der einen überdimensionierten Lutscher mit der Aufschrift Pop vor sein bestes Stück hielt. Außerdem waren darauf Gegenstände des häuslichen Gebrauchs zu sehen, unter anderem ein Fernsehapparat oder ein als gerahmtes Gemälde präsentiertes Comiccover. Im Hintergrund gewährte ein Panoramafenster Aussicht auf eine übersteigerte urbane Szenerie, die Zimmerdecke zierte ein Space-Age-Foto des Planeten Erde.
Fortan galt Hamilton als Vater der Pop Art, da
ter der Pop Art, dabei war es nie seine Absicht, die Kultur der Anspruchslosigkeit zu zelebrieren. Er teilte mit der Pop Art weder die Idealisierung von Werbung und Comics, noch die Teenagerträume, auf die sie sich in weiten Teilen bezog. Seine Analyse der Methoden des kommerziellen und technischen Schaffens von Bildern ging mit Studien der hohen Kunst einher.Hamilton gehörte der Independent Group an, Künstlern, Architekten und Kritikern vom Londoner Institute of Contemporary Art (ICA), die die Populärkultur als damals noch unbeachtetes aber lebhaftes Element einer Kommunikationswelt diskutierten, aus der die Schönen Künste Kraft schöpfen könnten. 1978 lud die National Gallery Hamilton ein, die zweite Ausstellung der Reihe The Artists Eye zusammenzustellen. Das Ergebnis war eine bewusste Konfrontation schöner alter Malerei und moderner Bilder. Darunter waren auch My Marilyn (1956), Hamiltons Bearbeitung eines Bogens von Kontaktabzügen, die der Filmstar eigenhändig markiert hatte, sowie ein eingeschalteter, aber stumm gestellter Fernseher.Später kritisierte Hamilton die an den Kunstschulen herrschende Tendenz, sich nicht nach Museumstraditionen, sondern an „der derzeit angesagten Kunstszene“ zu orientieren. Ich denke, was ihn daran entsetzte, war schlicht wie unintelligent diese einseitige Ausrichtung war. Seine eigene Arbeit profitierte von beidem. In den 1960ern dominierte zuweilen die Pop-Tendenz, man denken an den gigantischen Button, den er 1964 unter dem Titel Epiphany anfertigte und ausstellte. Auf vortrefflich gewähltem orangefarbenem Grund stand darauf in blauen Buchstaben "Slip it to me". In den 1980ern hingegen arbeitete er wie ein alter Meister, mit den besten verfügbaren Methoden - am deutlichsten ist dies in den zwei nordirischen Diptychonen The Citizen (1981-83) und The Subject (1988 – 90) zu erkennen. In den 1960ern schrieb Hamilton: „Ich bin schon immer ein Künstler alten Stils gewesen“. Diese Sicht seiner selbst behielt er bei. Er war ein Kunsthandwerker, der sich einer großen Bandbreite an Techniken bediente, diese allerdings so wählte, dass sie etwas zum Sinngehalt seiner Arbeit beitrugen und diesen verstärkten. Platz für Nostalgie oder Denken war da nicht, seine Ambition war aber, zu den Besten zu gehören.Er bewunderte Cézanne und verehrte DuchampHamilton wurde im Londoner Stadtteil Pimlico geboren und besuchte vom zwölften Lebensjahr an an den Abenden Kunstkurse. Als er dreizehn Jahre alt war, erhielt er den Rat, sich mit 16 bei der Royal Academy zu bewerben. Als er dort aufgenommen wurde, hatte er bereits Picassos Guernica gesehen und bewunderte Cézanne. Beide Künstler waren an der Akademie verhasst. 1940 schloss die Schule. Da Hamilton zu jung für den Wehrdienst war, wurde er in eine Ausbildung zum Werkzeugbauer- und technischen Zeichner gesteckt und arbeitet dann als technischer Zeichner.1946 durfte Hamilton sein Studium an der Royal Academy wieder aufnehmen, nur um dann von der Schule geworfen zu werden, weil er sich nicht ihren Prinzipien beugen wollte. Im Anschluss arbeitete er einige Zeit beim Korps der Königlichen Ingenieure. Und er las immer und immer wieder James Joyces Ulysses. Er begann mit subtilen und eleganten Illustrationen zu dem Buch, denen er sich sein ganzes späteres Leben immer wieder zuwenden sollte. Im Jahr 2002 wurden sie vom British Museum ausgestellt.Von 1953 bis 1966 unterrichtete er an der Central School in London, wo er gemeinsam mit dem Kunsthistoriker George Knox an einer englischen Version der Green Box von Marc Duchamp zu arbeiten begann. In Zuge des Projektes freundete er sich mit Duchamp an und organisierte die erste große Duchamp-Retrospektive auf europäischem Boden. Darin war auch sein Nachbau des Large Glass von Duchamp zu sehen, den Duchamp selbst autorisiert hatte.Hamilton war so sehr Duchamp-Jünger, dass er „das Gegenteil seiner Lösungen anstreben“ musste. Dazu gehörten zum Beispiel gemalte Arbeiten, die das an die Kunst gewöhnte Auge gleichermaßen ansprachen wie den Geist. Einige von Hamiltons Malereien sind ein Kommentar zur Wahrnehmung, andere sind ziemlich unglaublich, bis man merkt, was daran nicht stimmt. In anderen wiederum verwertet er den kommerziellen Symbolismus und Stil aggressiver Verkaufstaktiken und kombiniert diese mit den Mitteln der klassischen bildenden Kunst. Seine analytische Intelligenz und das Beharren darauf, dass die Idee sowohl die Wahl der Techniken, als auch die Darstellung bestimmt, machten ihn eher zum Vorläufer der Konzeptkunst als der Pop Art.Seine Biennale-Präsentation 1993 war überfälligHamilton war vor allem Maler. Sein Selbstportrait Palindrome (1974) ist bescheiden und fordernd zugleich: Der Künstler zeigt sich in einem Spiegel, dem er sich so entgegen lehnt, wie Artemisia Gentileschi sich der Leinwand mit ihrem Selbstportrait zuwendet. Der Betrachter sieht darauf und darin Hamiltons Hand, die Farbe auf den Spiegel tupft und dahinter das Spiegelbild des Malers. Nur die Spiegelfläche, die dank jener Farbtupfer sichtbar ist, ist scharf dargestellt. Während man das Bild betrachtet und sich davor bewegt, stellt man fest, dass es sich um eine sorgsam ausgeklügelte und angefertigte 3D-Fotographie handelt. Die visuelle Komplexität dieses Bildes entspricht dem, was daraus über die Kunst und das Sehen, Eitelkeit und Bescheidenheit, das Leben und den Tod spricht.Hamiltons retrospektive Schau an der Tate Gallerie im Jahr 1970 kulminierte in einer Serie von 12 „kosmetischen Studien“ mit dem Titel Fashion-Plate, die eine Hommage an die Covergestaltung von Magazinen und der dahinterstehenden Kunstfertigkeit darstellten, aber auch zu Gedanken über Ikonen jeder Art einluden. Viele fielen damals wegen dieses scheinbaren Rühmens der Mode und wegen der Oberflächlichkeit dieser Hochglanz-Nichtportraits über ihren Urheber her. Hamilton müssen derart flache Reaktionen verhasst gewesen sein. Über sein eigenes Werk schrieb er besser als jeder andere, nicht um es zu bewerten, sondern um seine Methoden und einige der dahinterstehenden Gedanken zu erklären.1992 folgte eine zweite Retrospektive in der Tate, die dieses mal auch die beiden Nordirlandtriptychone umfasste. 1987 war bei einem Fernsehauftritt Hamiltons mit Hilfe des Grafikcomputers Quantel Paintbox das Bild The Subject entstanden. Hamilton bediente sich des Gerätes erfinderisch und mit Leichtigkeit. Höhepunkt der Retrospektive war eine begehbare Installation namens Treatment Room (1983 – 84). Sie bestand aus einem, an eine Liege in einer Leichenhalle erinnernden Tisch, über dem ein Fernseher hing, auf dem ein Videomitschnitt einer Rede Margaret Thatchers aus dem Jahr 1983 abgespielt wurde. Die britischen Kritiker reagierten negativ, gar verächtlich auf diese Ausstellung, eine 1993 bei der Biennale in Venedig im britischen Pavillon gezeigte Ausführung brachte ihm jedoch den den Goldenen Löwen. Hamiltons Biennale-Präsentation wurde vielerseits für überfällig gehalten, zehn oder zwanzig Jahre früher hätte sie größere Wirkung gehabt. Die Schwierigkeit bestand darin, Hamiltons Bandbreite zu erfassen: die seiner ästhetischen Erkundungen und seiner Werkzeuge und Arbeitsweisen, seiner ererbten Techniken als Maler, Zeichner und Druckgraphiker und seinem visuellen Ausdruck, der von der kühl erotischen Hommage à Chrysler Group (1957) - einer aus Malerei und Collage zusammengesetzten Abhandlung über Gestaltung - bis hin zu seinen 1990er Polaroid-Selbstportraits reichte, die durch eine mit Farbe versehene Glasscheibe aufgenommen und später vergrößert auf Leinwand gedruckt und abermals bemalt wurden.Angebliche Freizügigkeit vs. Eindringen in die PrivatsphäreMal spielte Hamilton mit den Klischees und klischeeproduzierenden Funktionsweisen der Konsumgesellschaft, dann wieder richtete seine Aufmerksamkeit sich wie in Whitley Bay (1965) und der daraus abgeleiteten Serie von Studien auf die transformierende Kraft der Fotografie und unserer konditionierten Lesart von Fotos. An wieder andere Stelle verarbeitete er Zeitungs- und Fernsehbilder um gegen zahlreiche Formen der Unterdrückung zu protestieren – zum Beispiel gegen den freimütigen Umgang der Medien mit Fakten bei der Jagd auf eine Geschichte. Die Serie Swingeing London von '67 kommentierte die angebliche Freizügigkeit der Sechziger und das Eindringen der Polizei in die Privatsphäre der Menschen. Grundlage war ein Zeitungsfoto, dass Mick Jagger und den Galeriebesitzer Robert Fraser zeigte, die in einem Polizeiwagen zu einer Gerichtsverhandlung wegen Cannabiskonsums gefahren wurden. Kent State (1970) wurde aus dem Bild eines auf dem Campus von Polizisten erschossenen Studenten entwickelt. War Games (1991 – 92) erinnerte uns anhand von TV-Nachrichtenmaterial aus der Zeit des Golfkriegs daran, dass das, was uns beinahe als Sport präsentiert wird, tausende Menschenleben kostet. Lobby von 1984 basierte auf einer Postkarte, die den Eingangsbereich eines Berliner Hotels mit seinem scheinbar endlosen Teppichen und Treppen und verwirrenden Spiegeln zeigt. Die Karte erinnerte Hamilton an Sartres Huis Clos, gemahnt aber auch an Dante. Bei dem Hotel handelt es sich um das Europa.Den junge Antiaristoteliker, der eher untersuchte, als schlichtete, hatte das Leben zu einem gemacht, der „nur zu geneigt ist, Werturteile zu fällen“, wie er selbst sagte. Seine Kunst wandte den Blick immer nach außen. Er konnte bewundern, aber nicht zufrieden sein, wenn die Kunst sich nur auf sich selbst bezog. In ihm steckten außergewöhnlich viele Ideen, er war leidenschaftlich empfänglich für seine Zeit. Er verfocht aber aber auch die Ansicht, dass die Technik der Malerei nie überlegen sein würde, wenn es darum geht, bedeutende Kunst zu machen. Richard Hamilton starb am Dienstag im Alter von 89 Jahren.
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