Reportage Zehntausende wollen sich nach Ägypten, Äthiopien oder Saudi-Arabien retten, und so wird im umkämpften Khartum ein Busbahnhof außerhalb der Stadt zum Treffpunkt aller Fliehenden. Wer einen Platz ergattern will, muss horrende Preise zahlen
Wadi Halfa im Norden des Sudan, an der Grenze zu Ägypten, Anfang Mai 2023
Foto: AFP/Getty Images
Hunderte drängeln und schieben, wollen keinen Schritt zurück, nur vorwärts und raus aus dem Inferno. An der Grenze des Sudan zu Ägypten sind die Schlangen lang, sodass inzwischen mit enormen Wartezeiten rechnen muss, wer sich vor den immer wieder aufflammenden Kämpfen in Khartum und anderen Städten in Sicherheit bringen will, und zugleich gehalten ist, die Visabestimmungen einzuhalten.
Die Flüchtlingsagentur UNHCR erwartete Stand Anfang Mai, dass 270.000 Flüchtlinge allein in den Tschad und den Südsudan ausreisen würden, darunter natürlich auch Südsudanesen, die nach Hause zurückkehren. Über Prognosen für Ägypten und Äthiopien, die Fluchtziele für viele Familien aus Khartum, verfügte die UN-Beh
UN-Behörde noch nicht. Sie konnte lediglich schätzen, dass allein im April bis zu 20.000 Flüchtlinge aus Darfur in den Tschad und etwa 4.000 in den Südsudan gereist seien.Horrende TicketpreiseDie heftigen Gefechte in Khartum, bei denen mit Artillerie geschossen wurde, kosteten gleich in der ersten Woche etwa 500 Zivilisten das Leben. Auch mehrere Feuerpausen konnten die Lage nicht wirklich entspannen. Wegen der Kämpfe blieben die Menschen in ihren Häusern eingeschlossen, die Vorräte schwanden und es gab nur in großem Abstand Zugang zu Strom, Trinkwasser und Medikamenten, ganz zu schweigen von einem Mangel an Versorgungsgütern oder Bargeld. So wächst die Zahl der zur Flucht Entschlossenen unablässig. Wer Glück hat, erreicht einen der Busse, die für einen horrenden Ticketpreis von umgerechnet 500 Dollar nach Port Sudan fahren, wo man auf Fähren nach Saudi-Arabien steigen kann. Whatsapp-Gruppen, die Bewohnern Khartums helfen wollen, veröffentlichten die Nummern von Buslinien, die einen Transport bis an die ägyptische Grenze versprechen. Zumeist ziehen die Menschen mit kleinem Gepäck zum Busbahnhof Kandahar außerhalb der Hauptstadt. Sie sind zu Fuß unterwegs, trotz der Gefahr, in Kampfhandlungen zu geraten und die Orientierung zu verlieren.Die sudanesische Ärztin Asmara Adanis erzählt, ihr Bruder habe von der Abreise in Kandahar bis zum Stempel im Pass an der ägyptischen Grenze in der Nähe von Assuan ganze 53 Stunden gebraucht. Eine halbe Ewigkeit lang durfte er die Grenze nicht passieren. „Sie können sich nicht vorstellen, zu welchen Zuständen das führt. Niemand hat genügend Lebensmittel und ausreichend Wasser dabei, hat Kleidung oder Babywindeln eingepackt, um durchzuhalten. Es sind Kranke zu betreuen, die bereits in Khartum darunter litten, nicht mehr an dringend benötigte Arzneimittel heranzukommen“, berichtet Adanis. „Besonders Menschen mit Behinderungen sind in einer extrem schwierigen Lage.“Ihr Kollege Javid Abdelmoneim, der normalerweise in Malawi arbeitet, kann das nur bestätigen. Sein 80-jähriger Vater habe mitten in der Nacht eine Nachricht erhalten, in der er aufgefordert wurde, für die Evakuierung an einen Ort zu kommen, den er allein nicht erreichen konnte. Wer versucht habe, mit dem eigenen Fahrzeug in die Nähe der ägyptischen Grenze zu kommen, sei häufig hinter Bus-Konvois stecken geblieben und dann auch noch an der Grenze abgewiesen worden, wenn die richtigen Einreisepapiere nicht vorlagen.Das Khartumer Hospital, in dem die Ärztin Afnan Hassab Patienten behandelt hat, wurde wegen der Kämpfe geschlossen. Sie habe daraufhin eine Flucht für die beste Lösung gehalten, aber augenblicklich einen Weg aus der Stadt heraus zu finden, sei äußerst anstrengend. „Das totale Abenteuer. Um die Fahrt bezahlen zu können, benötigte ich Hilfe von Verwandten aus dem Ausland. Die Fahrer sind nicht immer verlässlich, zuweilen Betrüger. Sie nehmen das Geld und tauchen nie wieder auf. Andere sind unverschämt und verlangen absurde Beträge.“Mit Wasser begrüßtAfnan Hassab gelang es schließlich, eine Gruppe zu finden, die einen Bus gemietet und noch einen freien Platz hatte, für den sie 170.000 sudanesische Pfund (gut 270 Euro) bezahlte. Von vornherein war klar, dass sie dieser Transport nur bis in die Stadt Wadi Halfa im Nordsudan bringen würde, wo sie eine Möglichkeit zur Weiterfahrt bis an die Grenze finden musste. Weil die Banken geschlossen und die mobilen Banking-Apps zusammengebrochen sind, habe sie das Geld durch eine komplizierte Reihe von Überweisungen beschaffen müssen, schildert Afnan die herrschenden Zustände.„Viele Menschen sitzen inmitten der Kämpfe fest, weil sie nicht die Summen zur Verfügung haben, um einen Busfahrer zu bezahlen. Einige Frauen versuchten, über Facebook Goldschmuck zu verkaufen, um an Bargeld zu kommen, überwiegend ohne Erfolg. Ich weiß von einer achtköpfigen Familie, die am Ende beschloss, in einem Lastwagen nach Dongola im Norden zu fahren, obwohl ihnen klar war, dass sie wegen der irren Fahrpreise nicht genug Geld haben würden, um von dort weiter an die Grenze zu gelangen. Auch in andere Städte oder andere Landesteile zu fahren, in denen es noch ruhig ist und hoffentlich bleibt, ist fast unerschwinglich. Aber wer das Land nicht verlassen kann, dem bleibt nur dieser Ausweg – der läuft Gefahr, sich zu ruinieren.“Die 25-jährige Alaa Elsaied Sirelkhatim gibt an, dass sie gemeinsam mit ihrer Schwester zunächst in die Stadt Wad Madani fuhr, die südlich von Khartum liegt. Sie entschied sich für die Weiterreise nach Äthiopien, weil die Fahrt kürzer war als die nach Ägypten. Sie erhielt im äthiopischen Konsulat in Gedaref nahe der Grenze ein Visum. Die Lage am Grenzübergang sei jedoch chaotisch gewesen, sagt sie. Die UN-Mitarbeiter dort hätten es nicht fertiggebracht, wirksam zu helfen. „Es war ein einziges großes Durcheinander. Die Leute hatte nicht die richtigen Papiere, versuchten aus Verzweiflung aber trotzdem ihr Glück. Die Grenzposten auf beiden Seiten waren überfordert damit, die Menschen bei der Ausreise zu unterstützen. Sie halfen nur denen, die ihnen Geld gaben“, so Sirelkhatim, die vorhat, von Äthiopien aus weiterzureisen. „Die Mehrheit hat keine Chance, die Grenze zu passieren. Die meisten können es sich einfach nicht leisten, und die, die das können, kommen nicht an Bargeld heran, weil die Banken geschlossen und die Geldautomaten leer sind. Und wer kein Einreisevisum hat, wird von den Äthiopiern sowieso abgewiesen.“Die UNHCR hatte keine Informationen über Einrichtungen, die Flüchtlingen in Ägypten oder Äthiopien bei der Ankunft beistehen. Als die Sudanesin Elnaiem Elmahdi, die im Ausland lebt, versuchte, für Verwandte ein Visum der Vereinigten Arabischen Emirate zu bekommen, erklärte ihr eine Reiseagentur, dass „für Sudanesen aus Sicherheitsgründen“ keine Visa ausgestellt würden. Elnaiem Elmahdi: „Wie kann das sein? Sudanesen brauchen den Ausweg in andere Länder, weil sie vor einem Krieg, vor Tod und Verderben fliehen. Sie kommen nicht als Touristen, doch gelten für sie Visabestimmungen, die normalerweise für Touristen gelten. Stellen Sie sich vor, Sie sind mitten in der Wüste, durstig und hungrig, nach einer 20- oder 30-stündigen Reise völlig erschöpft. Nachdem Sie dann nochmals 20 Stunden gewartet haben, sagt man Ihnen: ‚Sorry, Sie können nicht einreisen, weil Sie ein Touristenvisum brauchen.‘ Was tun Sie dann? Wieder zurück, sich ein solches Visum besorgen und danach bei einer Schlange von über 100 Bussen wieder hinten anstellen? Die Welt muss die humanitäre Krise des Sudan und die Flüchtlinge zur Kenntnis nehmen, sie muss sofort etwas tun.“Laut Christian Aid, einer Hilfsorganisation im Südsudan, liegen die eigenen Schätzungen von 9.000 Neuankömmlingen bisher über denen des UN-Flüchtlingshilfswerks. Man erfasse zurückkehrende Südsudanesen ebenso wie Sudanesen. „Momentan gibt es keinerlei Vorkehrungen dafür, die Leute in Empfang zu nehmen. Diejenigen, die eintreffen, werden in einer Schule untergebracht. Eine Gruppe hat das Grundstück eines Richters besetzt.“ Für UNHCR-Sprecherin Kathryn Mahoney stellt sich die Lage sudanesischer Flüchtlinge im Tschad kaum anders dar. „Die meisten davon sind Frauen und Kinder. Sie haben kein Dach über dem Kopf und schlafen in improvisierten Hütten oder unter Bäumen. Die Neuankömmlinge brauchen Schutz und Hilfe.“Dallia Mohamed Abdelmoniem, die als Journalistin in Khartum gearbeitet hat, beschreibt eine schwierige 26-stündige Fahrt nach Port Sudan, wo es sich anbot, eine Fähre nach Saudi-Arabien zu nehmen. Sie sei vor allem auf Kinder und ältere Leute getroffen. Die Route, die sie gewählt habe, sei ruhiger gewesen als die zur ägyptischen Grenze. „Unsere Fahrt nach Port Sudan war lang und anstrengend. Wir fuhren auf Pisten, die seit 30 Jahren und mehr nicht die Spur ausgebessert worden sind. Das Beste war dann aber, dass andere Sudanesen die ankommenden Busse mit Saft und Wasser begrüßten, obwohl sie selbst nur wenig davon hatten. Es war rührend und hat daran erinnert, wie schön das Land und seine Menschen sind. Darum können wir nicht einfach nachgeben und zulassen, dass diese beiden Männer, diese beiden Obristen, ihr zerstörerisches Werk fortsetzen.“ Placeholder authorbio-1
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