Plötzlich ganz allein

Sudan Das Volk der Nuba hat über Jahrzehnte hinweg mit gekämpft, als es um die Unabhängigkeit des Südens ging. Heute steht es zwischen den Fronten und fühlt sich verraten

Während sich der Südsudan auf den Tag der Unabhängigkeit am 9. Juli vorbereitet, streben die Bewohner der Nuba-Berge weder die Eingliederung in den Norden noch in den Süden an, sondern wollen einen eigenen Staat. Die Region befindet sich im arabisierten Norden. Die Menschen dort sympathisieren allerdings schon lange eher mit dem Süden. Seit einigen Wochen werfen nun die Konflikte in dieser Region einen Schatten auf die Unabhängigkeit des Südens und verheißen nichts Gutes für die Stabilität des Sudan nach der Teilung.

„Ich kann auf keinen Fall mehr zum Norden gehören “, sagt etwa der 35-jährige Yohanes Mudier. „Ich habe nicht so viele Jahre gekämpft, um dann wieder der gleichen Regierung zu unterstehen.“ Wie viele andere Nuba schloss sich auch Mudier zu Beginn des von 1983 bis 2005 währenden Bürgerkrieges der südsudanesischen Rebellenbewegung an. Er wollte für die Freiheit kämpfen und verbrachte 14 Jahre in der Sudanesischen Volksbefreiungsarmee (SPLA), ohne seine Familie zu sehen. Als er 2006 nach der Unterzeichnung eines Friedensabkommens in die Nuba-Berge zurückkehrte, lebten viele seiner Verwandten nicht mehr.

Von allen verraten

Mudier sagt, er habe keinen Grund, die Unabhängigkeit zu feiern: „Ich gehöre der SPLA an, aber ich habe das Gefühl, mehr und mehr allein zu sein. Durch einen politischen Prozess werden wir nie etwas von Khartum bekommen. Es macht keinen Sinn mehr, mit denen zu reden.“ Wie Mudier denken immer mehr Nuba. Sie fühlen sich von allen am Friedensabkommen beteiligten Seiten verraten: Von der sudanesischen Regierung, der internationalen Gemeinschaft und von der Sudanesischen Volksbefreiungsbewegung SPLM – dem politischen Flügel der SPLA im Süden. Die meisten Nubier gehören noch dem nördlichen Flügel der Bewegung an, viele allerdings wären lieber selbst unabhängig, als dem Süden beizutreten. Zuletzt hat die von der SPLM dominierte Regierung des Südsudan betont, man werde sich nicht erneut in einen Krieg mit Khartum begeben. Das Land ist noch immer von dem verheerenden über zwanzigjährigen Konflikt gezeichnet. Die Regierung des Südens wird sich auf die eigene Entwicklung konzentrieren und alles vermeiden, was die neue Souveränität aufs Spiel setzt. Und das wäre der Fall, wenn sie sich militärisch hinter die Nuba stellt.

Einige aus diesem Volk glauben noch an die SPLM, halten daran fest, dass nach der Unabhängigkeit Soldaten und Waffen aus Juba, der Hauptstadt des Südens, in die nubischen Berge strömen. Andere wie Montasir Nasir Waren Kalo sind da skeptischer. Er gehörte vor sechs Jahren einer Delegation von Nuba-Jugendlichen an, die versuchten, die SPLM davon abzuhalten, das Friedensabkommen zu unterzeichnen. „Wir haben für die Freiheit aller Afrikaner im Sudan gekämpft, aber nie die Früchte unseres Kampfes genossen. Wir wurden immer zugunsten anderer geopfert – das Friedensabkommen ist da keine Ausnahme.“

Falscher Frieden

Die derzeitigen Probleme der Nuba begannen, als John Garang, langjähriger Führer der SPLA, 2005 nur wenige Tage nach dem Kriegsende bei einem Hubschrauberabsturz ums Leben kam. Seine an Mandela erinnernde Vision eines vereinten „neuen Sudan“, in dem Araber und Afrikaner unter neuer politischer Führung gemeinsam leben sollten, wurde von den neuen Spitzen der SPLM durch ein leichter erreichbares Ziel ersetzt: der Unabhängigkeit des Südens.

Doch nach den Grenzen von 1956, auf denen das Friedensabkommen basiert, fallen die Nuba-Berge unter die Kontrolle des Nordens. „Als ich die Bedingungen des Abkommens las, dachte ich, dass die Regierung des Südens uns verkauft hat“, erzählt ein Sozialarbeiter. „Als die SPLM in den Neunzigern in sich gespalten war, unterstützten die Nuba Garang. Ohne uns wäre die Bewegung gestorben und der Süden nie unabhängig geworden.“ Um ihre Sicht auf den innersudanesischen Friedensprozess zum Ausdruck zu bringen, wurden den Nuba Volksbefragungen versprochen, Da bis heute – sechs Jahre später -. hierfür immer noch kein Datum festgesetzt wurde, glauben viele, dass die Regierung in Khartum sie niemals zulassen wird.

Die Nuba sind gespalten. Einige wollen vollkommene Unabhängigkeit, andere unterstützen weiterhin die SPLM, weil sie sich durch diese am ehesten Freiheit erhoffen. Sie alle sind aber entschlossen, ihr Schicksal selbst zu bestimmen. „Ein falscher Frieden ist schlimmer als ein Krieg“, meint ein nubischer SPLM-Parlamentarier, der anonym bleiben will. „Wir würden lieber wieder unsere Waffen aufnehmen, um einen gerechten Frieden zu erreichen, als uns mit der derzeitigen Lage abzufinden.“ Mudier ist der gleichen Ansicht: „Wenn der Süden uns nicht hilft, werden wir bis zum letzten Mann gegen den Norden kämpfen müssen. Den Tag der Freiheit werden dann vielleicht erst unsere Enkel erleben.“


Der digitale Freitag

Mit Lust am guten Argument

Übersetzung: Zilla Hofman
Geschrieben von

Matteo Fagotto | The Guardian

Der Freitag ist Syndication-Partner der britischen Tageszeitung The Guardian

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