Wer in der vergangenen Woche geblinzelt hat, kann die Nachricht leicht verpasst haben, selbst wenn er in den USA lebt: Zwei Senatoren haben das US-amerikanische Justizministerium beschuldigt, im vergangenen Jahr vor dem Obersten Gerichtshof der USA (OGH) bezüglich der Abhöraktionen der NSA gelogen zu haben, um sicherzustellen, dass die massenhafte Bespitzelung von Amerikanern ungestört weitergehen kann. Aber kaum jemand scheint das zu kümmern – am wenigsten diejenigen, die gelogen haben.
Folgendes ist passiert: Kurz bevor der Name Edward Snowden in aller Munde kam, klagte die American Civil Liberties Union (ACLU) vor dem OGH, der Fisa Amendments Act – eins von zwei entscheidenden Gesetzen, auf die sich die NSA bei der Massenüberwachung beruft – verstoße gegen die Verfassung.
Das Gericht entschied mit fünf zu vier Stimmen, die Klage abzuweisen und begründete dies damit, der ACLU könne nicht mit Sicherheit beweisen, dass ihre Klienten, zu denen Journalisten und Menschenrechtsanwälte gehören, Ziel von Überwachungsmaßnahmen geworden waren. Da gegen das Gesetz aber nur klagen könne, wer auf seiner Grundlage abgehört wurde, und diese Grundlage bei ihnen fehle, könnten sie folglich auch nicht gegen das Gesetz klagen. Wie die New York Times bemerkte, stützte sich das Gericht bei seinem Urteil auf zwei Behauptungen des Justizministeriums: 1.) dass die NSA die Inhalte der Kommunikation von Amerikanern nur dann ohne richterliche Anordnung einsehen dürfe, wenn sie einen im Ausland befindlichen Ausländer überwacht und 2.) dass das Justizministerium Verdächtige, die im Rahmen des Fisa Amendments Act bespitzelt wurden, benachrichtige, damit sie die Möglichkeit erhalten, gerichtlich gegen das Gesetz vorzugehen.
Wie sich herausstellte, entsprach keine dieser Aussagen der Wahrheit – und es bedurfte Snowdens historischem Whistleblowing, um dies zu beweisen.
Eine der explosivsten Enthüllungen Snowdens betraf eine damals noch geheime Technik der sogenannten „About“- oder „Um … herum“-Überwachung. Wie die New York Times als erste berichtete, „durchsucht die NSA den Inhalt großer Mengen von von Amerikanern verfassten E-Mails und SMS in und aus den Staaten nach Leuten, die Informationen über überwachte Ausländer erwähnen.“ Mit anderen Worten nimmt die NSA nicht einfach gezielt bestimmte Kontakte in Übersee ins Visier, sondern kehrt alle Übersee-Kontakte auf einen großen Haufen und durchsucht sie dann auf Schlüsselbegriffe.
Die Snowden-Leaks zwangen das Justizministerium auch zuzugeben – entgegen dem, was sein Vertreter dem Gericht erzählt hatte – dass die Regierung keinen einzigen Verdächtigen benachrichtigt hat. Das machte es so gut wie unmöglich zu beweisen, dass sie abgehört wurden und somit berechtigt wären, die Verfassungsmäßigkeit des Fisa Amendments Act anzufechten.
Es ist unklar, wie viel Generalstaatsanwalt Donald Verrilli wusste, als er den Richtern des OGH – zweimal – die Lügen der Regierung auftischte. Berichten zufolge war er wütend, als er herausfand, dass seine Mitarbeiter im Justizministerium ihn über die Information von Verdächtigen, die im Rahmen eines Strafverfahrens abgehört wurden, falsch informiert hatten. Und man weiß ebenfalls nicht, ob er von der „About“-Überwachung musste, die dem ACLU durchaus eine ausreichende Grundlage für eine Klage hätte geben können. Wir wissen aber, dass andere Beamte des Justizministeriums von beidem wussten und beide Lügen unkommentiert stehen ließen.
Anstatt die Lügen zu korrigieren, wie dies in anderen Fällen bei – absichtlichen oder unabsichtlichen – Falschdarstellungen bereits geschehen ist, versuchte die Regierung nun aufgrund des Drucks der Snowden-Leaks zu erklären, warum es sich ihrer Meinung nach bei den gemachten Erklärungen nicht um Lügen handelte. So bediente sie sich in einem erst vor kurzem aufgetauchten Brief an die Senatoren Ron Wyden und Mark der unglaublichen Begründung, die „About“-Überwachung habe zum Zeitpunkt der Verhandlung der Geheimhaltung unterlegen, man sei also nicht verpflichtet gewesen, das Gericht über sie in Kenntnis zu setzen. Die Frage, ob man über die Benachrichtigung der Abgehörten gelogen habe, wurde ausweichend damit beantwortet, man habe nach diesem Fall damit angefangen, und somit war es irgendwie kein Thema mehr.
Doch es gibt noch einen anderen Grund, weshalb die Regierung ein Interesse daran hat, dass Klagen gegen den Fisa Amendments Act abgewiesen werden, ohne dass sie beweisen muss, dass er gegen den vierten Zusatz zur Verfassung verstößt: Sie hat eine äußerst kontroverse Sicht auf den (mangelhaften) Schutz der Privatsphäre, und will wahrscheinlich verhindern, dass das jemand mitbekommt. Durch Snowden gezwungen verteidigt sie das Gesetz in einem kürzlich veröffentlichten Schreiben wie folgt:
„Die Persönlichkeitsrechte von US-Bürgern sind bei internationaler Kommunikation stark eingeschränkt, wenn nicht gar vollständig aufgehoben, wenn diese Kommunikation mit Nicht-US-Bürgern stattfindet, die sich außerhalb der USA aufhalten.“
Wir wissen bereits, dass die Regierung uns das Recht auf Privatsphäre abspricht, wenn es darum geht, mit wem, wann und für wie lange wir telefonieren oder wo wir uns beim Telefonieren gerade aufhalten. Das selbe gilt also offenbar auch für die Inhalte von Auslandsgesprächen. Jamil Jaffer vom ACLU erklärt, welche Folgen dieses Rechtsverständnis hat:
„Wenn die Regierung Recht hat, dann hält nichts in der Verfassung die NSA davon ab, ein Telefonat zwischen einem Journalisten in New York City und seiner Quelle in London oder E-Mails zwischen Amerikanern in den USA und ihren nicht-amerikanischen Freunden, Verwandten oder Kollegen in Übersee zu überwachen.“
Die infame Lüge von Geheimdienstleiter James Clapper vor dem Congress – als er nur Monate vor Snowdens Veröffentlichungen leugnete, die NSA würde nicht Millionen von Daten über amerikanische Bürger sammeln – wird ihm sicherlich für den Rest seines Lebens nachhängen, selbst wenn sie zu keiner strafrechtlichen Verfolgung führt. Doch während Clapper mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gerade gegen das Gesetz verstieß, wussten die Mitglieder des Senatsausschusses, vor dem er sprach, sowieso die ganze Zeit Bescheid.
Das Justizministerium hingegen brachte den OGH mit einer Falschaussage dazu, eine Klage abzulehnen, die möglicherweise dazu geführt hätte, dass der ungeheuerlichste Machtmissbrauch der NSA stark eingeschränkt worden wäre. Die Konsequenzen haben die amerikanischen Bürger zu tragen.
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