Lee Cronin ist eine auf sympathische Weise ungeduldige Erscheinung. Ein Turbo: „Ich will einfach, dass die Dinge schnell vonstattengehen“, sagt er. Der 39-Jährige leitet an der Universität Glasgow ein Team aus 45 Forschern, die die Herstellung komplexer Moleküle erforschen. Aber er will mehr. Auf einer der jährlich stattfindenden interdisziplinären Konferenzen „Technology, Entertainment, Design“ (TED) erklärte Cronin, er wolle „anorganisches Leben“ herstellen und schaffe für bestimmte Materialien „evolutionäre Algorithmen“. Er hoffe, sein Ziel innerhalb der nächsten Jahre zu erreichen.
Als Teilaspekt verfolgt Cronin ein etwas realistischer anmutendes Projekt: die Idee, Chemikalien aus dem Netz zu „laden“ , sodass die Leute ihre Medikamente zu Hause „drucken“ können. Cronins jüngster TED-Talk drehte sich um die Frage: „Können wir ein wirklich cooles universales Chemie-Gerät schaffen? Können wir die Chemie zu einer App machen?“ – „Im Grunde“, erzählt er mir in seinem Universitätsbüro, „möchte ich für verschreibungspflichtige Medikamente das machen, was Apple für die Musik getan hat.“
Die Idee befindet sich noch im Stadium der Konzeption, aber während er mich in seinen Laboren herumführt, erläutert Cronin, wie dieses „Paradigmen verändernde“ Projekt Gestalt annehmen könnte. In den zehn Jahren, die er nun in Schottland ist, hat er hart daran gearbeitet, genau die richtige Auswahl von Leuten um sich zu versammeln, um die Ergebnisse zu erhalten, die er braucht. Sein Interesse galt schon immer komplexen Chemikalien und den Ursprüngen des Lebens. „Wir befassen uns viel mit Selbstorganisation auf molekularer Ebene und können wirklich große Moleküle herstellen. Dafür habe ich auch immer viele Fördergelder bekommen.“
Tinte vom Periodensystem
Vor ein paar Jahren war Cronin dann zu einem Architekturseminar geladen, um seine Arbeit über anorganische Strukturen zu diskutieren. Er hatte sich damit befasst, wie Kristalle aus röhrchenartigen Strukturen „anorganische Gärten“ anlegen. Unter den anderen Rednern war einer, der die Optionen des 3D-Druckens für architektonische Formen erläuterte. Cronin fragte sich, ob dieses 3D-Prinzip auch auf molekulare Strukturen übertragbar sei. „Ich wollte kein Flugzeug ausdrucken und auch keine Kieferknochen. Ich wollte Chemie machen.“
Um herauszufinden, wie man den 3D-Druck auf die Chemie anwenden könnte, dachte Cronin darüber nach, wie er das im Grunde passive Konzept des Kopierens dynamischer gestalten könnte. Sein Team baute also den Prototyp eines chemischen 3D-Druckers, der programmiert werden kann, um chemische Reaktionen zur Herstellung von Molekülen zu ermöglichen.
Er zeigt das Gerät – eine unauffällige Version des 1.500 Euro teuren 3D-Druckers, der vom Open Source Personal Fabricator Project (Fab@home) benutzt wird und der ad-hoc-Fertigung von Gegenständen zu Hause zum Durchbruch verhelfen soll. Cronins Team entdeckte, dass man aus Dichtungsmaterial Reaktionskammern von vorgegebenen Dimensionen drucken kann, die mit Schläuchen unterschiedlicher Länge und Durchmesser verbunden sind. Nachdem das maßgeschneiderte Mini-Labor fertig war, fügte der Drucker dem System Ausgangsstoffe oder „chemische Tinte“ hinzu, um Reaktionsfolgen zu erzeugen.
Die „Tinte“ sind einfache Substanzen, aus denen dann komplexere Moleküle geformt werden. „Scherzhaft würde ich sagen, man findet seine Tinte im Periodensystem: Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und so weiter. Aber diese Substanzen sind schwer zu handhaben, die Tinte müsste etwas komplexer sein. Aber wenn wir große Moleküle im Labor synthetisieren, fangen wir ja auch mit kleineren Molekülen an.“ Nahezu alle Medikamente bestünden aus Kohlenstoff, Wasserstoff, Sauerstoff und aus Grundstoffen wie Pflanzenölen und Paraffin. „Mit einem Drucker sollte es möglich sein, mit einer relativ kleinen Zahl von ,Tinten‘ jedes organische Molekül herzustellen.“
Unbegrenzte Möglichkeiten
Der eigentliche Reiz von Cronins System liegt darin, dass der Drucker nicht nur die Reihenfolge und die Kalibrierung der Tinten kontrolliert, sondern auch die Umgebung schafft, in der die Reaktionen erfolgen. Größe und Form des gedruckten Minilabors könnte man herunterladen und mit einem Standard-Set an Tinten benutzen. Die Kombinationen der Ausgangsstoffe und die Verhältnisse sowie die Geschwindigkeit, mit der sie sich verbinden, ließen sich nach Bedarf anpassen, indem man einfach die Größe der Reaktionsgefäße und ihr Verhältnis zueinander verändert. Cronin spricht von „Reactionware“ oder, weil das Drucken von einer definierten Folge von Bewegung und Neuorientierungen in einem dreidimensionalen Raum abhängt, von „Rubik’s Cube chemistry“.
„Wir versuchen, das Prinzip einer Reaktion mit einem Reaktor zu kombinieren. Im Labor laufen Reaktionen in statischen Gefäßen ab, wie etwa in Reagenzgläsern. Der Drucker ermöglicht dem Gefäß, zu einem aktiven Teil der Reaktion zu werden.“ Bislang hat Cronins Labor recht schlichte Reaktionsgefäße und dreistufige Reaktionssequenzen zum „Druck“ anorganischer Moleküle geschaffen. Der nächste Schritt, von dem an die Sache interessant wird, ist, Katalysatoren in den Wänden der Reactionware unterzubringen. Das ist Cronin schon gelungen. Irgendwann will er komplexere Umgebungen schaffen, die ermöglichen, „in Gegenwart einer von Krebs befallenen Leberzelle oder eines neu identifizierten Superkeims Chemie zu betreiben“, mit allen Implikationen, die sich hieraus für die Medikamentenforschung ergeben würden.
Auf kürzere Sicht sucht sein Team nach Möglichkeiten, wie relativ einfache Medikamente – sie verwenden das Beispiel Ibuprofen – erfolgreich in ihrem 3D-Drucker oder einem tragbaren „Chemputer“ hergestellt werden können. Wenn das Verfahren etabliert werden kann, werden die Möglichkeiten nahezu unbegrenzt. „Stellen Sie sich vor, ihr Drucker ist wie ein Kühlschrank gefüllt mit allen Zutaten, um alle Gerichte in Jamie Olivers neuem Kochbuch zuzubereiten. Jamie hat alle Rezepte überprüft. Sie müssen sie nur „kochen“ lassen. Für die Medikamente wäre es ähnlich: Sie haben alle Zutaten in ihrem Drucker, laden sich ein vom Hersteller zertifiziertes Rezept herunter, und dann druckt er es aus. Der Wert liegt im Rezept, nicht in seiner Herstellung. Es ist eine App.“
Personal-Chemputer-Aspekt
Cronin glaubt, sie würde die komplexe Chemie demokratisieren und ermöglichen, dass Medikamente nicht nur verteilt, sondern dort hergestellt, wo sie gebraucht werden. Fälschungen (oft Malariamittel und HIV-Medikamente), die einige Märkte in Entwicklungsländern überflutet haben, könnten verhindert werden, indem man seine Plattform zur Herstellung von Medikamenten nach dem Originalrezept anbietet. „Dieses Modell verändert die Wirtschaftlichkeit durch Massenproduktion und macht jedes Medikament günstig.“
Immer wieder betont Cronin aber auch, dass seine Entwicklung noch Science Fiction ist. Neben dem „Personal-Chemputer“-Aspekt ist er am meisten davon angetan, wie das Modell der Reactionware die Entdeckung neuer Medikamente verändern würde. Gedruckte Reactionware könnte die Entdeckung neuer Proteine und sogar Antibiotika beschleunigen. Im Gegensatz zu üblichen Technologien würde man die chemische „Suchmaschine“ mit biologischen Strukturen wie Blutgefäßen kombinieren und wäre in der Lage, die Wirkung neuer Verbindungen schnell zu prüfen.
Cronin hat schon mit potenziellen Interessenten gesprochen, von Pharmaunternehmen bis hin zu Nato-Generälen. Er hofft, dass große Hilfsorganisationen wie etwa die Bill and Melinda Gates Foundation und andere die medizinischen und finanziellen Vorteile prüfen, die die Einführung einer möglicherweise revolutionären Technologie in den Entwicklungsländern haben würde. Als Wissenschaftler neigt Cronin allerdings dazu, die rechtlichen und praktischen Hürden herunterzuspielen, die die Idee ohne Zweifel überwinden müsste: „Ich glaube nicht, dass Kriminelle sich ihre eigenen Drogen drucken würden“, antwortet er auf diese Frage und sieht nur Vorteile. „Im Augenblick wissen wir noch nicht einmal, wie das Gerät aussehen wird.“ Da die Idee jetzt aber in der Welt sei, gebe es „keinen Grund, warum alles nicht recht schnell gehen sollte.“
„Wir könnten nicht nur die Industrie verändern und Geld verdienen, wir könnten auch Leben retten. Warum warten?“
Tim Adams ist Autor des Observer
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